Seite 1 von 1
Aus! Aus! Aus!
Verfasst: 03.01.2006, 19:52
von pete boyle
Wunderbare Artikel us DIE ZEIT
Teil 1
Fußball war ein Sport für die Arbeiterklasse. Seit er in die gesellschaftliche Mitte gerückt ist, verliert er seinen Reiz. Ein Abpfiff
Von Henning Sussebach
Manchmal versuche ich es noch. Dann gehe ich ins Stadion und nehme mir vor, begeistert zu sein. Oder ich schalte den Fernseher ein mit dem Vorsatz, die ganzen 90 Minuten durchzuschauen, plus Halbzeitpause. Wird ja einiges geboten zurzeit. All die neuen Stadien. All die Vorberichterstattung, Live-Berichterstattung, Nachberichterstattung. All die Dringlichkeit, ein halbes Jahr vor der WM. Jedes Testspiel ist ein Testspiel für das nächste Testspiel, jedes Resultat ist mindestens »wegweisend«, auch für die »Stimmung im Lande«. Bei irgendeinem 1:1 in der 37. Minute irgendeines Spieles lassen die Reporter ihre Stimmen überschlagen wie Herbert Zimmermann bei Helmut Rahns 3:2 im WM-Finale von Bern. Die Arenen sind voll, Fußball ist ein nationales Schicksalsspiel, und an der Seitenlinie steht ein Bundestrainer, der redet wie ein Referent aus dem Kanzleramt. Jeder Pass ein Projekt, jeder Rückpass Reformstau, die Stabilität der Viererkette so wichtig wie die Haltbarkeit der Koalition. Du bist Deutschland. Wir wuppen das. Wichtig ist, dass wir jetzt…
Kurz vor der Halbzeit zappe ich weg. Meine Aufmerksamkeit hat einen Ermüdungsbruch erlitten.
Fußball war anders, als er 1980 in mein Leben kam. Er fand nicht im gesellschaftlichen Einvernehmen statt, bei mir zu Hause schon mal gar nicht. Sein Schauder erfasste mich Achtjährigen an einem Samstag, beim einvernehmlichen Hosenkauf mit meiner Mutter in der Bochumer Fußgängerzone. Plötzlich die Inbesitznahme der Stadt durch Menschen, Fahnen, Lärm.
Vauuu-äääff-Ellll!
Eine wüste Prozession zog vorüber. Männer in Jeans, alt und jung und heiser. Körpermenschen. Das waren die Typen, von denen man sich nach der vierten Klasse trennte. Und die einen auf dem Schulhof immer tunnelten.
Meine Mutter nahm meine Hand etwas fester. Wir fuhren nach Hause, doch den VfL nahm ich mit. Drei Buchstaben nur, hinter denen sich eine ganze Welt erschloss, fremd und urgewaltig. Es ging um Sieg oder Niederlage, um Kopfballungeheuer und Abstiegsgespenster. Irgendwann nachts wurde Deutschland Europameister. Zweimal Hrubesch. Ich weiß noch, wie ich über diesen Namen staunte. Hrubesch. Klang nach Ärger.
Fußball gestern: Prollsport am Rand des gesellschaftlichen Konsenses
Ich habe lange gebraucht, um Hrubesch in mein Sammelalbum zu bekommen. Es gab nicht viele Nachbarskinder, mit denen ich hätte tauschen können. Unsere Reihenhaussiedlung am Rande der Ruhr-Universität war eine fußballferne Vorstadt voll wohlgenährter Biografien. Hier waren Abstiegsgespenster unbekannt, und wenn über Hrubesch geredet wurde, dann über den tausendfachen Verlust von Hirnzellen beim Köpfen. Den Fußball umgab, nach einer kurzen Pop-Art-Phase zu Beginn der Siebziger, etwas Schmuddeliges; noch warf sich kein Kanzler an schweißtriefende Heldenbrüste. Dabei war die Nationalmannschaft erfolgreicher als heute, die Vereine erreichten noch die Europapokalfinals, und ich, der Gründer und einzige Spieler des 1. FC Albert-Schweitzer-Straße, raubte den Nachbarn mit meinem täglichen Garagentorgeböller die Ruhe. An verregneten Nachmittagen übte ich Fallrückzieher auf dem Bett. Für meine Zukunft als Nationalstürmer setzte ich meine Blockflötenkarriere aufs Spiel.
