Schweizer Journalisten des Landesverrats angeklagt (Spiegel)
Verfasst: 14.02.2007, 17:28
Schweizer Journalisten des Landesverrats angeklagt
Von Alexander Schwabe
Die Story machte weltweit Schlagzeilen: Schweizer Journalisten veröffentlichten 2006 ein Geheimpapier, das die Existenz geheimer CIA-Gefängnisse in Europa nahelegt. Jetzt sind sie des Landesverrats angeklagt, ihnen drohen fünf Jahre Haft.
Hamburg - Vor gut einem Jahr tobte in Europa eine hitzige Debatte darüber, ob die USA auf dem alten Kontinent Geheimgefängnisse unterhielten. CIA-Gefängnisse vermutete man in Polen und Rumänien. Darin sollen mutmaßliche Mitglieder des Qaida-Netzwerks menschenrechtswidrig festgehalten und gefoltert worden sein. Dann seien die hochrangigen Terroristen nach Nordafrika geflogen worden, berichteten US-Sender.
Genau zu dieser Zeit, Anfang Januar 2006, sorgte ein als "ND-Geheim" klassifiziertes Dokument mit dem Titel "Report COMINT SAT" für Aufregung, das der Schweizer Boulevardzeitung "Sonntagsblick" zugegangen war. Das brisante Papier kam aus der "Führungsunterstützungsbasis der Armee" (FUB-EKF). Es galt als wichtiges Indiz dafür, dass die USA tatsächlich in Europa Geheimgefängnisse unterhielten. Nun hat die Schweiz Anklage gegen die drei Journalisten erhoben, die den Inhalt des Geheimdokuments veröffentlicht haben. Wegen der "Verletzung militärischer Geheimnisse" droht ihnen fünf Jahre Haft.
Die abgefangene Nachricht war eine Depesche des ägyptischen Außenministers Ahmed Abu Gheit an seinen Botschafter in London. Darin hieß es: "Die Botschaft hat aus eigenen Quellen erfahren, dass tatsächlich 23 irakische und afghanische Bürger auf dem Stützpunkt Mihail Kogalniceanu in der Nähe der (rumänischen; Anm. der Red.) Stadt Constanza am Schwarzen Meer verhört wurden. Ähnliche Verhörzentren gibt es in der Ukraine, im Kosovo, in Mazedonien und Bulgarien." Der Schweizer Auslandsgeheimdienst SND überschrieb die abgefangene Botschaft mit den Worten: "Die Ägypter verfügen über Quellen, welche die Existenz amerikanischer Geheimgefängnisse bestätigen."
Harte Gangart gegen die Journalisten
Die Schweizer Regierung schlug umgehend eine harte Gangart ein. Es galt die undichte Stelle - den "Verräter", wie der Vorsitzende des parlamentarischen Kontrollgremiums der Geheimdienste sagte - im Verteidigungsministerium auszumachen. Und es galt ein Exempel gegen die Presse zu statuieren, die "wissentlich und willentlich" das Geheimpapier veröffentlicht hatte. Führende Militärs drohten den Autoren des Artikels, Sandro Brotz und Beat Jost, und dem verantwortlichen Chefredakteur Christoph Grenacher "gravierende Konsequenzen" an.
Ein Jahr lang bereiteten die Behörden die Anklageschrift vor. Darin heißt es, die Veröffentlichung der Geheimnotiz lasse Rückschlüsse zu auf "Organisationen, Personen, Fähigkeiten, Quellen, Arbeitsgebiete und Methoden des SND". Dies treffe den Lebensnerv des Geheimdiensts.
Wegen der Veröffentlichung der abgefangenen Nachricht hätten andere Staaten bereits "Gegenmaßnahmen im elektronischen Bereich getroffen", heißt es weiter. Bisher genutzte Quellen seien versiegt. "Einzelpersonen, die in Konfliktregionen oder im terroristischen Umfeld tätig" sind, seien "entsprechend gefährdet". Die Publikation des Report COMINT habe "die Informationsbeschaffung durch den SND massiv beeinträchtigt". Die Schwächung des Geheimdienstes gefährde die "Auftragserfüllung der Armee".
"Wir sind Journalisten, keine Juristen"
Der Prozess gegen Brotz, Jost und Grenacher soll im April vor einem Militärgericht in St. Gallen beginnen - voraussichtlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ein Sprecher des Militärgerichts erklärte, die Geheimhaltung der Umstände mache es erforderlich, dass die Befragung der Angeklagten und der Zeugen, sowie die Plädoyers von Anklage und Verteidigung vermutlich "hinter verschlossenen Türen" stattfinde. Die Journalisten aber kündigen bereits an, dass sie nicht still halten werden. "Wir werden den Prozess an die Öffentlichkeit tragen", kündigt Brotz im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE an. "Wir sind Journalisten, keine Juristen."
