e voilà - leider wenig Gehaltreich...
Tilman Pauls
Im Sommer 2021 hat der deutsche Musiker Thees Uhlmann ein Lied für den damaligen St.-Pauli-Trainer Timo Schultz geschrieben: «Gute Reise, Timo Schultz, auch für Stadtteil und Verein / Du sollst mein allerletzter FC-St.- Pauli-Trainer sein.» Aus diesem Wunsch wurde jedoch nichts: Im Dezember wurde Schultz entlassen. Nun wechselt der Ostfriese als Trainer zum FC Basel, und Uhlmann freut sich für seinen Freund – auch wenn die Trennung für den bekennenden St.-Pauli-Fan damals ein schwerer Schlag war.
TP:
Thees Uhlmann, Timo Schultz hätte Ihr letzter St.-Pauli-Trainer sein sollen. Wieso?
TU:
Es ist das Romantischste, was ich im Fussball je erlebt habe: Ein Freund wird Trainer von deinem Lieblingsverein. Das war für mich ein Zustand der Komplettheit. Alles hat ineinandergegriffen. Ist aber auch ein bisschen realitätsfremd, oder? Ich bin Künstler und St.-Pauli Fan. Das sind ja beides Entscheidungen, die eher in der Hoffnung angelegt sind als in der Sicherheit. Ich fand es romantisch, war stolz, und wollte, dass es nie aufhört. Auch auf St. Pauli gilt irgendwann: Der Trainer ist der Erste, der fliegt. Es ist ja immer eine gute Idee, einen künstlerischen Entwurf zu behaupten, der das Gegenteil von Realität erzählt. «Unsere Liebe hält für immer». Das Prinzip Gangster-Rap ist darauf aufgebaut, Sachen zu behaupten, die nicht stimmen. Und ein Trainer auf Ewigkeit, das schliesst sich eben auch aus. Das fand ich künstlerisch interessant. Wissen Sie: Es gibt im Fussball wirklich viele Dinge, die mich anwidern: Der Männlichkeitskult, die Gewalt, die finanzielle Verwahrlosung, das finde ich belastend. Aber in all diesen Sachen muss doch irgendwo noch etwas Romantik Platz haben. Darum habe ich daran geglaubt, dass Schulle immer unser Trainer bleibt.
TP:
Wie gross war der Schmerz bei der Entlassung?
TU:
Das war brutal für mich. Das war wie nach einer Trennung. Wie wenn eine Liebe vorbei ist. Ich war sechs Wochen lang kein St.- Pauli-Fan mehr. Nicht aus Trotz, sondern einfach, weil mein Herz blockiert hat. Freunde sind zu mir gekommen und wollten mir aufhelfen. «Jetzt freu dich doch mal wieder über einen Sieg», haben sie zu mir gesagt. Aber ich konnte mich nicht freuen. Was hat beim Herzschmerz geholfen? Ich habe Schulle am letzten Tag des Jahres 2022 getroffen. Ich habe ihm gesagt, wie traurig ich bin. Es war für mich, als wäre jemand aus unserer Band ausgestiegen. Mir hat ein Teil gefehlt. Und was sagt Schulle zu mir? «Thees», hat er zu mir gesagt, «jetzt reg dich nicht auf, so Dinge passieren halt. Es geht weiter, auch für mich.» Das fand ich toll. Wie wird man auf St. Pauli eigentlich zu einer Legende? Das geht über die Zeit, über das Rustikale, über das Freundliche. Mit dem Kopf da sein und in jedem Moment zum Club stehen.
TP:
Wie ist der Trainer Timo Schultz?
TU:
Oh, eine Sportjournalisten-Frage! Ich habe zu wenig Ahnung vom Spiel. Aber ich finde es generell faszinierend, wenn Menschen akribisch arbeiten. Da spielt es keine Rolle – sorry für den billigen Vergleich –, ob einer Trainer ist oder Schweizer Käse herstellt. Ich habe mal ein Foto von Schulle und Loïc Favé gesehen, seinem Assistenten. Da hängen beide über einem iPad und schauen sich irgendwelche Szenen an. Für mich hatte das etwas wahnsinnig Schönes, fast schon Lyrisches. Diese Hingabe, diese Arbeit bis ins letzte Detail. Welche Timo-Schultz-Anekdote muss man kennen? Ich habe 2005 ein Lied geschrieben: «Das hier ist Fussball». St. Pauli ist damals in der 3. Liga rumgegurkt, und es geht in dem Song um einen Club, der keinen Erfolg hat. «Tragik ist wie Liebe ohne Happy End / Und eines ist wirklich sicher, dass die Tragik St. Pauli kennt». Das hat seinen Weg durch die Fanszene genommen und sich durchgesetzt, als Timo bei uns gespielt hat. Eines Tages erhielt ich eine Mail, Timo hat mir vom Teamausflug auf Mallorca geschrieben: «Thees, hier hören alle Spieler deinen Song.» Ich war sprachlos. Das war meine erste Mail von einem Promi. Das ist für mich als Künstler eine sehr wichtige Anekdote.