Dann, im Sommer 1981, stand Herr Schuler vor unserer Tür, ein Nachbar. Er fragte, ob ich ihn und seinen Sohn Christian ins Stadion begleiten wolle. VfL Bochum gegen den Hamburger SV. Er werde Sitzplatzkarten kaufen, für 25 Mark pro Stück. Meine Eltern ließen mich gehen – nicht ohne sich zu distanzieren. Mein Vater, sehr wohl ein Sportler, aber kein Sportzuschauer, brachte mit Stadien nur zwei Worte in Verbindung, »Horden« und »Massen«, genauer gesagt: »Schlägerhorden« und »dumpfe Massen«. Er hatte leicht reden, denn das Ruhrstadion lag (und liegt bis heute) an der Castroper Straße, einer Ausfallstraße mit steigender Spelunkendichte, je näher man dem Fußballplatz kommt. Und direkt gegenüber vom Stadion das Gefängnis.
Ich aber knipste abends in meiner Kinderzimmerdiaspora noch mal die Schreibtischlampe an und studierte Hrubeschs rohes Gesicht.
Am 19. September 1981 ging das Bürgersöhnchen zu den Schmuddelkindern. Um 15.30 Uhr sah ich sie zum ersten Mal »in echt«, die Welt aus meinem Sammelalbum, die Schnauz- und Vollbartträger des VfL, Dieter Bast, Reinhard Mager, Ulrich Bittorf, Lothar Woelk. Und Hrubesch mit seiner postkartengroßen Stirn. Zum ersten Mal sah ich 35000 Menschen auf einmal. Ich hatte das Gefühl, alles schärfer zu sehen und besser zu hören als sonst. Ich schrie Vauuu-äääff-Elll! und schämte mich dafür, aber nur beim ersten Mal. Nach 19 Minuten machte Hrubesch das 0:1, kurz vor der Pause glich Lameck aus, zwanzig Minuten vor Schluss schoss Abel per Elfmeter das 2:1. Auf der Tribüne Getümmel und Gebrüll, die Körpermenschen schlugen sich auf die Schultern. Lachen, Biergeruch. Ich wollte nach Hause, um Sportschau zu gucken. Um mich zu vergewissern, dass all das wahr war. Und weil ich auch ein bisschen Schiss hatte.
Verfasst: 03.01.2006, 19:53
von pete boyle
Teil 2
Auf der Rückfahrt aus der Parallelgesellschaft erzählte mir Herr Schuler, dass ich die ganzen 90 Minuten vor Aufregung gestanden hätte.
Warum reißt mich Fußball heute kaum noch vom Hocker? Nach ungezählten Stadionbesuchen und sechs ferngesehenen Weltmeisterschaften lasse ich es an rundum eingeforderter Begeisterung mangeln – und das jetzt, ein halbes Jahr vor der »WM im eigenen Lande«, die angekündigt wird wie eine Messe, überall läuten schon die Glocken. Jetzt auch, da der Fußball so wertvoll sein soll wie lange nicht mehr, zumindest was die Fernsehrechte angeht. Hunderte Millionen Euro sind geboten für das gesellschaftliche Grundnahrungsmittel Bundesliga. Ausgerechnet damerke ich, dass mir an Wochenenden immer öfter die ARD-Videotexttafeln 252 (Ergebnisse) und 253 (Tabelle) genügen, um meine Neugier zu stillen.
»FC K’lautern – 1. FC Nürnberg 1:3 (1:1).«
Karge Namen, nackte Zahlen. In ihnen ist der Fußball wieder so weit weg, wie er es am Anfang war.
