Basler Beobachter hat geschrieben: 26.11.2025, 07:54
Tsunami hat geschrieben: 25.11.2025, 22:01
OK, danke für die Erklärung. Damit kann ich gut leben :) .
Ich kann wirklich niemanden verstehen, der über diesen Krieg richtig informiert ist*, und die Russen unterstützt.
* Das ist eben so eine Sache: wie werden die Leute in all diesen Ländern informiert? Längst nicht alle haben mehr oder weniger neutrale Informationen wie wir sie hier in der Schweiz haben. Ich wüsste nicht, wie viele Schweizer den Krieg unterstützen würden, wenn es nur russische Informationen geben würde.
In der Dritten Welt lautet der Tenor etwa so: "Ihr Europäer, ihr habt Krieg untereinander. Das ist euer Problem, nicht unseres. Lasst uns einfach damit in Ruhe."
Zudem fordert die reiche westliche Welt von den ärmeren Ländern, Menschenrechte einzuhalten, gewisse Umweltschutzmassnahmen zu ergreifen und demokratische Fortschritte zu erzielen. Das passt vielen Regierungen, vor allem in Afrika nicht. Deshalb wenden diese sich an China und / oder Russland. Kommt noch dazu, dass noch immer Misstrauen gegenüber dem Westen herrscht aufgrund früherer Untaten der Kolonialisten. China und Russland springen in die Bresche, um Handel zu treiben. Beiden Regierungen ist es gleichgültig, welche Gesetze in diesen Ländern herrschen.
In Usbekistan z.B. ist man überhaupt nicht damit zufrieden, dass von der westlichen Welt gefordert wird, dass keine Kinder mehr bei der Baumwoll-Ernte mithelfen dürfen. Dort gibt es 3 Monate Sommer-Schulferien. In dieser Zeit sind ganze Familien beim Pflücken der Baumwolle auf den Feldern. Solche Beispiele gibt es weltweit in grosser Anzahl. In der Dritten Welt werden solche Forderungen als Versuch des Westens betrachtet, dass dieser reich ist und will, dass die armen Länder weiter arm bleiben.
Apropos Usbekistan. Die Baumwoll-Plantagen brauchen sehr viel Wasser. Mangels vorhandener Technik wird noch an vielen Orten geflutet. Das Wasser wird den in den Aralsee mündenden Flüssen Amudarya und Syrdarya entnommen, was zur Folge hatte, dass der See, einst mehr als eineinhalbmal so gross wie die Schweiz, über 90 % seiner Ausdehnung verlor und zur Salzkloake verkommen ist. Es wäre besser, würde der Westen durch Entwicklungshilfe diesem Land moderne und wasserschonende Bewässerungstechnik zukommen lassen, statt auf Teufel komm raus militärisch aufzurüsten. Das würde in diesem Land die Sympathien wieder in Richtung Westen statt China/Russland lenken. Solche Beispiele gibt es in zahlreichen Ländern. Mit dem Anbieten von Hilfe könnte der Westen weltweit mehr Sympathien erhalten als mit dem Erlassen von Vorschriften. Und im Fall von Usbekistan würde es zudem dem Klima guttun.
Einige der Punkte treffen die Stimmung im globalen Süden durchaus, aber vieles ist im Beitrag stark vereinfacht resp. überholt.
1. "Der globale Süden sieht den Ukrainekrieg als europäischen Konflikt"
Das trifft auf gewisse Länder zu – vor allem dort, wo wirtschaftliche Abhängigkeiten bestehen oder wo antiwestliche Narrative historisch verankert sind. Aber pauschal stimmt es nicht: Länder wie Kenia, Ghana, Botswana, Japan, Südkorea, Singapur, Chile und viele andere verurteilen Russlands Angriff sehr deutlich.
2. Einflussverlust des Westens
China gewinnt tatsächlich an Einfluss, weil es Kredite und Infrastruktur ohne politische Bedingungen anbietet. Russland bietet vor allem Waffen und Söldnerdienste. Gleichzeitig sind EU und USA aber weiterhin die mit Abstand grössten Entwicklungs- und Handelspartner vieler dieser Staaten. Die Realität ist also komplexer als ein simples "Abwenden".
