Unschuldige Bolzerei
Verfasst: 27.10.2006, 14:45
Unschuldige Bolzerei
Von Michael Schindhelm
Die Krise des FC Basel wird herbeigeredet. Der Basler Elan kehrt zurück. Dem Trainer ist zuzurufen: «Durchhalten, Christian Gross.»
Dass der FCB einer meiner Favoriten in Sachen Schweizer Kulturgut geworden ist, hat viele Gründe. Da sind erst einmal die Vereinsfarben. Sehe ich eine FCB-Fahne, muss ich sofort an das Tessin denken, und wenn ich ans Tessin denke, geht mir das Herz weit auf. Dieser Erkennungseffekt ist so stark, dass er auch umgekehrt funktioniert. Bin ich im Tessin, muss ich an den FCB denken.
Meine Beziehung zum Verein ist platonisch. Dazu haben auch die legendären Fans beigetragen. Jacques Herzog und Pierre de Meuron gehören zu jenen Fans, die auch mit fünfzig noch mitspielen. Aller Selbstironie zum Trotz bekennt sich diese Spezies von Fan zum Glück und zum Leiden beim und am Spiel. Das Verlangen, mitspielen zu wollen, kann so weit führen, dass man dem Club seines Herzens ein neues Stadion baut. Und die zu diesem Zweck entwickelte Idee eines Fussballstadions gewissermassen in ein Vorbild kollektiver Öffentlichkeit verwandelt und zu weltweit aufsehenerregenden Stadionprojekten in München und Peking weiterentwickelt. Irgendwie hängt es mit dem Eros des FCB zusammen, dass die kommenden Olympischen Spiele in einem Stadion dieser Schweizer Architekten ausgetragen werden.
Ein anderer Typus Fan ist der gesellschaftlich interessierte Fan. Er hat den FCB als gesellschaftliche Plattform ausgewählt, weil er dort auf eine bedeutende Anzahl von anderen gesellschaftlichen Fans trifft, mit denen sich während des Matchs (natürlich in der VIP-Lounge) und die Woche über gut «schnuure» lässt. Der gesellschaftliche Fan fürchtet sich aus naheliegenden Gründen vor dem Offside.
Die dritte Kategorie Fan sitzt im «Joggeli» in der Muttenzer Kurve. (Ich hatte einmal Gelegenheit, einem in der Schweiz lebenden Ausländer klarzumachen, dass in der Muttenzer Kurve keineswegs nur Leute aus dieser Vorortgemeinde sitzen, sondern hinter der Kurve Muttenz liegt.) Vor einiger Zeit sorgte diese Kategorie bekanntlich für einen grossen Polizeieinsatz im Stadion und Bildnachrichten in den internationalen Medien. Das deutsche Abendfernsehen brachte die Aufnahmen von der Nebelschlacht im «Joggeli» in der vertraut mokanten Aufmachung: Guck mal an, die biederen Schweizer hauen sich jetzt auch die Birne ein! Diese Kategorie Fans würde ich die Fundis nennen. Unter ihnen gibt es dann noch die Extremisten, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken. Die meisten Fundis aber haben ihren Destruktionstrieb im Griff und können nur besonders laut pfeifen. Sie lassen sich nicht blenden und pfeifen selbstredend auch die eigene Truppe aus, wenn das Match nichts taugt. u203Au203Au203A
Es ist vermutlich die Mischung aus diesen und anderen Fan-Kategorien, die das FCB-Publikum zu einer Legende hat werden lassen. Ach, die goldenen Sechziger, ach, Benthaus!