Ist mit den Jahren nur die Angstlust, die Lustangst des Vorstadtkindes erloschen? Der Fußball ist meinen Eltern (und auch mir) ja entgegengekommen: Die Spieler sehen nicht mehr aus wie Autoschieber, sondern wie Banklehrlinge. Es gibt keine Randale mehr in den Stadien, sondern Kinderhorte. Die Sprache der Trainer und Reporter ist vom Soldatischen befreit, die Bälle werden nicht mehr »abgefeuert«, es brennt auch nicht mehr »lichterloh« im Strafraum. Der Anteil der Frauen im Publikum wächst, das Bier ist alkoholfrei. Wenn doch noch mal ein Skandal aufgedeckt wird, haben nicht mehr die Spieler ein Ding gedreht, sondern der Schiedsrichter! Es tut sich sogar was im taktischen Bereich.
Ist mit den Jahren nur die Angstlust, die Lustangst des Vorstadtkindes erloschen? Der Fußball ist meinen Eltern (und auch mir) ja entgegengekommen: Die Spieler sehen nicht mehr aus wie Autoschieber, sondern wie Banklehrlinge. Es gibt keine Randale mehr in den Stadien, sondern Kinderhorte. Die Sprache der Trainer und Reporter ist vom Soldatischen befreit, die Bälle werden nicht mehr »abgefeuert«, es brennt auch nicht mehr »lichterloh« im Strafraum. Der Anteil der Frauen im Publikum wächst, das Bier ist alkoholfrei. Wenn doch noch mal ein Skandal aufgedeckt wird, haben nicht mehr die Spieler ein Ding gedreht, sondern der Schiedsrichter! Es tut sich sogar was im taktischen Bereich.
Allerdings ist da auch plötzlich mehr Begeisterung, als gerechtfertigt wäre. Bei Hertha BSC verstärken sie die Fangesänge jetzt per Lautsprecher. Vielerorts wird Torjubel mit Herbert Zimmermanns »Tor, Toor, Tooor!«-Schrei untermalt. Ob im Stadion, Radio oder Fernsehen: Immer öfter klingt Fußball so, als sei er ein Zitat seiner selbst geworden, getrieben vom Wunsch nach Imitation früherer Kultspiele.
Dabei wiederholen sich sogar »Geschichten, die nur der Fußball schreibt«. Ähnlich wie im Theater sind Anzahl und Art der Dramen auch in der Bundesliga begrenzt, jede Rolle war schon einmal besetzt, die des sympathischen Underdogs (Freiburg, Ulm, Unterhaching, jetzt Mainz), die des Enfant terrible (Schuster, Matthäus, Effenberg, Ailton, jetzt Podolski), die des Intellektuellen (Preetz, Bode, Todt, jetzt Broich), die des ausländischen Könners inmitten deutscher Rumpelfußballer (Keegan, Laudrup, Emerson, jetzt van der Vaart).
Vielleicht wäre mir das gar nicht aufgefallen – wenn es mir nicht dauernd erzählt würde, immer öfter mit der Betonung, wie toll, hip und bedeutsam das alles sei. Was Fußball heute alles ist: »wichtig für die Region«, »Kult«, »Religion«.
Dabei braucht echte Mystik die Überraschung. Ein Resultat, das aus dem Nichts kommt. Heute aber ist fast jede Eventualität, jeder Sieg, jede Niederlage schon im Voraus besprochen. Ich weiß längst, was ich bei der Weltmeisterschaft im nächsten Sommer fühlen soll, ob bei einem Vorrunden-Aus oder einem Finalsieg der Deutschen. 1954 wäre nie »1954« geworden, hätte es schon damals all die Was-wäre-wenn-Debatten hinsichtlich aller denkbaren Spielverläufe gegeben. So konnte es ein Wunder werden.
Der einstige Arbeiterklassensport Fußball – der aus seiner Randlage noch für Überraschungen wie 1954 sorgen konnte – ist spätestens in den neunziger Jahren zum Deutungsgut aller geworden; auch weil sich die Popkultur verstärkt seiner annahm. Wieder mal erwies sich England als »Mutterland des Fußballs«, wo zwei wirklich coole Popsongs (Football is Coming Home und Three Lions) zu den Hymnen der Europameisterschaft 1996 wurden, wo Nick Hornby den Fußball mit seinem Buch Fever Pitch aus der Gosse holte und sich die Mitglieder von Oasis, der erfolgreichsten Popband des Jahrzehnts, als Fans von Manchester City definierten.
