Ost-Vereine und was aus ihnen wurde
Verfasst: 10.02.2005, 14:45
Ost-Vereine
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Mit Mielke und Maradona
Von Thorsten Stegemann
Wer einen guten Empfang hatte, konnte früher samstags vor der "Sportschau" die Spiele der DDR-Oberliga verfolgen. In einer dreiteiligen Serie zeigt SPIEGEL ONLINE, was aus einigen der sozialistischen Elite-Clubs wurde. Den Anfang machen ein umstrittener Rekordmeister, ein Kreisklassen-Kultverein und ein abgerüsteter Armeeclub.
Mit einem neuen Trainer, den bis dato nur Insider kannten, begann in der Saison 1977/78 eine der größten Erfolgsgeschichten im DDR-Fußball. Jürgen Bogs führte den 1966 in Berlin gegründeten BFC Dynamo auf den dritten Platz, anschließend wurde der Verein, in dem auch die späteren Bundesligaspieler Falko Götz, Thomas Doll oder Andreas Thom aktiv waren, zehnmal nacheinander DDR-Meister.
Der Lieblingsverein von Stasi-Chef Erich Mielke hatte im Rest der Republik jedoch einen denkbar schlechten Ruf, da die Berliner ganz offensichtlich begünstigt und Entscheidungen der Schiedsrichter gezielt beeinflusst wurden. "Schiebermeister BFC" skandierten die gegnerischen Fans, die sich nach dem Fall der Mauer in ihrem Argwohn bestätigt sahen. Ohne staatliche Rückendeckung geriet der hoch verschuldete Verein ins Trudeln, stürzte in die Verbandsliga ab und musste schließlich ein Insolvenzverfahren über sich ergehen lassen.
Immer neue Schlagzeilen sorgten für weitere Unruhe beim Berliner Club. Eine Fernseh-Dokumentation nährte den Verdacht, dass der frühere BFC-Spieler Lutz Eigendorf, der sich 1979 in den Westen abgesetzt hatte, vier Jahre später von der Stasi ermordet wurde.
Im November vergangenen Jahres wurde der ehemalige Torwart des BFC, Werner Lihsa, vom Landgericht Berlin zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der 61-jährige Ex-Nationalspieler hatte seine zweite Ehefrau getötet. Das Gericht war überzeugt, dass der Auslöser für Lihsas Tat dessen Alkoholkonsum war, deshalb wurde das Delikt als ein minderschwerer Fall des Totschlags bewertet.
Der BFC, der von 1990 bis 1999 FC Berlin genannt wurde, spielt heute wieder in der Oberliga, die in gesamtdeutscher Perspektive allerdings nur viertklassig ist. Mittelfristig sollen wieder höhere Regionen angepeilt werden.
Die Erfolge des VfB Leipzig liegen noch länger zurück als die des BFC, sind aber ebenso unvergessen - und weniger umstritten. Mit einem 7:2 gegen den DFC Prag gewannen die Sachsen 1903 die erste deutsche Fußballmeisterschaft.
Es folgten zwei weitere Meistertitel (1906 und 1913), ein Pokalsieg (1936) und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zahllose Umbenennungen. Allerdings waren die Verantwortlichen weder mit "SG Probstheida", "BSG Erich Zeigner Probstheida Leipzig", "BSG Einheit Ost", "SC Rotation Leipzig" noch mit der schlanken Bezeichnung "SC Leipzig" zufrieden. 1966 einigte man sich dann auf den 1. FC Lokomotive Leipzig.
Unter dem neuen Vereinsnamen holte "die Loksche", wie der Club im Volksmund hieß, viermal den FDGB-Pokal, drei Vizemeisterschaften und erreichte mit Topstürmer Olaf Marschall 1987 sogar das Finale im Europapokal der Pokalsieger. Der Aufstieg in die Bundesliga 1993 war für den Traditionsclub der Höhepunkt. Zehn Jahre später war der VfB bankrott.
