Gefährliche Endspiele
Verfasst: 02.05.2006, 11:22
Gefährliche Endspiele
Kurz vor der Fussball-WM testet Holland ein neues Play-off-System
Ob diese markante Änderung des Spielsystems nun richtig war oder nicht - Eric Mulder kann die Situation auf jeden Fall schon mal geniessen. Am Mittwochabend trägt sein Klub FC Groningen das Rückspiel gegen Ajax Amsterdam aus, die Mannschaft von Trainer Ron Jans muss ein 0:2 aus dem ersten Play-off-Duell aufholen. Das wird schwer, aber nicht unmöglich, denn seit der Verein aus dem hohen Norden in der von Fans und Architekten hochgelobten neuen Arena spielt, hat sich die so getaufte «Euroburg» als uneinnehmbare Festung für alle Gastmannschaften erwiesen. Für den Finanzvorstand Mulder zählt in erster Linie jedoch ein bereits feststehendes Resultat: Alle Tickets für die 20 000 Plätze sind seit Tagen ausverkauft.
Provinzklub in der Champions League?
Es herrscht also Pokalstimmung in Groningen, auch wenn es gar nicht um Pokale geht. Und dafür ist der neue Modus in der holländischen Eliteliga verantwortlich. Erstmals werden der zweite Platz für die Qualifikation zur Champions League sowie die vier Uefa-Cup-Plätze nicht entsprechend der Position in der Schlussrangliste vergeben. Man ermittelt sie in zwei Zusatzrunden, in denen die dafür qualifizierten Klubs im K.-o.-System gegeneinander antreten.
Dabei hat Groningen bisher das Glück eines erklärten Aussenseiters gehabt: Als Fünftplacierte eben in die obere K.-o.-Runde gerutscht, konnten die Grün-Weissen zur allgemeinen Überraschung die Tabellenzweiten vom AZ Alkmaar ausschalten. Nun spielen sie gegen Ajax (4.), den Sieger aus zwei Begegnungen gegen Feyenoord Rotterdam (3.), um den Einzug in die Champions League-Qualifikation.
Das kleine Groningen als Ort künftiger Schlachten mit Real Madrid, Bayern München und Barcelona? Noch ist es ein längerer Weg bis dahin; doch dass so etwas möglich wird, erregt Hollands Fussball-Gemüter schon seit Wochen. Wie man am Beispiel des tapferen Provinz-Klubs sieht, können durch das Play-off-System Aussenseiter in die europäischen Wettbewerbe gelangen, was man je nach Sichtweise romantisch oder unbefugt finden mag. So kritisierte etwa Arie Koster, verdienter Trainer des RKC Waalwijk, dass nun statt der Konstanz über eine Saison ein starkes Finish im Frühjahr über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Darüber hinaus droht der gesamten Liga im schlimmsten Fall ein düsteres Szenario. Wenn statt Ajax oder Feyenoord sportlich limitierte Glücksritter die Ehrendivision international vertreten, sind frühe Pleiten - und damit Punktabzüge im Uefa-Ranking - fast schon programmiert.
Berechtigte Einwände oder Schwarzmalerei - zunächst war die Mehrheit im Verbund der holländischen Erstligisten (ECV) für das neu eingeführte System. Nicht ganz zufällig zum Erwerb der Übertragungsrechte durch einen Privatsender sollte das Produkt des heimischen Fussballs eine attraktivere Dramaturgie erhalten. Die «Eishockeyisierung» der Liga versprach jene Spannung bis zum Schluss, von der nun die Finanzvorstände der begünstigten Vereine synchron mit dem Sender profitieren. Gleichzeitig aber rumort es beinahe überall an der Basis, weil Ablauf und Logik der beiden Play-off-Runden nicht so einfach nachvollziehbar sind.
So bietet der holländische Fussball derzeit ein seltsames Bild: Während etliche Vereine seit Mitte April an einer dreimonatigen Spielpause darben, kämpfen und grätschen andere Profimannschaften im Drei-Tages-Rhythmus nur so drauf los. Ob ihre Play-off-Duelle nicht nur intensiv verfolgt, sondern von Fans wie Verantwortlichen wirklich angenommen werden, sollen bis Juni zwei gross angelegte Umfragen ergeben, die der ECV von Universitäten in Nijmegen und Groningen durchführen lässt. «An alles, was neu ist, muss man sich erst einmal gewöhnen», wiegelt der ECV-Vorstand Frank Rutten die zum Teil massive Kritik am neuen Spielsystem ab - und lässt dabei erkennen, dass man es in modifizierter Version weiterzuführen gedenkt.
Überbelastet
Nur eines steht offenbar schon fest: Das Timing zur Umstellung hätte kaum ungünstiger ausfallen können. Wenige Wochen vor dem Beginn des WM-Turniers in Deutschland spielen etliche Aspiranten der Nationalauswahl nach einer kraftraubenden Saison ohne echte Winterpause an der Grenze der Belastbarkeit. Verschleisserscheinungen und Verletzungen nehmen signifikant zu. So wird Ajax in Groningen gleich auf fünf Stammspieler verzichten müssen - darunter die Oranje- Stars Wesley Sneijder und Hedwiges Maduro, der sich im Hinspiel einen Bänderriss zuzog.