Bis heute ist nicht bekannt, ob das Leck innerhalb der Geheimdienste gefunden ist. Nach Recherchen von Brotz und Jost war nach der Veröffentlichung der abgefangenen Nachricht im "Pentagon" - so nennt der Berner Volksmund das Hauptquartier des Geheimdiensts - "der Teufel los". In ihrem Buch "CIA-Gefängnisse in Europa" schreiben sie, dort habe nach der Veröffentlichung ein "spürbares Klima des gegenseitigen Misstrauens" geherrscht.
Hektische Betriebsamkeit bestimmte das Bild. Zwei Verdächtige gerieten ins Visier der Fahnder. Vergangenen Mai wurde Geheimdienstsprecher Roman Weissen verhaftet. Er saß eine Woche in Untersuchungshaft. Das Verfahren wurde von der Bundesanwaltschaft - nicht aber militärstrafrechtlich - eingestellt. "Er war nachweislich nicht unsere Quelle", sagt Brotz. Genauso wenig wie Marco Osswald, ehemaliger Sprecher von Verteidigungsminister Samuel Schmid, der am Arbeitsplatz abgeführt wurde und dessen Haus durchsucht wurde.
"Wir erkennen die Militärjustiz nicht an"
Vermutlich hatte ein abgehörtes Telefonat zwischen Weissen und Oswald den Justizapparat auf die beiden gebracht: "Wir wollten uns zum Mittagessen verabreden und dabei fragte ich meinen Kollegen scherzhaft, ob ich die Einladung per Fax schicken solle", argwöhnt Osswald in Anspielung auf das abgefangene Geheim-Fax.
Dann setzten die Ermittler auf die Vorladung des Chefredakteurs Grenacher. Doch die Hoffnung zerschlug sich: "Ich anerkenne Ihre Zuständigkeit für diesen Fall nicht", entgegnete Grenacher dem ermittelnden Major bei der Militärjustiz. Nach elf Minuten verließ der Chefredakteur mit seinem Anwalt den Raum.
Diese Strategie werden auch Brotz und Jost im Verfahren wählen. "Wir erkennen die Militärjustiz als Institution nicht an", sagt Brotz. Richter in Uniform kann er nicht akzeptieren. Es gibt jedoch keine Möglichkeit, den Fall vor ein ziviles Gericht zu bringen. Auch zwei mögliche Berufungsinstanzen liegen beim Militär.
Unterstützung von OSZE und Reporter ohne Grenzen
Internationale Stellen unterstützen die Schweizer Journalisten. Miklos Haraszti, OSZE-Beauftragter für Medienfreiheit, beschwert sich in einem Brief an Schweizer Bundesräte über zwei Mängel im schweizerischen Strafrecht. Dieses trage nur den Geheimhaltungsbedürfnissen des Staates Rechnung, nicht aber dem Anspruch der Öffentlichkeit auf Information. Außerdem mache es keinen Unterschied zwischen Amtspersonen, die vertraglich zur Diskretion verpflichtet sind, und Außenstehenden, die Indiskretionen weiterberichten.
Reporter ohne Grenzen fordern in einem offenen Brief an den Schweizer Justizminister Christoph Blocher, die Behörden dürften nicht Medienschaffende bestrafen, die ihrer Pflicht nachkamen, die Öffentlichkeit zu informieren. Brotz sagt, man frage sich, ob in der Schweiz etwas mit der Pressefreiheit nicht stimme, wenn Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, die sonst in Burkina Faso oder Swaziland aktiv würden, plötzlich die Schweiz kritisierten.
Und die britische Europaparlamentarierin und stellvertretende Vorsitzende des Untersuchungsausschusses der CIA-Affäre in Straßburg, Baroness Sarah Ludfor, fragt: "Was ist die größere Sünde - der angebliche Geheimnisverrat oder Verstöße gegen die Menschenrechte und der Versuch, sie zu vertuschen?" Auch Dick Marty, Sonderermittler des Europarats in der CIA-Affäre, stellt sich hinter die Journalisten: "Ich glaube, die Frage der Menschenrechte ist höher zu gewichten als ein Geheimnisverrat."
Trost für die Angeklagten: Die Zeitschrift "Schweizer Journalist" zeichnete sie in der Kategorie "Recherche" aus - "weil sie die CIA-Affäre aufdeckten und Recht bekamen" und "weil sie damit die harmoniesüchtige Schweiz aufmischten".
