Von Bilten nach Moskau
Verfasst: 28.04.2007, 02:58
Von Bilten nach Moskau
Wie sich der Thuner Champions-League-Held Jakupovic im russischen Fussball Respekt verschafft
tre. Moskau, 27. April
Im Leben eines Fussball-Torhüters ist es entscheidend, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein - nicht nur bei Flankenbällen und Distanzschüssen. Eldin Jakupovic war im richtigen Moment am richtigen Ort: Im Sommer 2005 schritt er mit dem FC Thun gegen Dynamo Kiew zur «mission impossible» um die Vorqualifikation für die Champions League. Der damals 20-jährige Nachwuchsgoalie tat es mit Überzeugungskraft und einem Selbstvertrauen, das nicht nur die erfolgsverwöhnten Stürmer des ukrainischen Rekordmeisters völlig aus der Fassung brachte. Mit Glanzparaden und spektakulären Reflexen verdrehte der Glarner bosnischer Herkunft auch den Beobachtern des russischen Traditionsvereins Lokomotive Moskau den Kopf. Die waren nach Kiew gereist, um einen Leistungsträger des Heimteams zu beobachten - und kehrten mit der Einsicht nach Hause zurück, dass der Keeper des FC Thun der einzige Spieler war, den sie unbedingt verpflichten wollten.
Der rollende Rubel
Das nächste Kapitel von Jakupovics Aufstieg sprengte den Rahmen der berneroberländischen Beschaulichkeit endgültig. Es ist bis heute als «Thuner Champions-League-Märchen» in Erinnerung geblieben - mit Zwischenstopps in Malmö, London, Amsterdam und Prag - und ebnete dem Goalie, der seine Karriere einst in der Juniorenabteilung des FC Bilten gestartet hatte, den Weg in die grösste Stadt Europas und in eine der aufregendsten Ligen der Welt. In Russland dauert die längste Reise zu einem Auswärtsspiel (nach Wladiwostok) neun Flugstunden, hier gibt es keine Präsidenten, die das Geld nach dem Erbsenzähler-Prinzip verteilen, und nur etwas rollt noch schneller als der Ball - der Rubel.
Lokomotive, der 1923 gegründete Verein, der aus dem Klub der Oktoberrevolution («KOR») hervorgegangen ist und der ursprünglich aus den besten Fussballern der ehemaligen Eisenbahngesellschaft bestand, hat in der freien Marktwirtschaft die Schienen des öffentlichen Verkehrs verlassen. Er weist ein Budget von 95 Millionen Euro aus und beschäftigt Spieler aus zwölf Ländern. Der Topverdiener, der schottische Internationale Garry O'Conner, kassiert 40 000 Euro - pro Woche.
Mit der Eisenbahn fährt niemand zum Training. Jedem Spieler steht rund um die Uhr ein persönlicher Chauffeur zur Verfügung. Auf sein eigenes Salär angesprochen, zwinkert Jakupovic vergnügt mit den Augen, sagt: «Hier ist alles netto», zückt am Schluss des Interviews unaufgefordert das Portemonnaie und bezahlt die Rechnung für die ganze Tischrunde. Mit seinem ersten russischen Salär hatte er seinem Vater einen Audi A 8 gekauft. «Ich verdanke meinen Eltern alles. Jetzt kann ich ihnen etwas zurückgeben», sagt er.
Der Preis des russischen Glücks
Das russische Glück hat aber seinen Preis. Das musste Jakupovic schnell zur Kenntnis nehmen. Denn in Moskau herrschen rauere Umgangsformen als in Bilten oder Thun. Zusammen mit seiner (Solothurner) Freundin bezog er zwar gleich zu Beginn eine schöne Dreieinhalbzimmerwohnung unweit des klubeigenen Trainingsgeländes im Stadtteil Kutuzovski, doch zurechtgefunden hat er sich erst mit Verzögerung in der 14-Millionen-Einwohner-Metropole - sportlich wie gesellschaftlich. Nach vier Spielen für seinen neuen Arbeitgeber war er (ohne Erklärung) zum Zuschauer degradiert worden. Die Freizeit verbrachte er anfänglich vor allem in den eigenen vier Wänden - vor dem Computer, dem Fernseher oder beim Kartenspielen. «Das ist eine harte Erfahrung gewesen. Aber bereut habe ich meinen Wechsel nie. Denn irgendwie habe ich immer gewusst, dass es wieder aufwärtsgehen wird.» Trotzdem schien Jakupovics Weg noch im vergangenen Dezember nach Westeuropa zurückzuführen. Aus Reggina lag ihm ein konkretes Angebot vor. In Bochum, Basel und Zürich war er ein (ernsthaftes) Thema.
