Reicht der Heimvorteil gegen die Cup-Experten?
81. CUPFINAL IM BERNER STADE DE SUISSE - SION TRITT GEGEN DIE FAVORISIERTEN YOUNG BOYS UNTER PROTEST AN

Goalgetter I. Paolo Vogt, mit 22 Toren führend in der Challenge League und mit 6 Cup-Toren an Sions Finaleinzug beteiligt.
HANSJÖRGSCHIFFERLI
Im ersten Endspiel im neuen Stadion haben die Berner die grosse Chance, erstmals seit 1987 wieder einen Titel zu gewinnen.
Es sei, sagt auch Marcel Hottiger, der YB-Sportchef aus Basel, eine «ganz spezielle Ausgangslage», die dieser Cupfinal biete: Der erste der Young Boys seit 1991, der nach einer 2:0-Führung noch 2:3 verloren ging - gegen den FC Sion; der erste im neuen Stadion; die Chance für den Verein, erstmals seit dem Cupsieg 1987 wieder einen Titel zu gewinnen. Aber natürlich auch deshalb, weil die Berner nach dem Einzug ins neue Heim grundsätzlich die Basis haben, zur Spitze des Schweizer Klubfussballs zurückzukehren und «YB kurz- oder mittelfristig», wie es Hottiger formuliert, «im Europacup spielen muss.» Ein Cupsieg am Ostermontag würde diese Anforderung bereits kurzfristig erfüllen und wäre, wieder in Hottigers Worten, «ein bedeutender Schritt», eine «Riesenmotivation für alle» und könnte dem Klub «nochmals einen Schub» verleihen, die Ziele zu erreichen, die er sich im neuen Umfeld gesetzt hat: eben auf Dauer wieder zu den «Grossen» zu gehören, dereinst - nicht nur mit dem Stadion - zum reellen Rivalen des FCB zu werden.
Viel zu verlieren. Die Cup-Spezialisten aus dem Wallis unterschätzen wird kein Berner, von einer «50:50-Chance» redet denn auch Hottiger. Aber natürlich ist auch ihnen klar: Von den Young Boys wird gegen den zweitklassigen Gegner, mag der noch so bedeutende Cup-Tradition haben, ein Sieg erwartet, gewinnen können sie in diesem Match deutlich weniger als verlieren. Aber klar scheint: Die Europacup-Qualifikation über einen Sieg gegen Sion scheint doch wesentlich einfacher, als nach einer Niederlage in den letzten fünf Meisterschaftsrunden das Duell um (Uefa-Cup-)Platz 3 gegen GC zu gewinnen. Denn die Zürcher sind erstarkt, sie haben mittlerweile wieder zwei Punkte mehr und spielen gegen YB noch zuhause.
RohrS RESULTATE. Besonders wichtig ist die Qualifikation für den Europacup und damit dieser Final auch für Gernot Rohr, den neuen Trainer. Bisher nämlich fällt seine Bilanz - vom Fortkommen im Cup mal abgesehen - nicht eben überzeugend aus: In der Meisterschaft führte er die Mannschaft zwar vom 5. auf den 4., vorübergehend gar auf den 3. Platz. Aber Vorgänger Hanspeter Zaugg gewann in 12 Spielen im Schnitt 1,58 Punkte, für Rohr sinds erst 1,47. Zaugg war die zu unattraktive Spielweise vorgeworfen worden, Rohr aber lässt sicher nicht spektakulärer spielen - eher im Gegenteil. Für Sportchef Hottiger hat sich der Wechsel dennoch gelohnt: «Wir sind heute auch im Umfeld des Teams professioneller aufgestellt», sagt er, «und in letzter Zeit spielten wir, den Match am Mittwoch gegen Schaffhausen mal ausgenommen, auch nach vorne nicht schlecht.» Noch aber sei YB nicht konstant, was insofern nicht verwundert, als von der Startelf des Cupfinals nur zwei, Goalie Wölfli und Captain Magnin, schon vergangene Saison für YB spielten.
Sions Protest. Egal wie man es sieht: Rohr braucht vielleicht mehr noch als üblich Resultate, um seinen Stil zu rechtfertigen. Mit welchem Team er das Endspiel angeht, ist auf zehn Positionen klar: Im zentralen Mittelfeld spielt Joël Magnin für den gesperrten Pirmin Schwegler, daneben - trotz dem Protest des FC Sion - Everson, der gemäss Verband seine für den Cup gültigen Sperren abgesessen hat. In der Offensive stehen Carlos Varela und Mario Raimondi auf den Flanken. Fraglich ist einzig, ob zwischen ihnen Hakan Yakin oder Gilles Yapi spielt. Erst am Montag will sich Rohr entscheiden. In einer Beziehung immerhin scheinen die Berner auf dem Weg des Erfolgs: Sie und nicht Constantins Walliser logieren über Ostern im Spiezer Hotel Belvédère; sie nächtigen vor dem Endspiel in jenen Zimmern, wo 1954 die nachmaligen deutschen Weltmeister um Fritz Walter schliefen.