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 18,00.html
Von Alexander Schwabe
Die Story machte weltweit Schlagzeilen: Schweizer Journalisten veröffentlichten 2006 ein Geheimpapier, das die Existenz geheimer CIA-Gefängnisse in Europa nahelegt. Jetzt sind sie des Landesverrats angeklagt, ihnen drohen fünf Jahre Haft.
Hamburg - Vor gut einem Jahr tobte in Europa eine hitzige Debatte darüber, ob die USA auf dem alten Kontinent Geheimgefängnisse unterhielten. CIA-Gefängnisse vermutete man in Polen und Rumänien. Darin sollen mutmaßliche Mitglieder des Qaida-Netzwerks menschenrechtswidrig festgehalten und gefoltert worden sein. Dann seien die hochrangigen Terroristen nach Nordafrika geflogen worden, berichteten US-Sender.
Genau zu dieser Zeit, Anfang Januar 2006, sorgte ein als "ND-Geheim" klassifiziertes Dokument mit dem Titel "Report COMINT SAT" für Aufregung, das der Schweizer Boulevardzeitung "Sonntagsblick" zugegangen war. Das brisante Papier kam aus der "Führungsunterstützungsbasis der Armee" (FUB-EKF). Es galt als wichtiges Indiz dafür, dass die USA tatsächlich in Europa Geheimgefängnisse unterhielten. Nun hat die Schweiz Anklage gegen die drei Journalisten erhoben, die den Inhalt des Geheimdokuments veröffentlicht haben. Wegen der "Verletzung militärischer Geheimnisse" droht ihnen fünf Jahre Haft.
Die abgefangene Nachricht war eine Depesche des ägyptischen Außenministers Ahmed Abu Gheit an seinen Botschafter in London. Darin hieß es: "Die Botschaft hat aus eigenen Quellen erfahren, dass tatsächlich 23 irakische und afghanische Bürger auf dem Stützpunkt Mihail Kogalniceanu in der Nähe der (rumänischen; Anm. der Red.) Stadt Constanza am Schwarzen Meer verhört wurden. Ähnliche Verhörzentren gibt es in der Ukraine, im Kosovo, in Mazedonien und Bulgarien." Der Schweizer Auslandsgeheimdienst SND überschrieb die abgefangene Botschaft mit den Worten: "Die Ägypter verfügen über Quellen, welche die Existenz amerikanischer Geheimgefängnisse bestätigen."
Harte Gangart gegen die Journalisten
Die Schweizer Regierung schlug umgehend eine harte Gangart ein. Es galt die undichte Stelle - den "Verräter", wie der Vorsitzende des parlamentarischen Kontrollgremiums der Geheimdienste sagte - im Verteidigungsministerium auszumachen. Und es galt ein Exempel gegen die Presse zu statuieren, die "wissentlich und willentlich" das Geheimpapier veröffentlicht hatte. Führende Militärs drohten den Autoren des Artikels, Sandro Brotz und Beat Jost, und dem verantwortlichen Chefredakteur Christoph Grenacher "gravierende Konsequenzen" an.
Ein Jahr lang bereiteten die Behörden die Anklageschrift vor. Darin heißt es, die Veröffentlichung der Geheimnotiz lasse Rückschlüsse zu auf "Organisationen, Personen, Fähigkeiten, Quellen, Arbeitsgebiete und Methoden des SND". Dies treffe den Lebensnerv des Geheimdiensts.
Wegen der Veröffentlichung der abgefangenen Nachricht hätten andere Staaten bereits "Gegenmaßnahmen im elektronischen Bereich getroffen", heißt es weiter. Bisher genutzte Quellen seien versiegt. "Einzelpersonen, die in Konfliktregionen oder im terroristischen Umfeld tätig" sind, seien "entsprechend gefährdet". Die Publikation des Report COMINT habe "die Informationsbeschaffung durch den SND massiv beeinträchtigt". Die Schwächung des Geheimdienstes gefährde die "Auftragserfüllung der Armee".
"Wir sind Journalisten, keine Juristen"
Der Prozess gegen Brotz, Jost und Grenacher soll im April vor einem Militärgericht in St. Gallen beginnen - voraussichtlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ein Sprecher des Militärgerichts erklärte, die Geheimhaltung der Umstände mache es erforderlich, dass die Befragung der Angeklagten und der Zeugen, sowie die Plädoyers von Anklage und Verteidigung vermutlich "hinter verschlossenen Türen" stattfinde. Die Journalisten aber kündigen bereits an, dass sie nicht still halten werden. "Wir werden den Prozess an die Öffentlichkeit tragen", kündigt Brotz im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE an. "Wir sind Journalisten, keine Juristen."