Heute ist Jakupovic froh, dass er vor den Startschwierigkeiten nicht kapituliert hat («Ich wollte nicht als Verlierer aus Moskau weg»). Denn nach einem Personalwechsel im Management- und Trainer-Bereich von Lokomotive ist seine Karriere wieder in Schwung gekommen. In allen sechs Meisterschaftsspielen der neuen Saison - in Russland wird das Championat über den Sommer, der Cup-Wettbewerb aber nach dem in Westeuropa üblichen Terminplan gespielt - war er die Nummer 1, liess nur fünf Gegentreffer zu und leistete einen massgebenden Anteil, dass sein Klub trotz schwacher Offensivleistung (nur vier erzielte Tore) auf dem fünften Tabellenplatz klassiert ist. Dass Jakupovic dabei den für drei Millionen Euro verpflichteten früheren Roma-Keeper Ivan Pelizzoli auf die Ersatzbank verdrängt und die äusserst kritische Moskauer Presse von seinen Qualitäten überzeugt hat, schliesst Missverständnisse aus. Zumal er mittlerweile so gut Russisch spricht, dass er auch den lokalen Taxifahrern den Tarif diktieren kann. Ernsthafte Probleme hatte der Goalie zuletzt nur beim Fototermin mit Schweizer Medien. Als er auf dem Roten Platz einen Fussball in die Hand nahm, drohten ihm zivile Sicherheitskräfte mit der Verhaftung - das sei Frevel am russischen Staatsgut, hiess es in postsozialistischer Strenge.
Funkstille aus Muri
Bis an den Sitz des Schweizer Verbands (SFV) in Muri scheint sich die Kunde von Jakupovics Entwicklung aber nicht herumgesprochen zu haben. Dort setzte der frühere bosnische Junioren-Internationale vor knapp zwei Jahren zwar seine Unterschrift unter den «Verbandswechsel», doch Moskau ist für den Schweizer Nationaltrainer Kuhn offenbar ein bisschen zu weit weg von Zürich Wiedikon. Nach einem Aufgebot für das entscheidende Barrage-Spiel in der WM-Qualifikation gegen die Türkei im Herbst 2005 (als dritter Goalie) ist Jakupovic im SFV auf jeden Fall kein Thema mehr. «Nach dem Match in Istanbul dachte ich, alles sei klar. Doch seither herrscht Funkstille», sagt Jakupovic leicht irritiert. Der Spielervermittler Lamberti forciert derweil die Rückkehr seines Klienten in den bosnischen Verband. Entscheidende Gespräche mit der Fifa sollen kommende Woche stattfinden. Für den SFV ist diese (allerdings schon publizierte) Tatsache neu. Der Nationalmannschafts-Delegierte Ernst Lämmli: «Wir haben Jakupovic nicht vergessen. Doch es ist nicht so einfach, sämtliche Auslandprofis ständig im Auge zu behalten - vor allem jene, die nicht regelmässig spielen. Wir sind aber an der Ausarbeitung eines Konzepts, um die Betreuung aller Kandidaten zu intensivieren. Grundsätzlich allerdings gilt: Der Coach muss entscheiden, wen er aufbieten will.»
Während in Muri Konzepte ausgearbeitet werden, stehen für Jakupovic auf russischem Rasen die Tage der Bewährung unmittelbar bevor - mit dem Spiel vom Samstag gegen den Tabellenzweiten FC Moskau sowie den Cup- Halbfinal-Partien (Hin- und Rückspiel) gegen den Leader Spartak Moskau und dem Meisterschafts-Derby gegen denselben Gegner innerhalb von zwei Wochen. Es wären eigentlich selbst für zögernde helvetische Funktionäre gute Gelegenheiten, sich ein Bild über den Formstand ihres ehemaligen Hoffnungsträgers zu verschaffen und den eingeschlafenen Kontakt wiederzubeleben. Denn im Hinblick auf die Euro 08 würde es kaum schaden, wenn die Nationalmannschaft auf einen Goalie zählen könnte, der nicht nur gelegentlich einen Ball fängt.