Als ich Mitte der neunziger Jahre in die Stadt kam, lebte die Legende des FC Basel im Wesentlichen vom Hörensagen. Der Club war tief abgestiegen in die unteren Regionen der Nationalliga A. Interessant war, zu sehen, dass die Zuschauerzahlen nicht ganz so drastisch abgestiegen waren. Es kam bei Heimspielen vor, dass im «Joggeli» fast so viele Zuschauer gezählt wurden wie in den anderen Stadien der Nationalliga A an diesem Spieltag zusammen. Da wurde man als Theaterdirektor mit seinen nach eigenem Ermessen schönen Aufführungen und oft mittelmässigen Zuschauerzahlen schon mal nachdenklich. Heute würde ich sagen, es gibt einen spezifisch baslerischen, schizoiden Extremismus. Man ist entweder ganz unten oder ganz oben. Man ist Weltstadt (Kunst) und totale Provinz (Nightlife). Man ist heftig dagegen (FCB vor zehn Jahren) oder heftig dafür (FCB bis vor kurzem). Beides mit Begeisterung.
Dann wurde René Jäggi FCB-Präsident, und eine dunkle Ahnung, die wir vielleicht beide gehabt hatten, führte uns zusammen. Die Ahnung nämlich, dass es zwischen Theater und Fussball mindestens eine Parallele gibt. Wir trafen uns hin und wieder zum Lunch, um uns gegenseitig unser Leid zu klagen. Der Club spielte Fussball, ich machte Theater, wie einige relevante Kreise in der Stadt es nicht gern sahen.
Letzte Klarheit darüber, was an unserem Geschäft nicht funktionierte, haben mir diese Treffen nicht gebracht. Ich hatte allerdings die Gelegenheit, mich anlässlich einiger weniger Matchbesuche davon zu überzeugen, dass ich es nicht mehr zum Fan-Status bringen würde. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Pokalspiel gegen die Grasshoppers, an das ich mich im Grossen und Ganzen nicht mehr erinnere. Ausser, dass es kalt war und ich mit Jacques Herzog heissen Tee mit Schnaps schlürfte. In meiner Nähe stand eine zierliche blonde Frau (im Zelt für die gesellschaftlichen Fans). Wo ich nur eine unschuldige Bolzerei auf blassgrünem Acker unter einem niedrigen grauen Himmel sah, muss ihr die Vision eines für Schweizer Verhältnisse bespiellosen Blitzaufstiegs eines Fussballclubs gedämmert haben.
Jäggi hat jedenfalls eindeutig von unseren Treffen profitiert. Wir waren einander nämlich zu einem Zeitpunkt begegnet, als das Theater Basel mit einer grossangelegten Sammelaktion für das neu zu bauende Schauspielhaus begonnen hatte. Reiche Baslerinnen hatten mit Millionen einen Anfang gemacht und eine Stiftung zum Bau des Theaters gegründet. Ich glaube, Jäggi war ein bisschen neidisch und hatte den Ehrgeiz, diese Aktion noch zu überbieten. Das ist ihm dann ja auch gelungen. Mit dieser Frau aus dem Fan-Zelt.
Seit dieser Zeit bildeten eine deutsche Zuzügerin und ein Zürcher Trainer das Duo, das den Sieg für Basel garantiert. Wenn das Wort Coolness noch etwas bedeutet, dann im Zusammenhang mit den (privaten und öffentlichen) Auftritten von Christian Gross. Inzwischen soll er manchmal genervt sein. Ich möchte ihm zurufen: «Halte durch, Christian! Egal, ob es die Basler verdient haben...»
Dass der Stern des FCB derzeit am Sinken sei, ist natürlich in erster Linie gehässige Unterstellung aus Zürcher Kreisen. Die Frage ist doch, in welche Richtung der FCB unterwegs ist. Das Unerträgliche der derzeitigen Situation ist das Mittelfeld. Wenn schon nicht Uefa, Pokal und Meistertitel, dann lieber gegen den Abstieg kämpfen. Da käme wieder der alte Basler Elan zur Geltung.
Michael Schindhelm, 46, war von 1996 bis 2006 Direktor und Intendant des Theaters Basel. Heute ist er Generaldirektor der Stiftung Oper in Berlin. Eine ungekürzte Version dieses Textes wird in seinem Buch «Mein Abenteuer Schweiz» im Februar 2007 im Echtzeit-Verlag erscheinen.
aus: Weltwoche Nr. 43
Von Michael Schindhelm
Die Krise des FC Basel wird herbeigeredet. Der Basler Elan kehrt zurück. Dem Trainer ist zuzurufen: «Durchhalten, Christian Gross.»
