Loyalität im Spitzenfussball
Verfasst: 18.01.2005, 09:58
18. Januar*2005,**02:18,*Neue Zürcher Zeitung
Ein Interview und seine Folgen in Nantes
Vor drei Wochen hat der Nationaltorhüter Mickaël Landreau der Fachzeitschrift «France Football» ein Interview gegeben, wie es in seiner Unverblümtheit und Direktheit kaum je zu lesen ist, weder in Frankreich im Allgemeinen noch in Nantes im Speziellen. Denn gegenüber Marseille oder Paris, wo der Zweihänder zum täglichen Werkzeug im Umgang mit den Medien gehört, verkörpert Nantes eine beschauliche Idylle.
Der FC Nantes-Atlantique (FCNA) ist nämlich nicht nur derjenige Verein, der seit seinem Aufstieg in die französische Eliteliga 1965 nie abgestiegen ist, sondern der wie fast kein anderer konsequent auf Nachwuchs und auf die Ausbildung junger Spieler setzte. Die Stars der wegen ihrer gelbgrünen Dresse «Canaris» genannten Equipe waren deshalb in den vergangenen vier Dezennien selten die Spieler. Diese wurden nämlich meistens gewinnbringend an finanzkräftigere Klubs verkauft. Nein, die Stars waren die Trainer, die für das Heranreifen solcher Talente verantwortlich waren und damit Kapitel einer erfolgreichen Klubgeschichte schrieben. So stechen in den Annalen des achtfachen französischen Meisters und dreimaligen Cup-Siegers die Trainernamen von José Arribas, Jean Vincent, Jean-Claude Suaudeau und Raynald Denoueix hervor. Ihnen war gemeinsam, dass sie die Eigenheiten im wunderschön mit Blick auf den Fluss Edre gelegenen klubeigenen Ausbildungszentrum «La Jonelière» gewissermassen von der Pike auf gelernt und vor ihrer Schaffensperiode als Trainer des Profiteams bereits einige Zeit dort verbracht hatten.
Wenn aber ausländische Trainer (wie etwa Miroslav Blazevic) oder Präsidenten mit dem fehlenden Sensorium für die lokalen Gegebenheiten am Steuer sassen, geriet der Klub meistens ins Schlingern. So auch in dieser Saison unter Jean- Luc Gripond, der von der Socpresse, einer Pressegruppe unter dem Dach des Aviatikunternehmens und FCNA-Mehrheitsaktionärs Dassault, als Präsident inthronisiert worden war: Nantes stand nicht mehr für das verwirrende Kombinationsspiel «à une touche de balle» der neunziger Jahre, sondern für einen Verein, der gegen die Relegation kämpfen muss.
Es war diese unheilvolle Entwicklung, die Landreau zu dem eingangs erwähnten Interview veranlasste. Nun ist Landreau nicht irgendeiner auf der Kaderliste, sondern der emblematische Keeper, der 1996 im zarten Alter von 16 Jahren (!) als Torhüter des Fanionteams debütiert und inzwischen 283 Spiele in der obersten Liga absolviert hat. Während all der Jahre widerstand er den Abwerbungsversuchen und Verlockungen des Geldes. Landreau ist Captain und der identitätsstiftende Spieler des Teams. Unter dieser Prämisse nahm er das Interview als Gelegenheit zum unmissverständlichen Aufrütteln wahr und liess sich wie folgt vernehmen: «Mit Gripond (dem Präsidenten) spricht man, aber er hört dich nicht an. Seine Sorge gilt dem Entzweien von Leuten, um besser herrschen zu können. Er diskutiert mit mir, danach schneidet er mich. Er macht das mit allen, und alle wissen es. Er stellt inkompetente Leute ein und wird weiterhin solche einstellen, das weiss ganz Nantes.» Aber auch der Trainer Loïc Amisse, ein «grosser» Flügelspieler Nantes' aus den siebziger Jahren, geriet in die Schusslinie Landreaus: «Seine Ambition besteht darin, umzusetzen, was er gelernt hat, aber der Druck des Präsidenten, dem er sich niemals widersetzte, hat seine Botschaft entleert.» Landreau zum Schluss: «Ich spreche, bevor es zu spät ist.»