Goalgetter II. Joao Paulo traf 13-mal für YB in der Liga und wie Sions Vogt 6-mal im Cup. Fotos foto-net/EQimages
PETERBIRRER
Der FC Sion steht am Ostermontag zum zehnten Mal im Cupfinal. Verloren haben die Walliser noch nie. Aber diesmal sind sie unterklassig - und die Aussenseiter.
Als der FC Sion letztmals in einen Cupfinal einzog und diesen im Penaltyschiessen gegen Luzern gewann, schrieb man das Jahr 1997. Die Zukunft im Wallis versprach rosig zu werden. Europa war die Plattform, auf der man sich zeigen wollte. Was daraus wurde, ist hinlänglich bekannt. Der Verein mit seinem Präsidenten Christian Constantin stürzte ab, finanziell wie auch sportlich.
Die neuzeitliche Geschichte des Klubs fängt mit dem Kapitel an, zu dem Constantins Rückkehr gehört und vor allem eine seiner ersten Taten, die ihm im ganzen Tal verloren gegangenen Goodwill zurückbrachten. Der FC Sion war 2003 in die 1. Liga zwangsrelegiert worden, aber Constantin fand genügend Argumente, um die Reintegration in die Challenge League mit monatelanger Verzögerung zu erwirken. Ende Oktober 2003 startete Sion gegen Bulle in die Meisterschaft - damals noch unter dem ehemaligen Basler Spielertrainer Didier Tholot.
Der FC Sion fand langsam zurück zur Stabilität im Kanton. Er hat eine Ausstrahlung wie in der Liga nur noch der FC Luzern oder allenfalls Lausanne, und er braucht um öffentliche Unterstützung nie zu bangen. Knapp 4500 Saisonkarten hat er verkauft, und er weist mit 8011 Zuschauern pro Heimspiel den fünftbesten Schnitt aller 28 Swiss-Football-League-Mitglieder auf. Noch intensiver wird die Nähe des Walliser zu seinem Liebkind FC Sion, wenn im Schweizer Cup Grosses geleistet wird. Als die zehnte Finalteilnahme feststand, brach kurzerhand der Ausnahmezustand aus.
Fanatische Fans. Das zeigt sich am Beispiel der 1700 Tickets, welche die SBB in Kombination mit der Zugreise nach Bern offerierten. In Sion und Brig übernachteten fanatische Supporter mit Schlafsäcken vor den Bahnhöfen.
Erwartet wird vom FC Sion die Fortsetzung der Cup-Tradition, die besagt, dass bislang sämtliche neun Finals gewonnen wurden. Qualitativ wird die Mannschaft für gut genug befunden, um gegen YB das Jubiläum zu schaffen und danach auch in die Super League aufzusteigen. Präsident Constantin stellte ein 6,5-Millionen-Budget zusammen, mit dem alle anderen Liga-Vertreter überragt werden.
CONSTANTINS ANSPRUCH. Im Herbst schon sah sich Constantin aber gezwungen, auf der Position des Trainers - wieder einmal - eine Änderung vorzunehmen. Gianni Dellacasa musste gehen, und auf der Kandidatenliste fanden sich prominente Namen aus der Gewichtsklasse des Serie-A-Erprobten Zdenek Zeman. Am 18. Oktober 2005, dem Tag von Dellacasas Freistellung, antwortete Constantin auf die Frage, ob es überhaupt einen Trainer gebe, der unter ihm arbeiten könne: «Ja, natürlich. Es hat auch schon welche gegeben, die Meister und Cupsieger geworden sind.»
Er vertraute Christophe Moulin, einem alten Bekannten aus Martigny. Der Trainer mit dem unspektakulären Werdegang bei Martigny, Monthey und Nyon machte seinen Job so gut, dass er nicht nur bis Weihnachten, sondern bis heute bleiben durfte. Einen Vertrag besitzt er nicht, aber Moulin sagt: «Ich bin nicht auf den Fussball angewiesen, um meine Existenz aufrechtzuerhalten.»
Moulins Chance. Moulin trainiert in Sion ein Kader, das er «für das wohl beste der Challenge League» hält. Angst vor dem Präsidenten, der den Ehrgeiz vorlebt und nichts als den Erfolg fordert, hat er keine, denn: «Constantin ist der grösste Fan des FC Sion. Und er will das Gleiche wie ich.» Das gilt auch für den Cupfinal gegen die Young Boys, in dem sich die Walliser in der Rolle des Aussenseiters sehen. Und dann? Wie weiter? Bleibt Moulin Trainer? Er weiss es noch nicht. Das einzige Mittel, das ihn im Amt halten wird, heisst Erfolg und bedeutet neben dem Cupsieg eben auch den Aufstieg in die Super League.