All das war neu und aufregend. Ich konnte mich nicht satt sehen, wenn Friedrich Küppersbusch im Fernsehen die hoffnungslos schlechten Kicker von Hamborn 07 begleitete. Mein bis dahin dumpf wirkender Sport bekam Sinn, wurde intellektualisiert und ironisiert, dann dramatisiert und ästhetisiert. Die erste Ausgabe von Bravo Sport erschien, Sat.1 ging mit ran auf Sendung. Mehmet Scholl wurde zum »Popstar des deutschen Fußballs«, der zwar nicht singen, dafür aber dribbeln konnte. International stieg David Beckham zur Stil-Ikone der homo-, hetero-, metro- und bisexuellen Männer auf – also aller. Schließlich sahen sich Pop- und Fußballgrößen zum Verwechseln ähnlich, zum Beispiel Stefan Effenberg und Dieter Bohlen. Fast zeitgleich brachten beide je ein Klatsch-und-Tratsch-Buch heraus. Und Kollege Oliver Kahn, in Sachen Sonnenbrillen und Lebenswandel auch sehr popstarhaft geworden, präsentierte sich in den Regalen ungefragt als Selbstdeuter eigener Titanenhaftigkeit.
Seitdem ist es wieder peinlich, nur anders.
Verfasst: 03.01.2006, 19:54
von pete boyle
Teil 3
Fußball heute: Dichter und Denker kicken, Kicker dichten und denken
Der Fußball und seine Hauptdarsteller haben sich eine Menge aufgeladen, aufladen lassen, auch im Nachhinein. Wer heute im neu entstandenen fußballerischen Diskurs nicht alles mit wem gleichgesetzt wird! Der »Chef« Sepp Herberger mit dem ebenso autoritären Konrad Adenauer, der langleinige Helmut Schön mit dem Mehr-Demokratie-Wager Willy Brandt, der reformunfreudige Jupp Derwall mit Helmut Kohl. Zufall? Niemals! Natürlich war der Hurra-Stil der Mönchengladbacher Borussia Ende der sechziger Jahre nicht bloß Offensivfußball, auch nicht nur das Gegenteil zum konservativen Besitzstandswahrungskick des FC Bayern, sondern das Pendant zu Willy Brandts Auf- und Umbruchpolitik. Mehr Fußball wagen!
Wenn Günter Netzer damals geahnt hätte, dass sein nächster Diagonalpass schon wieder für die ganze Ära Brandt stehen müsse – er hätte vor Angst in den Rasen getreten. (Fast schon seltsam, dass noch niemand angemerkt hat, dass Merkel und Klinsmann beide von außen auf die deutsche Misere gucken; Merkel aus Osten, Klinsmann aus Westen. Sie hatten sogar lange die gleiche Frisur.)
»Zwar sitzen immer noch Castor-Gegner auf Gorleben-Gleisen, aber die größere mediale Aufmerksamkeit gilt Fußballfans, die mit Sitzblockaden die Mannschaftsbusse ihrer Vereine an der Heimfahrt hindern«, schreibt Klaus Theweleit, Professor für Kunst und Theorie, in seinem Buch Tor zur Welt, einer der vielen jüngeren Veröffentlichungen, die auf dem schmalen Grat zwischen Erklärung und Verklärung des Massenphänomens Fußball balancieren, ob sie nun Gott ist rund heißen oder Mehr als ein Spiel. Geschrieben haben sie Dauerkartenbesitzer und Sportjournalisten ebenso wie preisgekrönte Schriftsteller – wie etwa Javier Marías, der in seinem Buch Alle unsere frühen Schlachten von seiner Liebe zu Real Madrid erzählt.