Bertram Job; NZZ, 2.5.2006
Kurz vor der Fussball-WM testet Holland ein neues Play-off-System
Ob diese markante Änderung des Spielsystems nun richtig war oder nicht - Eric Mulder kann die Situation auf jeden Fall schon mal geniessen. Am Mittwochabend trägt sein Klub FC Groningen das Rückspiel gegen Ajax Amsterdam aus, die Mannschaft von Trainer Ron Jans muss ein 0:2 aus dem ersten Play-off-Duell aufholen. Das wird schwer, aber nicht unmöglich, denn seit der Verein aus dem hohen Norden in der von Fans und Architekten hochgelobten neuen Arena spielt, hat sich die so getaufte «Euroburg» als uneinnehmbare Festung für alle Gastmannschaften erwiesen. Für den Finanzvorstand Mulder zählt in erster Linie jedoch ein bereits feststehendes Resultat: Alle Tickets für die 20 000 Plätze sind seit Tagen ausverkauft.
Provinzklub in der Champions League?
Es herrscht also Pokalstimmung in Groningen, auch wenn es gar nicht um Pokale geht. Und dafür ist der neue Modus in der holländischen Eliteliga verantwortlich. Erstmals werden der zweite Platz für die Qualifikation zur Champions League sowie die vier Uefa-Cup-Plätze nicht entsprechend der Position in der Schlussrangliste vergeben. Man ermittelt sie in zwei Zusatzrunden, in denen die dafür qualifizierten Klubs im K.-o.-System gegeneinander antreten.
Dabei hat Groningen bisher das Glück eines erklärten Aussenseiters gehabt: Als Fünftplacierte eben in die obere K.-o.-Runde gerutscht, konnten die Grün-Weissen zur allgemeinen Überraschung die Tabellenzweiten vom AZ Alkmaar ausschalten. Nun spielen sie gegen Ajax (4.), den Sieger aus zwei Begegnungen gegen Feyenoord Rotterdam (3.), um den Einzug in die Champions League-Qualifikation.
Das kleine Groningen als Ort künftiger Schlachten mit Real Madrid, Bayern München und Barcelona? Noch ist es ein längerer Weg bis dahin; doch dass so etwas möglich wird, erregt Hollands Fussball-Gemüter schon seit Wochen. Wie man am Beispiel des tapferen Provinz-Klubs sieht, können durch das Play-off-System Aussenseiter in die europäischen Wettbewerbe gelangen, was man je nach Sichtweise romantisch oder unbefugt finden mag. So kritisierte etwa Arie Koster, verdienter Trainer des RKC Waalwijk, dass nun statt der Konstanz über eine Saison ein starkes Finish im Frühjahr über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Darüber hinaus droht der gesamten Liga im schlimmsten Fall ein düsteres Szenario. Wenn statt Ajax oder Feyenoord sportlich limitierte Glücksritter die Ehrendivision international vertreten, sind frühe Pleiten - und damit Punktabzüge im Uefa-Ranking - fast schon programmiert.
Berechtigte Einwände oder Schwarzmalerei - zunächst war die Mehrheit im Verbund der holländischen Erstligisten (ECV) für das neu eingeführte System. Nicht ganz zufällig zum Erwerb der Übertragungsrechte durch einen Privatsender sollte das Produkt des heimischen Fussballs eine attraktivere Dramaturgie erhalten. Die «Eishockeyisierung» der Liga versprach jene Spannung bis zum Schluss, von der nun die Finanzvorstände der begünstigten Vereine synchron mit dem Sender profitieren. Gleichzeitig aber rumort es beinahe überall an der Basis, weil Ablauf und Logik der beiden Play-off-Runden nicht so einfach nachvollziehbar sind.
So bietet der holländische Fussball derzeit ein seltsames Bild: Während etliche Vereine seit Mitte April an einer dreimonatigen Spielpause darben, kämpfen und grätschen andere Profimannschaften im Drei-Tages-Rhythmus nur so drauf los. Ob ihre Play-off-Duelle nicht nur intensiv verfolgt, sondern von Fans wie Verantwortlichen wirklich angenommen werden, sollen bis Juni zwei gross angelegte Umfragen ergeben, die der ECV von Universitäten in Nijmegen und Groningen durchführen lässt. «An alles, was neu ist, muss man sich erst einmal gewöhnen», wiegelt der ECV-Vorstand Frank Rutten die zum Teil massive Kritik am neuen Spielsystem ab - und lässt dabei erkennen, dass man es in modifizierter Version weiterzuführen gedenkt.
Überbelastet
Nur eines steht offenbar schon fest: Das Timing zur Umstellung hätte kaum ungünstiger ausfallen können. Wenige Wochen vor dem Beginn des WM-Turniers in Deutschland spielen etliche Aspiranten der Nationalauswahl nach einer kraftraubenden Saison ohne echte Winterpause an der Grenze der Belastbarkeit. Verschleisserscheinungen und Verletzungen nehmen signifikant zu. So wird Ajax in Groningen gleich auf fünf Stammspieler verzichten müssen - darunter die Oranje- Stars Wesley Sneijder und Hedwiges Maduro, der sich im Hinspiel einen Bänderriss zuzog.
Bertram Job; NZZ, 2.5.2006