Ob dies zutrifft, muss sich weisen. Doch hat das Interview seine Wirkung nicht verfehlt. Als Amisse nach dessen Erscheinen und der Festtagspause das Training ohne den Torhüter wieder aufnehmen wollte, solidarisierten sich die Spieler mit Landreau und opponierten gegen das Ansinnen. Gripond stiess darauf einige Drohungen gegen die Spieler aus, die ungehört verhallten und bootete dann den Trainer aus, der ihn stets unterstützt hatte. Die Entlassung von Amisse kam ihm schliesslich auch deshalb zupass, weil die Verantwortlichen von Dassault vom erbärmlichen sportlichen Bild von Nantes nicht gerade angetan waren. Landreau hingegen wurde für sein Interview lediglich intern verwarnt.
Zum Nachfolger von Amisse wurde Serge Le Dizet ernannt, ein Trainer des Centre de Formation, der in der Ära Suaudeaus ein solider Verteidiger war. Ob es bereits die Wende zum Besseren war oder der simple Effekt eines Trainerwechsels, ist schwierig zu beurteilen, doch hat sich Nantes seither mit dem torlosen Remis gegen Bastia auf Korsika und dem 2:0-Heimsieg gegen Rennes am letzten Samstag wieder ein wenig von der Abstiegszone entfernt.
Das Bemerkenswerte an den jüngsten Vorkommnissen im Schosse des FCNA bleibt aber zweifellos die Tatsache, dass ein Spieler solche Äusserungen ohne nennenswerte Folgen übersteht. Das Interview hat in Fussballerkreisen darüber hinaus einen Diskurs ausgelöst, ob ein Spieler nicht einfach bezahlt wird, um erfolgreich zu spielen und die Klappe zu halten. In dieser Richtung argumentierte etwa Vahid Halilhodzic, Trainer von Paris-SG und ehemaliger Teamkollege von Amisse, indem er prognostizierte, Landreau werde es angesichts des Vorgefallenen schwer haben, jemals einen anderen Klub zu finden. Dem gegenüber steht die Meinung der meisten Spieler, die sich solidarisch mit Landreau zeigen, speziell auch deshalb, weil es sich bei Landreau eben zweifellos nicht um einen geldgierigen Fussballsöldner handelt.
-Wie findet ihr das Verhalten von Landreau??
-Wann darf ein Spieler an die Oeffentlichkeit und wann nicht??
-Wäre das Verhalten Landreau's auch korrekt, wenn sich die Mannschaft nicht solidarisch erklärt hätte??
Ich persönlich ziehe Spieler, welche Verantwortung auch neben dem Fussballplatz übernehmen, jenen hirnlosen Balltretern, die nur um sich selbst kümmern, vor.
Ein Interview und seine Folgen in Nantes
Vor drei Wochen hat der Nationaltorhüter Mickaël Landreau der Fachzeitschrift «France Football» ein Interview gegeben, wie es in seiner Unverblümtheit und Direktheit kaum je zu lesen ist, weder in Frankreich im Allgemeinen noch in Nantes im Speziellen. Denn gegenüber Marseille oder Paris, wo der Zweihänder zum täglichen Werkzeug im Umgang mit den Medien gehört, verkörpert Nantes eine beschauliche Idylle.
Der FC Nantes-Atlantique (FCNA) ist nämlich nicht nur derjenige Verein, der seit seinem Aufstieg in die französische Eliteliga 1965 nie abgestiegen ist, sondern der wie fast kein anderer konsequent auf Nachwuchs und auf die Ausbildung junger Spieler setzte. Die Stars der wegen ihrer gelbgrünen Dresse «Canaris» genannten Equipe waren deshalb in den vergangenen vier Dezennien selten die Spieler. Diese wurden nämlich meistens gewinnbringend an finanzkräftigere Klubs verkauft. Nein, die Stars waren die Trainer, die für das Heranreifen solcher Talente verantwortlich waren und damit Kapitel einer erfolgreichen Klubgeschichte schrieben. So stechen in den Annalen des achtfachen französischen Meisters und dreimaligen Cup-Siegers die Trainernamen von José Arribas, Jean Vincent, Jean-Claude Suaudeau und Raynald Denoueix hervor. Ihnen war gemeinsam, dass sie die Eigenheiten im wunderschön mit Blick auf den Fluss Edre gelegenen klubeigenen Ausbildungszentrum «La Jonelière» gewissermassen von der Pike auf gelernt und vor ihrer Schaffensperiode als Trainer des Profiteams bereits einige Zeit dort verbracht hatten.
Wenn aber ausländische Trainer (wie etwa Miroslav Blazevic) oder Präsidenten mit dem fehlenden Sensorium für die lokalen Gegebenheiten am Steuer sassen, geriet der Klub meistens ins Schlingern. So auch in dieser Saison unter Jean- Luc Gripond, der von der Socpresse, einer Pressegruppe unter dem Dach des Aviatikunternehmens und FCNA-Mehrheitsaktionärs Dassault, als Präsident inthronisiert worden war: Nantes stand nicht mehr für das verwirrende Kombinationsspiel «à une touche de balle» der neunziger Jahre, sondern für einen Verein, der gegen die Relegation kämpfen muss.
