Deutschland, wir kommen!
Verfasst: 21.05.2006, 01:11

An die 40.000 Polizisten werden alleine rund um die Stadien für die Sicherheit an der WM sorgen. Dazu kommen tausende, die Videoleinwände, öffentliche Plätze und Mannschaftsquartiere überwachen. Etwa 150 Beamte sind rund um die Uhr damit beschäftigt, alle Informationen über das Treiben der Hooligans auszuwerten. Deutschland ist vorbereitet. Und doch geht die Angst um. Die Angst vor Fans, die nur eines kennen: Hass. Kommen die gefürchteten Engländer? Die Holländer? Oder die Hools aus Polen, deren Gewaltbereitschaft keine Grenzen kennt? Seit den Ausschreitungen am letzten Wochenende in Basel haben die deutschen Behörden auch die Fans aus der Schweiz genau im Auge
Text: Stefan Krücken
Bilder: Andreas Meier / SPB (Titel); EQ Images (Teaser)
Basel, Warschau, Berlin:
Es ist Samstag, der 13. Mai. Es sind noch 27 Tage bis zum Eröffnungsspiel. Live und fassungslos verfolgt die Schweizer Öffentlichkeit im Fernsehen, wie Basler Hooligans nach der Niederlage ihrer Mannschaft den Platz stürmen und Spieler des FC Zürich angreifen. Einer Hundertschaft der Polizei gelingt es, die Randalierer mit Gummischrot zurückzudrängen. Tränengasschwaden treiben durch die Nacht, auf den Strassen liegen umgekippte Autos. Die Zuschauer fliehen in Panik. Bilanz: mehr als 130 Verletzte, 25 Festnahmen. Der Sachschaden beträgt mehrere hunderttausend Franken. «Die Schande von Basel», titelt der SonntagsBlick.
Warschau, Innenstadt:
Nach dem Spiel Legia Warschau gegen Wisla Krakau attackieren in der Altstadt mehrere hundert Hooligans die Polizei. Die Beamten verteidigen sich mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken. Bilanz der Nacht: Mehr als 200 Festnahmen, es gibt dutzende Verletzte, darunter allein 30 Polizisten. Berlin, Sportforum Höhenschönhausen: Das Viertligaspiel zwischen BFC Dynamo und Union Berlin wird abgebrochen, als Hooligans des BFC das Spielfeld stürmen. Mehr als 1000 Polizisten und 200 Ordner können die anschliessenden Massenschlägereien nicht verhindern. Beamte werden mit Steinwürfen und Flaschen angegriffen. Bilanz: 33 Festnahmen, fünf Verletzte. Der Berliner Tagesspiegel zitiert einen hochrangigen Polizisten: «Besonders die jungen Hools wollten sich profilieren.» Er meint: profilieren rechtzeitig vor der Fussball-Weltmeisterschaft.
Zürich: Der Hooligan
Seinen Zahnschutz hat Andi immer dabei, wenn er zu Spielen des FC Zürich geht. Andi heisst nicht Andi, aber seinen echten Namen soll niemand erfahren. Er ist 25, arbeitet im Büro einer Versicherung, trägt das Haar sehr kurz und bügelt sein Hemd ordentlich. In seiner Freizeit, wenn er nicht gerade jemandem eine Faust ins Gesicht rammen will, liest er gern Romane. Seine Familie, die Arbeitskollegen, seine Freunde u2013 niemand weiss etwas von seinem Doppelleben.
«Ich bin Hooligan», sagt Andi, «warum soll ich das an die grosse Glocke hängen?» Andi gehört zu den City Boys Zürich, einer jener Gruppen, wegen denen die Polizei mit einer kleinen Armee aufmarschiert, wegen der die Schweiz jetzt ein Hooligan-Gesetz diskutiert, und wegen der die Sicherheitsbehörden der Fussball-Weltmeisterschaft in Deutschland in höchster Alarmbereitschaft sind.
Sobald die WM-Spiele beginnen, möchte auch Andi dabei sein. Getreu dem offiziellen Motto «Die Welt zu Gast bei Freunden» plant er, Hooligan-Kollegen im Nachbarland zu besuchen. Die City Boys pflegen Kontakte zu deutschen Gruppen, mit denen sie gerne gemeinsam zuschlagen. Bei welchen Klubs? Bei welchen Spielen? Diese Fragen beantwortet Andi nicht.
Aber in der Szene erzählt man sich, dass Zürcher Hooligans gemeinsame Sache mit den berüchtigten Anhängern des BFC Dynamo Berlin machen, und dass die Bande Basel, die grösste Schweizer Gruppe, enge Beziehungen zu Dynamo Dresden hat. Erst vor kurzem verabredeten sich Hooligans beider Zürcher Vereine in der Nähe von Frankfurt, um sich mit deutschen Gegnern zu schlagen.
Andi trinkt einen Schluck Wasser. Misstrauisch mustert er die Gäste im Strassencafé unweit des Zürcher Hauptbahnhofs. «Besser, man sieht uns nicht zusammen», sagt er, «alle sind extrem nervös.» Nervös sind seine Mitstreiter der «Kategorie C», wie die Gewaltsucher im Fachjargon der Polizei heissen («Kategorie B» meint gewaltbereite Fans, «Kategorie A» friedliche Zuschauer). Nervös sind auch die Cops (so heissen die Polizisten im Vokabular der Hooligans). Nervös wegen der WM, wegen der Europameisterschaft 2008, wegen der allgemeinen Aufregung. «In der Szene halten sich momentan alle bedeckt», weiss Andi, «niemand will ein Stadionverbot riskieren.»
