Frühe Tore als Stimmungskiller
DIE SCHWEIZ VERLIERT GEGEN BRASILIEN MIT 1:2 (0:2)

Alle schauen dem Ball hinterher. Streller, Senderos, Vogel, Zuberbühler, Magnin und Lichtsteiner sehen, wie der Ball von Luisão zum 0:1 ins Tor fliegt. Foto Stefan Holenstein
Marcel Rohr
Es war angerichet für eine grosse Fussball-Party im umgebauten St.-Jakob-Park vor 39000 Fans - doch im 13. Länderspiel des Jahres hatten die Schweizer weder genügend Kraft noch Klasse, um die 1:2-Niederlage gegen den fünffachen Weltmeister abzuwenden.
Auf dem Weg in die Halbzeit waren sich die alten Weggefährten aus Mailand wieder ganz nah. Fast zärtlich legte Kaka seinen Arm um die Schulter von Johann Vogel. Ein kurzer Schwatz, man war unter Freunden. Die beiden Captains hatten sich zwischen Rasenmitte und Kabinentrakt bestimmt einiges zu erzählen. Während Kaka, dieser geniale Ballverteiler mit dem smarten Blick eines Studenten leicht lächelte, kniff Vogel die Augen zusammen. Der Abend war unerfreulich verlaufen für den Romand, der letzte Saison noch zusammen mit Kaka bei der AC Milan gespielt hatte. 2:0 für Brasilien stand es nach 45 Minuten, ein klares Resultat, das nicht viele Erklärungen benötigte, zu stark, zu ballsicher, zu schön spielten die Südamerikaner.
Dabei war doch alles so prima angerichtet worden für das Spiel des Jahres im neuen, umgebauten St.-Jakob-Park; kilometerlange Staus auf den Zubringern der Arena kündigten schon am Nachmittag das letzte Fussballfest des Jahres an. Auf fast jedem der 38929 Sitze lag eine rot-weisse Schweizer Fahne, was dem Ganzen auch optisch eine Prise Spektakel verleihen sollte.
Eifrig wurden dann die Fahnen auch geschwenkt, als der fünffache Weltmeister den neuen Rasen betrat - doch aus der Schweizer Party wurde nichts. Als Stimmungskiller erwies sich natürlich das erste Tor der Brasilianer durch den Abwehrhünen Luisão schon nach 22 Minuten, bei dem weder Marco Streller noch Johan Djourou wirklich im Bilde waren, als der Benfica-Profi aus nächster Nähe wuchtig den Ball ins Tor von Pascal Zuberbühler köpfelte.
Niedriger Dezibel-Wert. Doch schon vor diesem ersten Tor war es merklich ruhig gewesen im Stadion. Die neue, erhöhte Gegentribüne mit dem deutlich nach oben verschobenen Dach drückt den Dezibel-Wert um einiges nach unten.
Als besagter Kaka dann nach 35 Minuten von einem krassen Missverständnis zwischen Djourou und Zuberbühler profitierte und den Ball ins leere Tor zum 2:0 spedierte, war der Abend stimmungstechnisch schon fast im Eimer.
Brasilien, der Erste der Fifa-Weltrangliste, zeigte, warum er immer noch das Mass aller Dinge ist. Selbst ohne Weltfussballer Ronaldinho, der eine Stunde auf der Bank blieb, lief der Ball phasenweise wie an der Schnur gezogen durch die Reihen. Die Schweizer kreierten in ihrem 13. Länderspiel des Jahres kaum eine Aktion aus dem Spiel heraus; der Aufbau war statisch, ohne grosse Überraschungsmomente.
Eine Überraschung hatte einzig Köbi Kuhn auf Lager. Und zwar vor dem Anpfiff: Obwohl der Nationalcoach schon 27 Spieler aufgeboten hatte, nominierte er am Tag vor dem Match auch noch Stephan Lichtsteiner. Dies, weil die etatmässigen Rechtsverteidiger Philipp Degen und Valon Behrami verletzt passen mussten. Dass Lichtsteiner dann gleich von Beginn weg spielte war ebenso eine Überraschung wie die Besetzung des rechten Mittelfeldes - dort durfte sich Johan Vonlanthen austoben.
Zur Pause blieb Johann Vogel dann in der Kabine, sein Kumpel Kaka spielte weiter. In der 63. Minute traf er mit einem wuchtigen Schuss nur den Pfosten. Es schien alles seinen gewohnten Gang zu nehmen - bis sich bei Brasilien Bruder Leichtfuss ins Spiel schlich. Die beruhigende Führung bewog den einen oder anderen Star der Seleçao, nicht mehr richtig nachzusetzen. Dazu brachten die Wechsel von Kuhn - Dzemaili für Vogel, Margairaz für Streller, Müller für Djourou - frischen Wind ins Gefüge.
Die Quittung. 20 Minuten vor Schluss erhielten die Südamerikaner dafür prompt die Quittung: Eine Flanke von Cabanas köpfelte Inter-Verteidiger Maicon ins eigene Tor. 1:2 - jetzt erwachten auch die Zuschauer wieder. Und die Schweizer wurden mutiger, sie begannen zart, an ihre Chance zu glauben. Bei einem Schuss von Barnetta rettete Keeper Helton, der beim Gegentor ebenso gepatzt hatte wie Zuberbühler auf der anderen Seite, gekonnt und spektakulär (74.). Und Verteidiger Senderos hatte gar den 2:2-Ausgleich auf dem Kopf, als er den Ball um Zentimeter am Tor vorbeizirkelte (80.).
Doch Brasilien verwaltete den knappen Vorsprung, der neue Trainer Dunga feierte in seinem sechsten Spiel den fünften Sieg. Die Schweizer müssen sich nach ihrer zweiten Niederlage des Jahres gewiss nicht grämen; gegen Brasilien darf man verlieren. Etwas mehr Mut und Entschlossenheit hätte man sich lediglich nicht erst dann gewünscht, als die Techniker aus Südamerika einen Gang zurückschalteten.
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