Dass der FCB einer meiner Favoriten in Sachen Schweizer Kulturgut geworden ist, hat viele Gründe. Da sind erst einmal die Vereinsfarben. Sehe ich eine FCB-Fahne, muss ich sofort an das Tessin denken, und wenn ich ans Tessin denke, geht mir das Herz weit auf. Dieser Erkennungseffekt ist so stark, dass er auch umgekehrt funktioniert. Bin ich im Tessin, muss ich an den FCB denken.
Meine Beziehung zum Verein ist platonisch. Dazu haben auch die legendären Fans beigetragen. Jacques Herzog und Pierre de Meuron gehören zu jenen Fans, die auch mit fünfzig noch mitspielen. Aller Selbstironie zum Trotz bekennt sich diese Spezies von Fan zum Glück und zum Leiden beim und am Spiel. Das Verlangen, mitspielen zu wollen, kann so weit führen, dass man dem Club seines Herzens ein neues Stadion baut. Und die zu diesem Zweck entwickelte Idee eines Fussballstadions gewissermassen in ein Vorbild kollektiver Öffentlichkeit verwandelt und zu weltweit aufsehenerregenden Stadionprojekten in München und Peking weiterentwickelt. Irgendwie hängt es mit dem Eros des FCB zusammen, dass die kommenden Olympischen Spiele in einem Stadion dieser Schweizer Architekten ausgetragen werden.
Ein anderer Typus Fan ist der gesellschaftlich interessierte Fan. Er hat den FCB als gesellschaftliche Plattform ausgewählt, weil er dort auf eine bedeutende Anzahl von anderen gesellschaftlichen Fans trifft, mit denen sich während des Matchs (natürlich in der VIP-Lounge) und die Woche über gut «schnuure» lässt. Der gesellschaftliche Fan fürchtet sich aus naheliegenden Gründen vor dem Offside.
Die dritte Kategorie Fan sitzt im «Joggeli» in der Muttenzer Kurve. (Ich hatte einmal Gelegenheit, einem in der Schweiz lebenden Ausländer klarzumachen, dass in der Muttenzer Kurve keineswegs nur Leute aus dieser Vorortgemeinde sitzen, sondern hinter der Kurve Muttenz liegt.) Vor einiger Zeit sorgte diese Kategorie bekanntlich für einen grossen Polizeieinsatz im Stadion und Bildnachrichten in den internationalen Medien. Das deutsche Abendfernsehen brachte die Aufnahmen von der Nebelschlacht im «Joggeli» in der vertraut mokanten Aufmachung: Guck mal an, die biederen Schweizer hauen sich jetzt auch die Birne ein! Diese Kategorie Fans würde ich die Fundis nennen. Unter ihnen gibt es dann noch die Extremisten, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken. Die meisten Fundis aber haben ihren Destruktionstrieb im Griff und können nur besonders laut pfeifen. Sie lassen sich nicht blenden und pfeifen selbstredend auch die eigene Truppe aus, wenn das Match nichts taugt. u203Au203Au203A
Es ist vermutlich die Mischung aus diesen und anderen Fan-Kategorien, die das FCB-Publikum zu einer Legende hat werden lassen. Ach, die goldenen Sechziger, ach, Benthaus!
