Snowy hat geschrieben:Als ob 9/11 vo dr Al Quaida usgführt worde isch...
Geheimnis, das die Zeit nicht enthüllt
Tim Weiners spannender Abriss der 60-jährigen Geschichte des US-Geheimdienstes CIA
Andreas Förster
Büchern, seien es nun Romane oder historische Abhandlungen, werden von ihren Autoren gern Zitate vorangestellt, die mit dem kommenden Stoff auf irgendeine mehr oder weniger nachvollziehbare Weise korrespondieren. Tim Weiner, dessen kritischer Abriss der 60-jährigen Geschichte des US-Geheimdienstes CIA jetzt in Deutschland veröffentlicht worden ist, fand ein ebenso tröstliches wie sympathisch kurzes Bonmot als Motto seines Werks: "Es gibt kein Geheimnis, das die Zeit nicht enthüllt", heißt der Satz, der mehr als drei Jahrhunderte alt ist und aus Racines "Britannicus" stammt.
Weiner will mit diesem Satz andeuten, dass es Geduld braucht, um hinter verschwiegene Wahrheiten und vertuschte Vorgänge zu kommen. Der zweifache Pulitzerpreisträger und für "Legacy of Ashes: The History of the CIA" mit dem National Book Award 2007 ausgezeichnete Journalist bei der New York Times und einer der intimsten Kenner der US-Geheimdienstszene, hat diese Geduld aufgebracht.
Zwanzig Jahre lang recherchierte er für sein CIA-Buch, er führte Hunderte von Interviews mit Spitzenpolitikern und hochrangigen CIA- Agenten von gestern und heute, sichtete über 50 000 lang geheim gehaltene Dokumente, die - in Deutschland undenkbar - nach und nach durch den Geheimdienst und die Administration freigegeben werden. Herausgekommen ist ein wahrlich famoses Werk, das seinen Anspruch, die "ganze Geschichte" der CIA auf gut 800 Seiten zu erzählen, tatsächlich erfüllt.
Weiner gelingt dies, weil er sich nicht - wie es häufig in solchen Büchern geschieht - in der detaillierten Aufzeichnung von Geheimdienstoperationen verliert und jede noch so kleine personelle und strukturelle Verästelung der Apparate ausbreitet. Er konzentriert sich stattdessen auf Porträts der wichtigsten Personen, die Strategie und inhaltliche Ausrichtung des US-Dienstes über fünf Jahrzehnte hinweg nachhaltig prägten.
So erfahren wir etwa von Allen W. Dulles, dem vom gnadenlosen Kampf gegen die Nazis im Zweiten Weltkrieg geprägten Strippenzieher, der die politischen Rivalitäten in Washington so lange anheizte, bis er endlich, 1953, die CIA übernehmen und unzählige Sabotageaktionen, Mordanschläge und Putschversuche im Ostblock, in Lateinamerika und Übersee anweisen konnte, die vielen dort rekrutierten Agenten und unschuldigen Zivilisten das Leben kostete.
Wir lesen von Frank G. Wisner, dem schließlich im Wahnsinn versunkenen Chef für Sonderoperationen, der ein Jahrzehnt lang buchstäblich über Leichen ging und doch keines der mit seinen Aktionen verfolgten politischen Ziele erreichte; von dem glücklosen Stansfield Turner, unter dem die CIA den Einmarsch der Russen in Afghanistan im Dezember 1979 ebenso verschlief wie zehn Monate zuvor die iranische Revolution unter Ayatollah Khomeini; von William J. Casey, den Ronald Reagan 1981 ins Amt holte und der laut Weiner aussah wie ein ungemachtes Bett.
Auch unter Casey, dem "selbstherrlichen Freibeuter" (Weiner), hatten sogenannte Sonderoperationen - die heimliche Aufrüstung des Iran im Iran-Irak-Krieg, die Unterstützung rechter Todesschwadronen in linksgerichteten Ländern Mittelamerikas, die enge Kooperation mit Osama bin Laden und anderen Mudschaheddins im Krieg gegen die sowjetischen Besatzer in Afghanistan - Vorrang vor dem Sammeln politischer Informationen.
Die Folge davon war, dass die CIA vom Fall der Berliner Mauer und der Implosion des sowjetisch beherrschten Ostblocks völlig überrascht wurde.
Das allerdings lastet Tim Weiner nicht allein der Ära Casey in den Achtzigerjahren an. Wie der Autor schreibt, hatte die CIA über die gesamte Zeit des Kalten Krieges hinweg nur insgesamt drei Agenten, die wichtige Geheimnisse über die von Amerikas Hauptfeind ausgehende militärische Bedrohung lieferten.
In der Spitze des Moskauer Parteiapparates gelang es den Amerikanern all die Jahre hindurch sogar überhaupt nicht, eine Quelle zu rekrutieren, die sie mit verlässlichen Informationen über die politische und wirtschaftliche Lage der Sowjetunion und des Ostblocks versorgte.
Und so lieferten noch bis 1989 hoch bezahlte CIA-Analysten, die die Sowjetunion nie aus eigener Anschauung kennengelernt hatten, dem US-Präsidenten regelmäßig Berichte über die wachsende sowjetische Wirtschaft. "Sie nahmen einfach gewohnheitsmäßig die von den Sowjets offiziell verlautbarten Zahlen, zogen ein Prozent ab und veröffentlichten sie", zitiert Weiner in seinem Buch Mark Palmer, Kreml-Experte in der Regierung Bush sen. "Und sie waren schlichtweg falsch, und jeder, der sich in den Dörfern und kleinen Städten umgeschaut hatte, wusste, es war absolut verrückt."
Weiners Buch ist nicht nur eine gnadenlose und ungemein spannend zu lesende Abrechnung mit dem Mythos von der allmächtigen Agency.Indem er Zitate von stets klar identifizierbaren Personen aus dem unmittelbaren Umfeld der den Dienst am meisten prägenden Figuren mit knapp gehaltenen Beschreibungen beispielhafter CIA-Operationen verknüpft, gelingt dem Autor darüber hinaus das überzeugende Psychogramm eines Geheimdienstes, der sein komplettes Versagen auf dem originären Gebiet der Informationsgewinnung bis heute durch eine "organisierte politische Kriegsführung" - wenn auch bis auf wenige Einzelfälle vergeblich - zu kompensieren versucht.
Tim Weiner: CIA. Die ganze Geschichte. S. Fischer, Frankfurt am Main 2006. 850 S., 22,90 Euro.