Das ist der Fußball von heute: Dichter und Denker kicken, Kicker dichten und denken. Der Zusatz »…und besucht in seiner Freizeit die Heimspiele der SpVgg Oer-Erkenschwick« erdet mittlerweile die Biografie manches Professors, der seine Nase früher hoch über der Grasnarbe trug. Im offiziellen WM-Vorfreude-Magazin Countdown schreibt Kardinal Lehmann das Editorial, Überschrift: Das Tor zum Himmel. Leitartikler hangeln sich an Fußballmetaphern von Argument zu Argument, die ZEIT druckt Fußballgedichte, und die Bundesliga hat es bis in die Tagesschau geschafft. Dort hat sie sonntags ihren eigenen Moderator und zersetzt die einst um Unaufgeregtheit bemühte Nachrichtenbastion von innen, durch Reinhold Beckmanns Gefühlsduselei und Gerhard Dellings Satzgedrechsel.
Inzwischen ist der Fußball so allgegenwärtig, dass man sich wieder Sorgen um das Fortkommen seiner Kinder machen muss – wenn sie, sagen wir mal: Kevin Kuranyi nicht kennen. Oder ihn auch nur falsch buchstabieren.
So schreiten Mythologisierung und Ästhetisierung weiter voran, bis hin zur Leniriefenstahlisierung Michael Ballacks. Auf eine Höhe von 70 Metern vergrößert, blickte er kürzlich von einem Hamburger Hochhaus. Kampfbereit reckte er seinen Unterbiss für adidas gen Alster. Ich glaube, auch meine Eltern kennen mittlerweile jede Locke Ballacks. In den Achtzigern hatte jede Mannschaft noch mindestens einen Spieler mit Haarkranz. Wo sind die eigentlich alle?
Manchmal sehe ich noch einen. Thomas Schaaf vom SV Werder Bremen. In der Saison 1978/79 machte er sein erstes Spiel für den Verein, jetzt ist er Trainer. Schaaf trägt eine Jacke, auf der »Werder« steht. Er hat noch immer das Gesicht, das die Fußballer in meinen Sammelalben hatten, und die Sprache hat er auch. Manchmal höre ich ihn an der Seitenlinie brüllen: »Pass auf, doh!« Er sieht dann aus wie einer dieser Jungen, die ich als Kind nicht in einer Unterführung treffen wollte. Oder im Stadion.
Heute finde ich Schaaf unendlich sympathisch. Wenn er in einer dieser Erklär-mir-die-Fußballwelt-Shows sitzt, sieht man, wie ihn das nervt. Er hockt zwischen all den Wontorras und Windmaschinen und schnappt nach Luft wie ein Fisch an Land. Um ihn herum geht nichts unter epochalen Erklärungen. Wenn Schaaf etwas gefragt wird, antwortet er bloß: »Ja, sicher.« – »Wie meinen Sie das jetzt?« – »Was soll ich dazu sagen?« Manchmal zuckt er auch nur mit den Schultern.
Er ist Gast bei der eigenen Veranstaltung.
Rudi Völler war auch so einer. Frisur von gestern, Sprache von gestern. Er hat es manchmal noch gewagt, Fußball zu erklären. Technik, Taktik und warum die Isländer auch nicht schlecht sind. Als ihm wieder keiner zuhören wollte, setzte er verzweifelt zu seiner Scheiß-Mist-Käse-Rede an – ein letzter Ausbruch, der sofort als »authentisch« und »typisch Rudi« verkultet wurde.
Jürgen Klinsmann, unserem WM-Beauftragten, wird das nicht passieren. Als er Bundestrainer wurde, hat ihn eine Zeitung als »blonden Rudi« begrüßt, doch das war ein Irrtum. Klinsmann ist das Gegenteil von Völler. Er versucht gar nicht mehr, öffentlich über Fußball zu reden. Er setzt viel höher an. Klinsmann ist ein Verkäufer all des »Kultes«, der sich um seinen Sport angesammelt hat. Er fühlt sich als Querdenker, dabei passt er exakt in den Zeitgeist. Meist redet er vom großen Ganzen, und immer klingt das so, als müsse er nicht nur die elf besten deutschen Fußballer finden, sondern das ganze Land voranbringen. Manchmal fragt man sich allerdings: Wo bleibt die Abwehr?
Am Ende nämlich tritt Robert Huth über den Ball wie früher Lothar Woelk beim VfL, Kahn kriegt einen rein, und das ganze WM-Projekt »is im Arsch«, wie Thomas Schaaf vielleicht sagen würde.