3. Usbekistan-Beispiel ist nicht mehr korrekt
Die Aussage zur Kinderarbeit in der usbekischen Baumwollernte ist seit Jahren überholt. Usbekistan hat zwischen 2017 und 2021 die systematische Kinderarbeit vollständig abgeschafft.
4. "Der Westen will die armen Länder arm halten"
Das ist ein verbreitetes Narrativ, aber ohne Beleg. Richtig ist: Manche westlichen Handelsbedingungen waren schlecht durchdacht und hatten unerwünschte Nebenwirkungen. Aber heute werden Programme zur Reduktion von Kinderarbeit oder Umweltbelastungen grundsätzlich mit Sozialhilfe, Bildung und Investitionen kombiniert.
5. Aralsee und Bewässerung
Das Beispiel stimmt faktisch, allerdings unterstützt der Westen solche Programme schon seit Jahren (Weltbank, ADB, EU, GIZ). Der Gegensatz "der Westen rüstet lieber auf statt zu helfen" ist unzutreffend – Entwicklungshilfevolumen und Investitionsprogramme sind enorm.
https://www.worldbank.org/en/news/press ... nk-support
https://www.eib.org/en/press/news/save-the-aral-sea
https://sswm.info/sites/default/files/r ... roject.pdf
6. Russland agiert kolonial – bis heute
Es lohnt sich hier anzumerken, dass Russland selbst noch heute eine faktische Kolonialmacht ist. Die sogenannten Teilrepubliken sind politisch, wirtschaftlich und kulturell stark abhängig, und viele von ihnen (z. B. Dagestan, Tschetschenien, Burjatien, Tuwa) werden systematisch ausgebeutet, inklusive unverhältnismässig hoher Rekrutierung für den Ukrainekrieg. Zudem unterdrückt Moskau regionale Identitäten, Sprachen und politische Autonomie, ganz im Stil historischer Kolonialimperien.
Gerade deshalb kommt es bei vielen afrikanischen und asiatischen Staaten gut an, wenn Russland sich rhetorisch als "antikolonial" inszeniert – obwohl diese Erzählung klar das Gegenteil der Realität ist.
7. Mehr Hilfe ja – aber sie ist längst Realität
Der Westen kann durch Entwicklungs- und Klimaprojekte tatsächlich Vertrauen stärken. Das geschieht bereits: Die EU ist der grösste Entwicklungsfinanzierer der Welt, gefolgt von den USA. Sympathien hängen dennoch stark von lokaler Politik, Propaganda und den Interessen der jeweiligen Eliten ab – nicht allein vom Geld.
Kurz gesagt:
In vielen Punkten existieren tatsächliche Spannungen zwischen West und globalem Süden. Der Beitrag mischt aber Teilwahrheiten mit überholten Fakten und problematischen Schlussfolgerungen. Und er blendet aus, dass Russland selbst kolonial agiert – nicht als Befreier, sondern als moderner imperialer Machtfaktor.
Fazit: Der Westen investiert seit Jahrzehnten Milliarden in Entwicklung, Infrastruktur, Bildung und moderne Bewässerungstechnik, auch in Regionen wie Zentralasien. Russland dagegen bietet kaum echte Entwicklung, sondern verhält sich wie eine klassische Kolonialmacht: Ressourcenabschöpfung, politische Kontrolle und massive Unterdrückung in den eigenen Teilrepubliken. Russische "Hilfe" besteht oft aus Wagner-Söldnerdiensten, die sich durch Entführungen, Lösegeld und Ausbeutung finanzieren, in Afrika dokumentiert durch UNO und NGOs.Trotzdem herrscht in Teilen des globalen Südens eine antiwestliche Grundhaltung, geprägt von kolonialen Erfahrungen, Propaganda und politischen Eliten, die westliche Standards fürchten. Darum kann man durchaus darüber diskutieren, westliche Unterstützung stärker an klare Bedingungen zu knüpfen: Wer von Entwicklungs- und Klimahilfen profitieren will, sollte im Gegenzug grundlegende internationale Normen respektieren, etwa die Mitwirkung an Sanktionen gegen Staaten, die Angriffskriege führen.
Staaten, die lieber auf Russland setzen, können dann auch dessen "Hilfe" in Anspruch nehmen.