TP:
Wie ist der Mensch Timo Schultz?
TU:
Timo ist ein ganz toller, ruhiger, normaler, ehrlicher Typ. Er weiss, wie Menschen funktionieren. Er weiss, wie Spieler funktionieren. Und ich habe ihn auch als sehr familiären Menschen kennen gelernt – ich kenne seine Frau und seine Kinder ein bisschen. Halt ein typischer Norddeutscher.
TP:
Wie ist denn ein typischer Norddeutscher?
TU:
Einer, der sich nicht in den Vordergrund drängt. Einer, der bescheiden ist. Einer, der viel nachdenkt – auch wenn es manchmal etwas länger dauert. Einer, der nicht so schnell vergisst. Einer, der das Leben geniesst. Wir haben hier nicht die pure Lebensfreude wie andere. Wir freuen uns, wenn über Nacht der Deich gehalten hat. Wir haben keine Aktien, keine Berge, und es regnet 80 Prozent des Jahres. Aber wir lieben das. Es prägt uns.
TP:
Jetzt wird Timo Schultz Trainer des FC Basel.
TU:
Ich habe mich wirklich sehr gefreut, als ich das gelesen habe. Meine ehemaligen Schwiegereltern leben in Basel – ich hoffe, die haben ein Abo der «Basler Zeitung» und können lesen, was ich hier verzapfe. Ich habe natürlich direkt für Timo geschaut: Wie lange braucht er von Hamburg nach Basel? Gehe ich mit dem Zug oder doch lieber mit dem Flugzeug?
TP:
Ich kann den Nachtzug empfehlen.
TU:
Ha! Das ist eine meiner ersten Kindheitserinnerungen: Wir sind abends mit der ganzen Familie in Altona los, damals hat man das Auto noch hinten auf den Zug geladen. Dann waren wir morgens am SBB und bei meiner Tante in Schopfheim gab es Frühstücksbrötchen. Das war immer sehr aufregend. Aber wo waren wir?
TP:
Bei Timo Schultz, dem neuen Trainer des FC Basel.
TU:
Ach ja.
TP:
Warum passt Schultz nicht nur zum FC St. Pauli, sondern auch zum FC Basel?
TU:
Darf ich kurz ausholen? Wir haben letztes Jahr ein Konzert in Thun gespielt. Das war einer der schönsten Tage überhaupt. Wir waren am Mittag in der Aare schwimmen und haben am Abend auf einer Holzbühne in der Stadt gespielt. Das Konzert war gratis, und es sind immer mehr Leute stehen geblieben. Ich habe mich gefragt: Wieso haben die das gemacht, die hätten ja einfach weiterlaufen können? Die wussten doch nicht, wer wir sind. Aber ich glaube, die haben erkannt, dass da Norddeutsche stehen, die stampfen, verzweifelt um jedes Lied kämpfen, Kunst machen und an sich glauben. Das mögen die Leute. Die Mühe. Und so ist auch Timo. Auch er wird den Leuten imponieren.
TP:
Trotzdem, Basel ist nicht Hamburg.
TU:
Das sind beides hochemotionale Städte, hochemotionale Clubs. Das passt. Wir planen schon mit ein paar Freunden unsere Tour: Ab nach Basel, wir bejubeln einen Sieg und feiern nachher mit Schulle im Hirscheneck, dann weiter am nächsten Tag, Auswärtsspiel von St.Pauli im Süden.
TP:
Welche Ecken in Basel können Sie dem neuen FCB-Trainer empfehlen?
TU:
Andreas Meurer, der Bassist der Toten Hosen, hat mir von den Basler Museen vorgeschwärmt. Ist doch der Wahnsinn: Da gibt es diese kleine, reiche Stadt, die sich in den 60er-Jahren gegen den Verkauf zweier Picassos stemmt, es verhindert – und als Dank noch weitere Kunstwerke geschenkt kriegt. Das ist geil! Darum ist Basel für mich Kultur, Museen und Fussball. Aber klar, ich bin schon mal mit so einem Sack den Rhein runter. Und ich war beim Nationalfeiertag: Ich bin fasziniert, wie man so leise feiern kann. Alle Menschen waren glücklich, aber es war nie lauter als 90 Dezibel. Wenn wir sowas in Hamburg machen, ist es schrecklich laut, überall zerbrochenes Glas und die halbe Stadt ist danach kaputt.
TP:
Was wünschen Sie Timo Schultz für seine Zeit beim FCB?
TU:
Die Meisterschaft und die Champions-League-Teilnahme. Dann kann ich mit Schulle doch noch international fahren. Und dann stehe ich mit einem Plakat im Stadion: «Timo-Schultz- Ultras». Aber wenn ich ehrlich bin, dann wünsche ich Timo nur, dass er in Basel ein bisschen von dem Glück erfährt, das er mir in den letzten Jahren beschert hat.