Fußball morgen: Merkel tritt ins Kabinett Klinsmann ein
Nun ist der Fußball in der Mitte der Gesellschaft angelangt, da kann er mit seiner Überhöhung nicht mehr mithalten. Wenn ich heute mal wieder ins Stadion gehe, die schnellen Schnitte und zig Kameraperspektiven der Fernsehinszenierungen gewohnt, wundere ich mich immer, wie langsam die Bewegung auf dem Platz wirkt, die um mich herum verhaltenen Torjubel auslöst – weil mancher erst mal auf die Zeitlupe wartet. Kaum ein Fußballspiel ist so atemberaubend wie dessen eigene Vorankündigung als Nahkampf-Clip. Auch wird Ballack über 90 Minuten nie so spektakulär spielen wie in seinen Werbespots. Das gelingt selbst Weltfußballern nicht.
Als Zinedine Zidane im Champions-League-Finale von 2002 das Siegtor für Real gegen Leverkusen schoss – volley aus der Drehung –, war mein erster Gedanke: »Das sah ja fast aus wie Playstation!«
Es ist selten geworden, dass das Original noch an die Kopie heranreicht.
Vielleicht ist all das der Preis dafür, dass wir Vorstadtkinder uns den Fußball angeeignet haben. Wer Hornby gelesen hat, muss jetzt Kardinal Lehmann ertragen. Wer Three Lions auswendig kann, muss mit Ballacks Werbelocken leben. Und wer es anfangs originell fand, Herberger-Adenauer-Vergleiche zu ziehen, wird nun verwinden müssen, dass sich Bundestrainerin Merkel bald Ratschläge bei Bundeskanzler Klinsmann holt. Oder ist da jetzt was durcheinander geraten?
http://www.zeit.de/2005/50/Pseudofussball_50
Verfasst: 03.01.2006, 20:30
von Mindl
s chunt mir irgendwie sehr bekannt vor...
er heti das mit em bier und em alkoholfrei no chli intensiviere chöne...
Verfasst: 03.01.2006, 20:45
von DerZensor
Wooohooo - Was für ein Artikel

Verfasst: 03.01.2006, 20:46
von Gevatter Rhein
Verflucht geil geschrieben und eigentlich Pflichtlektüre für jeden verdammten Manager im Sport.
Verfasst: 03.01.2006, 21:01
von Goofy
Gevatter Rhein hat geschrieben:Verflucht geil geschrieben und eigentlich Pflichtlektüre für jeden verdammten Manager im Sport.
markus.laub@fcb.ch?
Verfasst: 04.01.2006, 08:24
von Varela-8
sehr guter Artikel der Zeit, wurde etwa eine Woche vor Weihnachten publitiert und als mir meine freundin den hingelegt hatte zur Lektüre war ich gut ne halbe Stunde besten unterhalten. Bravo Zeit!
Verfasst: 04.01.2006, 09:14
von Falcão
Gevatter Rhein hat geschrieben:Verflucht geil geschrieben und eigentlich Pflichtlektüre für jeden verdammten Manager im Sport.
der erste besuch eines "Vaau Äff Ell" heimspiels im alten Ruhrstadion:
mir sträuben sich die Nackenhaare, wenn ich die alten Namen lese (der Horsrscht, Lameck, Woelk, Bast usw.). Das waren die zeiten, als Manni Kaltz mit den socken bis zu der Ferse unten flankte und Dieter Hoeness das kopfballungeheuer Zwo war, und ich jeden MO den Kicker kaufte.
Schöne Zeiten, vergangene Zeiten.

Verfasst: 04.01.2006, 10:04
von teutone
Falcão hat geschrieben: und ich jeden MO den Kicker kaufte.
Schöne Zeiten, vergangene Zeiten.
Hmmm den gabs hier doch erst am Dienstag

Verfasst: 04.01.2006, 10:52
von baskick
ja, wahrscheinlich sind die vorstadtkinder schuld. nur sind es diesselben, die den fussball heutzutage wieder zu befreien suchen. siehe manch ultra-gruppierungen v.a. im deutschsprachigen raum oder die ganz revolutionären projekte in salzburg, manchester etc.
vielleicht leben wir doch nur in einer übergangsphase...