Im Dezember 2003 entschloss sich der Koch Steffen Kubald dann zur Aufsehen erregenden Neugründung des 1. FC Lok Leipzig. Der spielt als Neuling zwar vorerst nur in der elften Liga, hat aber jede Menge Spaß und schickt beim regulären Punktspiel auch schon mal die 62-jährige Vereinslegende Henning Frenzel ins Rennen. Beim Comeback der Lokomotive kamen fast 13.000 Zuschauer ins Leipziger WM-Stadion. Demnächst soll sogar der westdeutsche Rekordnationalspieler Lothar Matthäus das Trikot des sächsischen Kultclubs überstreifen - und Europameister Otto Rehhagel für ebenfalls ein Spiel auf der Trainerbank Platz nehmen.
Nöldner, der "DDR-Puskas"
Für weitaus weniger Aufsehen sorgt derzeit der Nachfolger eines anderen Traditionsvereins: Viktoria Frankfurt an der Oder. Im Mai 2003 stiegen die Brandenburger in die Oberliga auf, doch dort hielt sich der Club nicht lange: Nach nur einem Jahr mussten die Frankfurter wieder den Rückweg antreten und setzen sich nun einmal mehr mit Luckenwalde, Altlüdersdorf und dem BSV Guben Nord auseinander.
Den älteren Zuschauern läuft es dabei kalt den Rücken herunter, denn der Armeesportklub ASK Vorwärts Berlin, aus dem der FC Vorwärts Frankfurt "nach einem Beschluss der Leitung des Ministeriums für Nationale Verteidigung" 1971 hervorgegangen war, wurde immerhin sechsmal DDR-Meister und holte zwei Pokalsiege.
Als überragender Vorwärts-Spieler gilt der heutige "Kicker"-Redakteur Jürgen "Kuppe" Nöldner. Der hoch talentierte "DDR-Puskas", so der ehemalige Nationaltrainer Karoly Soos, schoss 1965 gegen Österreich das schnellste Länderspieltor der ostdeutschen Auswahl aller Zeiten und wurde 1966 Fußballer des Jahres.
Für den nach Frankfurt an der Oder abkommandierten Nachfolger, bei dem unter anderem der spätere Nationalspieler und BVB-Profi Jörg Heinrich unter Vertrag stand, reichte es in den achtziger Jahren noch zu einer Vizemeisterschaft.
Im zweiten Teil der Serie lesen Sie am Donnerstag, dem 17. Februar 2005, was aus Jena, Brandenburg und der SG Planitz wurde.
http://www.spiegel.de/sport/fussball/0, ... 79,00.html
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Mit Mielke und Maradona
Von Thorsten Stegemann
Wer einen guten Empfang hatte, konnte früher samstags vor der "Sportschau" die Spiele der DDR-Oberliga verfolgen. In einer dreiteiligen Serie zeigt SPIEGEL ONLINE, was aus einigen der sozialistischen Elite-Clubs wurde. Den Anfang machen ein umstrittener Rekordmeister, ein Kreisklassen-Kultverein und ein abgerüsteter Armeeclub.
Mit einem neuen Trainer, den bis dato nur Insider kannten, begann in der Saison 1977/78 eine der größten Erfolgsgeschichten im DDR-Fußball. Jürgen Bogs führte den 1966 in Berlin gegründeten BFC Dynamo auf den dritten Platz, anschließend wurde der Verein, in dem auch die späteren Bundesligaspieler Falko Götz, Thomas Doll oder Andreas Thom aktiv waren, zehnmal nacheinander DDR-Meister.
Der Lieblingsverein von Stasi-Chef Erich Mielke hatte im Rest der Republik jedoch einen denkbar schlechten Ruf, da die Berliner ganz offensichtlich begünstigt und Entscheidungen der Schiedsrichter gezielt beeinflusst wurden. "Schiebermeister BFC" skandierten die gegnerischen Fans, die sich nach dem Fall der Mauer in ihrem Argwohn bestätigt sahen. Ohne staatliche Rückendeckung geriet der hoch verschuldete Verein ins Trudeln, stürzte in die Verbandsliga ab und musste schließlich ein Insolvenzverfahren über sich ergehen lassen.
Immer neue Schlagzeilen sorgten für weitere Unruhe beim Berliner Club. Eine Fernseh-Dokumentation nährte den Verdacht, dass der frühere BFC-Spieler Lutz Eigendorf, der sich 1979 in den Westen abgesetzt hatte, vier Jahre später von der Stasi ermordet wurde.