Es war diese unheilvolle Entwicklung, die Landreau zu dem eingangs erwähnten Interview veranlasste. Nun ist Landreau nicht irgendeiner auf der Kaderliste, sondern der emblematische Keeper, der 1996 im zarten Alter von 16 Jahren (!) als Torhüter des Fanionteams debütiert und inzwischen 283 Spiele in der obersten Liga absolviert hat. Während all der Jahre widerstand er den Abwerbungsversuchen und Verlockungen des Geldes. Landreau ist Captain und der identitätsstiftende Spieler des Teams. Unter dieser Prämisse nahm er das Interview als Gelegenheit zum unmissverständlichen Aufrütteln wahr und liess sich wie folgt vernehmen: «Mit Gripond (dem Präsidenten) spricht man, aber er hört dich nicht an. Seine Sorge gilt dem Entzweien von Leuten, um besser herrschen zu können. Er diskutiert mit mir, danach schneidet er mich. Er macht das mit allen, und alle wissen es. Er stellt inkompetente Leute ein und wird weiterhin solche einstellen, das weiss ganz Nantes.» Aber auch der Trainer Loïc Amisse, ein «grosser» Flügelspieler Nantes' aus den siebziger Jahren, geriet in die Schusslinie Landreaus: «Seine Ambition besteht darin, umzusetzen, was er gelernt hat, aber der Druck des Präsidenten, dem er sich niemals widersetzte, hat seine Botschaft entleert.» Landreau zum Schluss: «Ich spreche, bevor es zu spät ist.»
Ob dies zutrifft, muss sich weisen. Doch hat das Interview seine Wirkung nicht verfehlt. Als Amisse nach dessen Erscheinen und der Festtagspause das Training ohne den Torhüter wieder aufnehmen wollte, solidarisierten sich die Spieler mit Landreau und opponierten gegen das Ansinnen. Gripond stiess darauf einige Drohungen gegen die Spieler aus, die ungehört verhallten und bootete dann den Trainer aus, der ihn stets unterstützt hatte. Die Entlassung von Amisse kam ihm schliesslich auch deshalb zupass, weil die Verantwortlichen von Dassault vom erbärmlichen sportlichen Bild von Nantes nicht gerade angetan waren. Landreau hingegen wurde für sein Interview lediglich intern verwarnt.
Zum Nachfolger von Amisse wurde Serge Le Dizet ernannt, ein Trainer des Centre de Formation, der in der Ära Suaudeaus ein solider Verteidiger war. Ob es bereits die Wende zum Besseren war oder der simple Effekt eines Trainerwechsels, ist schwierig zu beurteilen, doch hat sich Nantes seither mit dem torlosen Remis gegen Bastia auf Korsika und dem 2:0-Heimsieg gegen Rennes am letzten Samstag wieder ein wenig von der Abstiegszone entfernt.
Das Bemerkenswerte an den jüngsten Vorkommnissen im Schosse des FCNA bleibt aber zweifellos die Tatsache, dass ein Spieler solche Äusserungen ohne nennenswerte Folgen übersteht. Das Interview hat in Fussballerkreisen darüber hinaus einen Diskurs ausgelöst, ob ein Spieler nicht einfach bezahlt wird, um erfolgreich zu spielen und die Klappe zu halten. In dieser Richtung argumentierte etwa Vahid Halilhodzic, Trainer von Paris-SG und ehemaliger Teamkollege von Amisse, indem er prognostizierte, Landreau werde es angesichts des Vorgefallenen schwer haben, jemals einen anderen Klub zu finden. Dem gegenüber steht die Meinung der meisten Spieler, die sich solidarisch mit Landreau zeigen, speziell auch deshalb, weil es sich bei Landreau eben zweifellos nicht um einen geldgierigen Fussballsöldner handelt.
-Wie findet ihr das Verhalten von Landreau??
-Wann darf ein Spieler an die Oeffentlichkeit und wann nicht??
-Wäre das Verhalten Landreau's auch korrekt, wenn sich die Mannschaft nicht solidarisch erklärt hätte??
Ich persönlich ziehe Spieler, welche Verantwortung auch neben dem Fussballplatz übernehmen, jenen hirnlosen Balltretern, die nur um sich selbst kümmern, vor.