Verfasst: 04.01.2006, 12:24
von teutone
baskick hat geschrieben:raum oder die ganz revolutionären projekte in salzburg, manchester etc.
hmmm was fuer projekte

Verfasst: 04.01.2006, 12:29
von baskick
teutone hat geschrieben:hmmm was fuer projekte
den eigenen verein für tod erklären und neue vereine auf fanbasis gründen...anti-kommerz und so
Verfasst: 04.01.2006, 12:38
von Basic
teutone hat geschrieben:hmmm was fuer projekte
nix projekte ]
http://www.fc-utd.co.uk[/url]
und do no s'stadion wosi dinne spiele (11'669)
http://www.stadionwelt.de/stadionwelt_s ... ne&id=1101
Verfasst: 04.01.2006, 12:52
von baskick
in salzburg sind sie noch dran
projekt in diesem sinne, ob diese clubs sich wirklich durchsetzen können und vielleicht eines tages die massen begeistern...
Verfasst: 04.01.2006, 12:56
von Basic
baskick hat geschrieben:in salzburg sind sie noch dran
projekt in diesem sinne, ob diese clubs sich wirklich durchsetzen können und vielleicht eines tages die massen begeistern...
fc united of manchester belegt mit 14 punkten den 1. platz und wird aufsteigen

sie spielen vor ca. 3'000 zuschauern. die challenge league klubs wären froh um solche zahlen...
Verfasst: 04.01.2006, 13:01
von baskick
[quote="Basic"]fc united of manchester belegt mit 14 punkten den 1. platz und wird aufsteigen ]
naja, ist ja eigentlich auch nicht so wichtig...
Verfasst: 04.01.2006, 15:08
von Éder de Assis
Falcão hat geschrieben:der erste besuch eines "Vaau Äff Ell" heimspiels im alten Ruhrstadion:
mir sträuben sich die Nackenhaare, wenn ich die alten Namen lese (der Horsrscht, Lameck, Woelk, Bast usw.). Das waren die zeiten, als Manni Kaltz mit den socken bis zu der Ferse unten flankte und Dieter Hoeness das kopfballungeheuer Zwo war, und ich jeden MO den Kicker kaufte.
Schöne Zeiten, vergangene Zeiten.
Kopfballungeheuer Eens wor doch Horscht.
Horst Hrubesch, einer der alten Schule, von Schrot und Korn des Knipsers geschnitzt.
Geringer Aktionsradius, Strafraumpräsenz ungeheuerlich, dort, wo's weh tat.

Verfasst: 04.01.2006, 15:23
von Falcão
teutone hat geschrieben:Hmmm den gabs hier doch erst am Dienstag
ok,....den "Sport" am MO, den Kicker am DI.....

Verfasst: 04.01.2006, 22:56
von könig
ha träne in de auge!!!
KOMMERZ ZERSCHLAGEN!!!!
Verfasst: 05.01.2006, 00:15
von Éder de Assis
[quote="Falcão"]ok,....den "Sport" am MO, den Kicker am DI..... ]
Und die Sommerausgabe des kicker kurz vor Saisonbeginn der Bundesliga mit genialer Diagramm-Stecktabelle mit 1-18 Einsteckschlitzen und ebensovielen Vereinswappen.
Das kleinste Wappen war Werder oder Arminia.
Wo hab ich die bloss verkramt, verglemmi?

Verfasst: 05.01.2006, 06:57
von teutone
Éder de Assis hat geschrieben:Und die Sommerausgabe des kicker kurz vor Saisonbeginn der Bundesliga mit genialer Diagramm-Stecktabelle mit 1-18 Einsteckschlitzen und ebensovielen Vereinswappen.
Das kleinste Wappen war Werder oder Arminia.
Wo hab ich die bloss verkramt, verglemmi?
Oja die hing jedes Jahr in meinem Kinderzimmer
hmmm arminia war in flaggenform wenn ich mich richtig erinnere
Zum Artikel: Weltklasse....