Bis heute ist nicht bekannt, ob das Leck innerhalb der Geheimdienste gefunden ist. Nach Recherchen von Brotz und Jost war nach der Veröffentlichung der abgefangenen Nachricht im "Pentagon" - so nennt der Berner Volksmund das Hauptquartier des Geheimdiensts - "der Teufel los". In ihrem Buch "CIA-Gefängnisse in Europa" schreiben sie, dort habe nach der Veröffentlichung ein "spürbares Klima des gegenseitigen Misstrauens" geherrscht.
Hektische Betriebsamkeit bestimmte das Bild. Zwei Verdächtige gerieten ins Visier der Fahnder. Vergangenen Mai wurde Geheimdienstsprecher Roman Weissen verhaftet. Er saß eine Woche in Untersuchungshaft. Das Verfahren wurde von der Bundesanwaltschaft - nicht aber militärstrafrechtlich - eingestellt. "Er war nachweislich nicht unsere Quelle", sagt Brotz. Genauso wenig wie Marco Osswald, ehemaliger Sprecher von Verteidigungsminister Samuel Schmid, der am Arbeitsplatz abgeführt wurde und dessen Haus durchsucht wurde.
"Wir erkennen die Militärjustiz nicht an"
Vermutlich hatte ein abgehörtes Telefonat zwischen Weissen und Oswald den Justizapparat auf die beiden gebracht: "Wir wollten uns zum Mittagessen verabreden und dabei fragte ich meinen Kollegen scherzhaft, ob ich die Einladung per Fax schicken solle", argwöhnt Osswald in Anspielung auf das abgefangene Geheim-Fax.
Dann setzten die Ermittler auf die Vorladung des Chefredakteurs Grenacher. Doch die Hoffnung zerschlug sich: "Ich anerkenne Ihre Zuständigkeit für diesen Fall nicht", entgegnete Grenacher dem ermittelnden Major bei der Militärjustiz. Nach elf Minuten verließ der Chefredakteur mit seinem Anwalt den Raum.
Diese Strategie werden auch Brotz und Jost im Verfahren wählen. "Wir erkennen die Militärjustiz als Institution nicht an", sagt Brotz. Richter in Uniform kann er nicht akzeptieren. Es gibt jedoch keine Möglichkeit, den Fall vor ein ziviles Gericht zu bringen. Auch zwei mögliche Berufungsinstanzen liegen beim Militär.
Unterstützung von OSZE und Reporter ohne Grenzen
Internationale Stellen unterstützen die Schweizer Journalisten. Miklos Haraszti, OSZE-Beauftragter für Medienfreiheit, beschwert sich in einem Brief an Schweizer Bundesräte über zwei Mängel im schweizerischen Strafrecht. Dieses trage nur den Geheimhaltungsbedürfnissen des Staates Rechnung, nicht aber dem Anspruch der Öffentlichkeit auf Information. Außerdem mache es keinen Unterschied zwischen Amtspersonen, die vertraglich zur Diskretion verpflichtet sind, und Außenstehenden, die Indiskretionen weiterberichten.
Reporter ohne Grenzen fordern in einem offenen Brief an den Schweizer Justizminister Christoph Blocher, die Behörden dürften nicht Medienschaffende bestrafen, die ihrer Pflicht nachkamen, die Öffentlichkeit zu informieren. Brotz sagt, man frage sich, ob in der Schweiz etwas mit der Pressefreiheit nicht stimme, wenn Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, die sonst in Burkina Faso oder Swaziland aktiv würden, plötzlich die Schweiz kritisierten.
Und die britische Europaparlamentarierin und stellvertretende Vorsitzende des Untersuchungsausschusses der CIA-Affäre in Straßburg, Baroness Sarah Ludfor, fragt: "Was ist die größere Sünde - der angebliche Geheimnisverrat oder Verstöße gegen die Menschenrechte und der Versuch, sie zu vertuschen?" Auch Dick Marty, Sonderermittler des Europarats in der CIA-Affäre, stellt sich hinter die Journalisten: "Ich glaube, die Frage der Menschenrechte ist höher zu gewichten als ein Geheimnisverrat."
Trost für die Angeklagten: Die Zeitschrift "Schweizer Journalist" zeichnete sie in der Kategorie "Recherche" aus - "weil sie die CIA-Affäre aufdeckten und Recht bekamen" und "weil sie damit die harmoniesüchtige Schweiz aufmischten".
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 18,00.html