Quelle: NZZ Online - http://www.nzz.ch/2007/04/28/sp/articleF50YG.html
Wie sich der Thuner Champions-League-Held Jakupovic im russischen Fussball Respekt verschafft
tre. Moskau, 27. April
Im Leben eines Fussball-Torhüters ist es entscheidend, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein - nicht nur bei Flankenbällen und Distanzschüssen. Eldin Jakupovic war im richtigen Moment am richtigen Ort: Im Sommer 2005 schritt er mit dem FC Thun gegen Dynamo Kiew zur «mission impossible» um die Vorqualifikation für die Champions League. Der damals 20-jährige Nachwuchsgoalie tat es mit Überzeugungskraft und einem Selbstvertrauen, das nicht nur die erfolgsverwöhnten Stürmer des ukrainischen Rekordmeisters völlig aus der Fassung brachte. Mit Glanzparaden und spektakulären Reflexen verdrehte der Glarner bosnischer Herkunft auch den Beobachtern des russischen Traditionsvereins Lokomotive Moskau den Kopf. Die waren nach Kiew gereist, um einen Leistungsträger des Heimteams zu beobachten - und kehrten mit der Einsicht nach Hause zurück, dass der Keeper des FC Thun der einzige Spieler war, den sie unbedingt verpflichten wollten.
Der rollende Rubel
Das nächste Kapitel von Jakupovics Aufstieg sprengte den Rahmen der berneroberländischen Beschaulichkeit endgültig. Es ist bis heute als «Thuner Champions-League-Märchen» in Erinnerung geblieben - mit Zwischenstopps in Malmö, London, Amsterdam und Prag - und ebnete dem Goalie, der seine Karriere einst in der Juniorenabteilung des FC Bilten gestartet hatte, den Weg in die grösste Stadt Europas und in eine der aufregendsten Ligen der Welt. In Russland dauert die längste Reise zu einem Auswärtsspiel (nach Wladiwostok) neun Flugstunden, hier gibt es keine Präsidenten, die das Geld nach dem Erbsenzähler-Prinzip verteilen, und nur etwas rollt noch schneller als der Ball - der Rubel.
Lokomotive, der 1923 gegründete Verein, der aus dem Klub der Oktoberrevolution («KOR») hervorgegangen ist und der ursprünglich aus den besten Fussballern der ehemaligen Eisenbahngesellschaft bestand, hat in der freien Marktwirtschaft die Schienen des öffentlichen Verkehrs verlassen. Er weist ein Budget von 95 Millionen Euro aus und beschäftigt Spieler aus zwölf Ländern. Der Topverdiener, der schottische Internationale Garry O'Conner, kassiert 40 000 Euro - pro Woche.
Mit der Eisenbahn fährt niemand zum Training. Jedem Spieler steht rund um die Uhr ein persönlicher Chauffeur zur Verfügung. Auf sein eigenes Salär angesprochen, zwinkert Jakupovic vergnügt mit den Augen, sagt: «Hier ist alles netto», zückt am Schluss des Interviews unaufgefordert das Portemonnaie und bezahlt die Rechnung für die ganze Tischrunde. Mit seinem ersten russischen Salär hatte er seinem Vater einen Audi A 8 gekauft. «Ich verdanke meinen Eltern alles. Jetzt kann ich ihnen etwas zurückgeben», sagt er.
Der Preis des russischen Glücks
Das russische Glück hat aber seinen Preis. Das musste Jakupovic schnell zur Kenntnis nehmen. Denn in Moskau herrschen rauere Umgangsformen als in Bilten oder Thun. Zusammen mit seiner (Solothurner) Freundin bezog er zwar gleich zu Beginn eine schöne Dreieinhalbzimmerwohnung unweit des klubeigenen Trainingsgeländes im Stadtteil Kutuzovski, doch zurechtgefunden hat er sich erst mit Verzögerung in der 14-Millionen-Einwohner-Metropole - sportlich wie gesellschaftlich. Nach vier Spielen für seinen neuen Arbeitgeber war er (ohne Erklärung) zum Zuschauer degradiert worden. Die Freizeit verbrachte er anfänglich vor allem in den eigenen vier Wänden - vor dem Computer, dem Fernseher oder beim Kartenspielen. «Das ist eine harte Erfahrung gewesen. Aber bereut habe ich meinen Wechsel nie. Denn irgendwie habe ich immer gewusst, dass es wieder aufwärtsgehen wird.» Trotzdem schien Jakupovics Weg noch im vergangenen Dezember nach Westeuropa zurückzuführen. Aus Reggina lag ihm ein konkretes Angebot vor. In Bochum, Basel und Zürich war er ein (ernsthaftes) Thema.