Verfasst: 05.01.2006, 07:46
von Mätzli
Glänzender Artikel. Alleine für diesen Satz müsste der verfasser den Literaturnobelpreis kriegen. Er bringt es auf den Punkt:
Allerdings ist da auch plötzlich mehr Begeisterung, als gerechtfertigt wäre. Bei Hertha BSC verstärken sie die Fangesänge jetzt per Lautsprecher. Vielerorts wird Torjubel mit Herbert Zimmermanns »Tor, Toor, Tooor!«-Schrei untermalt. Ob im Stadion, Radio oder Fernsehen: Immer öfter klingt Fußball so, als sei er ein Zitat seiner selbst geworden, getrieben vom Wunsch nach Imitation früherer Kultspiele.
Wow!
Verfasst: 05.01.2006, 07:50
von Gevatter Rhein
Andererseits ist es bei Intellektuellen und Feuilletonisten (sowie sich-gerne-dort-ansiedelnden-Sportjournis) auch genauso sexy geworden, sich über den Kommerz und die Plastifizierung im Fussball zu mokieren
Ist mir im Nachhinein auch noch so in den Sinn gekommen.
Verfasst: 05.01.2006, 10:30
von Falcão
Éder de Assis hat geschrieben:Und die Sommerausgabe des kicker kurz vor Saisonbeginn der Bundesliga mit genialer Diagramm-Stecktabelle mit 1-18 Einsteckschlitzen und ebensovielen Vereinswappen.
Das kleinste Wappen war Werder oder Arminia.
Wo hab ich die bloss verkramt, verglemmi?
ich zeig sie dir auf dem Estrich !!

Verfasst: 05.01.2006, 10:53
von alter sack
Mätzli hat geschrieben:Glänzender Artikel. Alleine für diesen Satz müsste der verfasser den Literaturnobelpreis kriegen. Er bringt es auf den Punkt:
Allerdings ist da auch plötzlich mehr Begeisterung, als gerechtfertigt wäre. Bei Hertha BSC verstärken sie die Fangesänge jetzt per Lautsprecher. Vielerorts wird Torjubel mit Herbert Zimmermanns »Tor, Toor, Tooor!«-Schrei untermalt. Ob im Stadion, Radio oder Fernsehen: Immer öfter klingt Fußball so, als sei er ein Zitat seiner selbst geworden, getrieben vom Wunsch nach Imitation früherer Kultspiele.
Wow!
nur mal so ne frage: ist die kommerzialisierung des fussballs hand in hand mit der einführung von privaten fernsehsendern gegangen? in Deutschland und England wohl sicher, was ist mit Italien, Spanien etc.?
der alte sack
Verfasst: 06.01.2006, 07:57
von Mätzli
alter sack hat geschrieben:nur mal so ne frage: ist die kommerzialisierung des fussballs hand in hand mit der einführung von privaten fernsehsendern gegangen? in Deutschland und England wohl sicher, was ist mit Italien, Spanien etc.?
der alte sack
Ich glaube schon. Sieht man sich die Bilanzen der Vereine, nicht nur in der Bundesliga, an, sieht man, dass im Gegensatz zur CH der Löwenanteil der Einnahmen durch den Verkauf von Fernsehrechten entsteht. Auch das höchst einträgliche Geschäft des Merchandising läuft jas nur, wenn der Klub sich permanent einem Millionenpublikum an den Fernsehschirmen präsentieren kann. conditio sine qua non. Als Resultat davon haben grosse Vereine ihre "Fans" über die ganze Welt verstreut. ( siehe Beckham manie in japan, als dieser noch bei ManU spielte)
Soviel ich weiss, haben die Italiener ja damals sogar angefangen mit privaten Sendern und dann mit dem Pay-TV. (Berlusconi himself)
Das "Produkt" Fussball wurde "amerikanisiert". Man hat auch von Seiten der UEFA und FIFA nichts unterlassen, was einem mainstreaming der Fussballunterhaltung förderlich war. Das Resultat ist vernichtend. Keine Leute mehr im Stadion, und die, welche kommen, hocken auf ihren Ärschen rum und kauen Hotdogs.