Im November vergangenen Jahres wurde der ehemalige Torwart des BFC, Werner Lihsa, vom Landgericht Berlin zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der 61-jährige Ex-Nationalspieler hatte seine zweite Ehefrau getötet. Das Gericht war überzeugt, dass der Auslöser für Lihsas Tat dessen Alkoholkonsum war, deshalb wurde das Delikt als ein minderschwerer Fall des Totschlags bewertet.
Der BFC, der von 1990 bis 1999 FC Berlin genannt wurde, spielt heute wieder in der Oberliga, die in gesamtdeutscher Perspektive allerdings nur viertklassig ist. Mittelfristig sollen wieder höhere Regionen angepeilt werden.
Die Erfolge des VfB Leipzig liegen noch länger zurück als die des BFC, sind aber ebenso unvergessen - und weniger umstritten. Mit einem 7:2 gegen den DFC Prag gewannen die Sachsen 1903 die erste deutsche Fußballmeisterschaft.
Es folgten zwei weitere Meistertitel (1906 und 1913), ein Pokalsieg (1936) und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zahllose Umbenennungen. Allerdings waren die Verantwortlichen weder mit "SG Probstheida", "BSG Erich Zeigner Probstheida Leipzig", "BSG Einheit Ost", "SC Rotation Leipzig" noch mit der schlanken Bezeichnung "SC Leipzig" zufrieden. 1966 einigte man sich dann auf den 1. FC Lokomotive Leipzig.
Unter dem neuen Vereinsnamen holte "die Loksche", wie der Club im Volksmund hieß, viermal den FDGB-Pokal, drei Vizemeisterschaften und erreichte mit Topstürmer Olaf Marschall 1987 sogar das Finale im Europapokal der Pokalsieger. Der Aufstieg in die Bundesliga 1993 war für den Traditionsclub der Höhepunkt. Zehn Jahre später war der VfB bankrott.
Im Dezember 2003 entschloss sich der Koch Steffen Kubald dann zur Aufsehen erregenden Neugründung des 1. FC Lok Leipzig. Der spielt als Neuling zwar vorerst nur in der elften Liga, hat aber jede Menge Spaß und schickt beim regulären Punktspiel auch schon mal die 62-jährige Vereinslegende Henning Frenzel ins Rennen. Beim Comeback der Lokomotive kamen fast 13.000 Zuschauer ins Leipziger WM-Stadion. Demnächst soll sogar der westdeutsche Rekordnationalspieler Lothar Matthäus das Trikot des sächsischen Kultclubs überstreifen - und Europameister Otto Rehhagel für ebenfalls ein Spiel auf der Trainerbank Platz nehmen.
Nöldner, der "DDR-Puskas"
Für weitaus weniger Aufsehen sorgt derzeit der Nachfolger eines anderen Traditionsvereins: Viktoria Frankfurt an der Oder. Im Mai 2003 stiegen die Brandenburger in die Oberliga auf, doch dort hielt sich der Club nicht lange: Nach nur einem Jahr mussten die Frankfurter wieder den Rückweg antreten und setzen sich nun einmal mehr mit Luckenwalde, Altlüdersdorf und dem BSV Guben Nord auseinander.
Den älteren Zuschauern läuft es dabei kalt den Rücken herunter, denn der Armeesportklub ASK Vorwärts Berlin, aus dem der FC Vorwärts Frankfurt "nach einem Beschluss der Leitung des Ministeriums für Nationale Verteidigung" 1971 hervorgegangen war, wurde immerhin sechsmal DDR-Meister und holte zwei Pokalsiege.
Als überragender Vorwärts-Spieler gilt der heutige "Kicker"-Redakteur Jürgen "Kuppe" Nöldner. Der hoch talentierte "DDR-Puskas", so der ehemalige Nationaltrainer Karoly Soos, schoss 1965 gegen Österreich das schnellste Länderspieltor der ostdeutschen Auswahl aller Zeiten und wurde 1966 Fußballer des Jahres.
Für den nach Frankfurt an der Oder abkommandierten Nachfolger, bei dem unter anderem der spätere Nationalspieler und BVB-Profi Jörg Heinrich unter Vertrag stand, reichte es in den achtziger Jahren noch zu einer Vizemeisterschaft.
Im zweiten Teil der Serie lesen Sie am Donnerstag, dem 17. Februar 2005, was aus Jena, Brandenburg und der SG Planitz wurde.
http://www.spiegel.de/sport/fussball/0, ... 79,00.html