Von der Droge Gewalt will er deshalb aber nicht lassen. Das kann er gar nicht: «Ich brauche den Kick», sagt er. Das Adrenalin, den rauschähnlichen Zustand in den Momenten kurz vor der Schlägerei, wenn er den Zahnschutz in den Mund schiebt, auf die gegnerische Gruppe zuläuft und weiss, dass es jetzt kein Zurück mehr gibt. Dieses Hochgefühl, wie beim Bungee-Sprung, erklärt Andi, «nur viel besser und irgendwie grösser».
Denkt er darüber nach, dass er seinen Gegner womöglich schwer verletzt? Oder sogar tötet? Dass er Unbeteiligte gefährdet, die nur ein Fussballspiel sehen wollen? Andi zögert. «In melancholischen Momenten.» Und wie oft erlebt er solche melancholische Momente? «Immer mal wieder.»
Eigentlich ist Andi weder besonders gross, noch ist er besonders muskulös gebaut. Er wirkt eher wie ein zurückhaltender Typ. Er ist politisch konservativ eingestellt, «natürlich nicht» vorbestraft, wie er behauptet, und hat selbst bislang wenig abbekommen: da ein blaues Auge, dort eine aufgeplatzte Lippe. Einmal verletzte er sich an der Schulter. Im Büro und zu Hause erklärte er das mit einem «Sportunfall».
Was nicht einmal gelogen war, denn Andi, der schon als kleiner Junge die Spiele im Letzigrund besuchte und durch Reisen an Auswärtsspiele mit der Szene in Kontakt kam, empfindet sein Hobby als eine Art Wettkampf. Er redet von einem «Ehrenkodex», den es unter älteren Hooligans gebe: keine Waffen, keine Tritte gegen Verletzte, die am Boden liegen. Andere behaupten, dieser «Ehrenkodex» sei längst aufgekündigt; er existiere nur noch als schal gewordene Rechtfertigung.
Seit sechs Jahren prügelt Andi mit den City Boys. Er schwärmt von den Ausschreitungen im Osten Deutschlands und von seinen deutschen Freunden, mit denen er während der WM auf eine Gelegenheit warten wird. Auf die Gelegenheit zu richtigen Strassenkämpfen. Auf die nächste Überdosis Adrenalin.
Düsseldorf: Der Schlägerjäger
«Das Problem», sagt Polizeidirektor Michael Endler, 52, seufzt und greift zum Tabak, «sind die wilden Spekulationen.» Kommen die gefürchteten Engländer? Oder die Holländer? Und vor allem: Kommen die furchtbaren Polen, von denen alle Zeitungen schreiben? Gab es dort nicht sogar Tote durch Hooligans? Und was ist mit den Kroaten? Den Serben? Oder den Schweizern?
Endler sieht aus dem Fenster auf ein Industriegebiet am Stadtrand von Düsseldorf. Sein Büro befindet sich in einem Zweckbau des Landeskriminalamts, am Ende eines sehr langen und sehr dunklen Flurs. Darin stehen ein Schreibtisch, eine Topfpflanze und ein paar Stühle. An der Wand hängt die Zeichnung eines Stadions, vor dem sich Fans prügeln, darüber steht: «Donu2019t worry, be happy.» Auf Endlers Tasse, in der schwarzer Kaffee dampft, prangen die Buchstaben «FBI».
Der Polizeidirektor trägt einen grauen Bart und hat tiefe Schatten unter den Augen. Er sieht müde aus. Als habe er, Chef der Zentrale Informationsstelle für Sporteinsätze (ZIS), jeden einzelnen der knapp 10.000 in Deutschland bekannten Hooligans persönlich in die Kartei eingetragen. Endler hat die Abteilung der Hooligan-Fahnder, die das Problem in den oberen Ligen Deutschlands in den Griff bekam, seit Anfang der 90er-Jahre aufgebaut. In diesem Sommer ist er der wichtigste Schlägerjäger der Welt.
Während der Spiele wird die ZIS auf der anderen Rheinseite, in Neuss, eine Kommandozentrale einrichten: Dann sind etwa 150 Beamte rund um die Uhr damit beschäftigt, alle Informationen über das Treiben der Hools auszuwerten; hinzu kommen 170 Ermittler aus allen Ländern der WM-Teilnehmer, für die Endlers Abteilung Natels, Autos und Hotelzimmer organisiert hat. «Wir haben uns seit Jahren und sehr präzise vorbereitet», sagt er und klingt ziemlich grimmig. Mehr als 40.000 Polizisten, so die Schätzung, werden alleine rund um die Stadien für Sicherheit sorgen. Hinzu kommen tausende, die Videoleinwände, öffentliche Plätze oder Mannschaftsquartiere bewachen. Ziemlich jeder Polizeibeamte Deutschlands wird während der vier Wochen im Einsatz sein. Es gilt eine Urlaubssperre.
%