Heute ist Jakupovic froh, dass er vor den Startschwierigkeiten nicht kapituliert hat («Ich wollte nicht als Verlierer aus Moskau weg»). Denn nach einem Personalwechsel im Management- und Trainer-Bereich von Lokomotive ist seine Karriere wieder in Schwung gekommen. In allen sechs Meisterschaftsspielen der neuen Saison - in Russland wird das Championat über den Sommer, der Cup-Wettbewerb aber nach dem in Westeuropa üblichen Terminplan gespielt - war er die Nummer 1, liess nur fünf Gegentreffer zu und leistete einen massgebenden Anteil, dass sein Klub trotz schwacher Offensivleistung (nur vier erzielte Tore) auf dem fünften Tabellenplatz klassiert ist. Dass Jakupovic dabei den für drei Millionen Euro verpflichteten früheren Roma-Keeper Ivan Pelizzoli auf die Ersatzbank verdrängt und die äusserst kritische Moskauer Presse von seinen Qualitäten überzeugt hat, schliesst Missverständnisse aus. Zumal er mittlerweile so gut Russisch spricht, dass er auch den lokalen Taxifahrern den Tarif diktieren kann. Ernsthafte Probleme hatte der Goalie zuletzt nur beim Fototermin mit Schweizer Medien. Als er auf dem Roten Platz einen Fussball in die Hand nahm, drohten ihm zivile Sicherheitskräfte mit der Verhaftung - das sei Frevel am russischen Staatsgut, hiess es in postsozialistischer Strenge.
Funkstille aus Muri
Bis an den Sitz des Schweizer Verbands (SFV) in Muri scheint sich die Kunde von Jakupovics Entwicklung aber nicht herumgesprochen zu haben. Dort setzte der frühere bosnische Junioren-Internationale vor knapp zwei Jahren zwar seine Unterschrift unter den «Verbandswechsel», doch Moskau ist für den Schweizer Nationaltrainer Kuhn offenbar ein bisschen zu weit weg von Zürich Wiedikon. Nach einem Aufgebot für das entscheidende Barrage-Spiel in der WM-Qualifikation gegen die Türkei im Herbst 2005 (als dritter Goalie) ist Jakupovic im SFV auf jeden Fall kein Thema mehr. «Nach dem Match in Istanbul dachte ich, alles sei klar. Doch seither herrscht Funkstille», sagt Jakupovic leicht irritiert. Der Spielervermittler Lamberti forciert derweil die Rückkehr seines Klienten in den bosnischen Verband. Entscheidende Gespräche mit der Fifa sollen kommende Woche stattfinden. Für den SFV ist diese (allerdings schon publizierte) Tatsache neu. Der Nationalmannschafts-Delegierte Ernst Lämmli: «Wir haben Jakupovic nicht vergessen. Doch es ist nicht so einfach, sämtliche Auslandprofis ständig im Auge zu behalten - vor allem jene, die nicht regelmässig spielen. Wir sind aber an der Ausarbeitung eines Konzepts, um die Betreuung aller Kandidaten zu intensivieren. Grundsätzlich allerdings gilt: Der Coach muss entscheiden, wen er aufbieten will.»
Während in Muri Konzepte ausgearbeitet werden, stehen für Jakupovic auf russischem Rasen die Tage der Bewährung unmittelbar bevor - mit dem Spiel vom Samstag gegen den Tabellenzweiten FC Moskau sowie den Cup- Halbfinal-Partien (Hin- und Rückspiel) gegen den Leader Spartak Moskau und dem Meisterschafts-Derby gegen denselben Gegner innerhalb von zwei Wochen. Es wären eigentlich selbst für zögernde helvetische Funktionäre gute Gelegenheiten, sich ein Bild über den Formstand ihres ehemaligen Hoffnungsträgers zu verschaffen und den eingeschlafenen Kontakt wiederzubeleben. Denn im Hinblick auf die Euro 08 würde es kaum schaden, wenn die Nationalmannschaft auf einen Goalie zählen könnte, der nicht nur gelegentlich einen Ball fängt.
Quelle: NZZ Online - http://www.nzz.ch/2007/04/28/sp/articleF50YG.html