Als ich Mitte der neunziger Jahre in die Stadt kam, lebte die Legende des FC Basel im Wesentlichen vom Hörensagen. Der Club war tief abgestiegen in die unteren Regionen der Nationalliga A. Interessant war, zu sehen, dass die Zuschauerzahlen nicht ganz so drastisch abgestiegen waren. Es kam bei Heimspielen vor, dass im «Joggeli» fast so viele Zuschauer gezählt wurden wie in den anderen Stadien der Nationalliga A an diesem Spieltag zusammen. Da wurde man als Theaterdirektor mit seinen nach eigenem Ermessen schönen Aufführungen und oft mittelmässigen Zuschauerzahlen schon mal nachdenklich. Heute würde ich sagen, es gibt einen spezifisch baslerischen, schizoiden Extremismus. Man ist entweder ganz unten oder ganz oben. Man ist Weltstadt (Kunst) und totale Provinz (Nightlife). Man ist heftig dagegen (FCB vor zehn Jahren) oder heftig dafür (FCB bis vor kurzem). Beides mit Begeisterung.
Dann wurde René Jäggi FCB-Präsident, und eine dunkle Ahnung, die wir vielleicht beide gehabt hatten, führte uns zusammen. Die Ahnung nämlich, dass es zwischen Theater und Fussball mindestens eine Parallele gibt. Wir trafen uns hin und wieder zum Lunch, um uns gegenseitig unser Leid zu klagen. Der Club spielte Fussball, ich machte Theater, wie einige relevante Kreise in der Stadt es nicht gern sahen.
Letzte Klarheit darüber, was an unserem Geschäft nicht funktionierte, haben mir diese Treffen nicht gebracht. Ich hatte allerdings die Gelegenheit, mich anlässlich einiger weniger Matchbesuche davon zu überzeugen, dass ich es nicht mehr zum Fan-Status bringen würde. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Pokalspiel gegen die Grasshoppers, an das ich mich im Grossen und Ganzen nicht mehr erinnere. Ausser, dass es kalt war und ich mit Jacques Herzog heissen Tee mit Schnaps schlürfte. In meiner Nähe stand eine zierliche blonde Frau (im Zelt für die gesellschaftlichen Fans). Wo ich nur eine unschuldige Bolzerei auf blassgrünem Acker unter einem niedrigen grauen Himmel sah, muss ihr die Vision eines für Schweizer Verhältnisse bespiellosen Blitzaufstiegs eines Fussballclubs gedämmert haben.
Jäggi hat jedenfalls eindeutig von unseren Treffen profitiert. Wir waren einander nämlich zu einem Zeitpunkt begegnet, als das Theater Basel mit einer grossangelegten Sammelaktion für das neu zu bauende Schauspielhaus begonnen hatte. Reiche Baslerinnen hatten mit Millionen einen Anfang gemacht und eine Stiftung zum Bau des Theaters gegründet. Ich glaube, Jäggi war ein bisschen neidisch und hatte den Ehrgeiz, diese Aktion noch zu überbieten. Das ist ihm dann ja auch gelungen. Mit dieser Frau aus dem Fan-Zelt.
Seit dieser Zeit bildeten eine deutsche Zuzügerin und ein Zürcher Trainer das Duo, das den Sieg für Basel garantiert. Wenn das Wort Coolness noch etwas bedeutet, dann im Zusammenhang mit den (privaten und öffentlichen) Auftritten von Christian Gross. Inzwischen soll er manchmal genervt sein. Ich möchte ihm zurufen: «Halte durch, Christian! Egal, ob es die Basler verdient haben...»
Dass der Stern des FCB derzeit am Sinken sei, ist natürlich in erster Linie gehässige Unterstellung aus Zürcher Kreisen. Die Frage ist doch, in welche Richtung der FCB unterwegs ist. Das Unerträgliche der derzeitigen Situation ist das Mittelfeld. Wenn schon nicht Uefa, Pokal und Meistertitel, dann lieber gegen den Abstieg kämpfen. Da käme wieder der alte Basler Elan zur Geltung.
Michael Schindhelm, 46, war von 1996 bis 2006 Direktor und Intendant des Theaters Basel. Heute ist er Generaldirektor der Stiftung Oper in Berlin. Eine ungekürzte Version dieses Textes wird in seinem Buch «Mein Abenteuer Schweiz» im Februar 2007 im Echtzeit-Verlag erscheinen.
aus: Weltwoche Nr. 43