Tages-Anzeiger vom 20.01.2007
Wo Agrar-Subventionen versickern
Die Agrarplattform hat in einer langwierigen Streitschlichtung aufgedeckt, wo viele Subventionen versickern. Und: Tierfreundliche, ökologische Produktion ist für die Bauern ein Verlustgeschäft.
Von Andreas Flütsch
Was für seltsame Blüten das Subventionswesen des Schweizer Agrarsystems treibt, zeigen die Massnahmen gegen den Rinderwahn (BSE). Migros, Coop und Fenaco erhalten Subventionen, um Schlachtabfälle zu Fleischmehl zu verarbeiten; Holcim erhält Geld, damit sie einen Teil des Fleischmehls als Brennstoff in ihren Zementwerken einsetzt. Der Rest wird mit Subventionen exportiert. Kostenpunkt für den Bund, und damit für die Steuerzahler: 27,9 Millionen Franken. Und das Jahr für Jahr.

Das ist nur ein Beispiel von vielen, wie Hunderte Millionen Franken Subventionen nicht bei den Bauern ankommen, sondern irgendwo versickern. Die 2002 von der Migros lancierte Agrarplattform brachte die Bauern, ihre Verbände, die Bundesverwaltung und nachgelagerte Stufen wie Milchverarbeiter und die Nahrungsmittelindustrie an einen Tisch. Fünf Jahre lang wurde gestritten; nächsten Donnerstag publiziert die Agrarplattform die von allen Beteiligten abgesegneten Ergebnisse. Über letzte Details liegen sich die Beteiligten immer noch in den Haaren, doch die Schlüsselzahlen in den Unterlagen, die dem «Tages-Anzeiger» zugespielt wurden, sprechen eine klare Sprache: Von den rund
4,1 Milliarden Franken, die der Bund im peinlich genau untersuchten Jahr 2002 auszahlte, bekamen die Bauern nur 3,2 Milliarden. 608 Millionen haben nicht landwirtschaftliche Firmen eingestrichen, oder sie gingen an die Bundesverwaltung, an Berater, Werber und Forscher.
Grösster Profiteur im Jahr 2002 war der börsenkotierte Milchkonzern Emmi, gefolgt von den Nahrungsmittelfirmen (sie profitieren, unter anderem, von verbilligten Rohstoffen aus dem so genannten Schoggi-Gesetz). Satte 70 Millionen hielt die Agro-Lobby dem Milchverwerter Hochdorf zu, der damals finanziell angeschlagen war. Aber auch andere Grossfirmen wie Cremo sahnten ab. Selbst die Käsehändler Lustenberger & Dürst und Fromalp erhielten in diesem Jahr Millionen von Franken.
Der Bund belohnt auch Verbands- und Vereinsmeierei. Bedacht wird eine Fülle von Organisationen, die in den Unterlagen der Agrarplattform über Seiten aufgelistet werden - vom Bauernverband über den Milchbauerndachverband SMP bis hin zu kleinsten Partikularinteressen-Vertretern wie der IG Dinkel, dem Haflingerverband, dem Zuchtverein Engadinerschaf oder dem Hinterwälder-Zuchtverein in Saanen (heisst tatsächlich so). Sind Herrenreiter so arm, dass der Bund ihren Zuchtverband für Anglo-Araber subventionieren muss?
Bauern subventionieren Milchriesen
Dass Milchkonzerne vom Bund für die Herstellung von Butter gesponsert werden, ist bekannt. Im 2002 erhielten sie dafür über 80 Millionen Franken. Für welche Leistung?, bemängeln Kritiker seit langem. Für die Verarbeitung und den Export von Magermilch spendete der Bund weitere 41,5 Millionen Franken. Die grössten Empfänger waren Cremo, Hochdorf, Emmi und Nestlé. Auch hier - für welche Leistung wurden die privaten Firmen belohnt? Im Bereich Käseexport, wo der Bund über 45 Millionen Franken ausschüttete, war Emmi mit 60 Prozent der grösste Empfänger, gefolgt von den Käsehändlern Lustenberger & Dürst und Fromalp.
Unverhofft ans Tageslicht gefördert hat die Agrarplattform dagegen, dass Emmi und Cremo 2002 ein Darlehen des Bundes über 30 Millionen Franken an die angeschlagene Hochdorf-Gruppe weitergeleitet hatten. Getilgt wurde das Darlehen über die «Entgegennahme von Abgaben der bäuerlichen Milchproduzenten», heisst es dazu in den Unterlagen. Im Klartext: Das Geld zur Tilgung des Darlehens kam von den Bauern.
Zur Kasse gebeten wurden die Bauern 2002 zudem, damit zwei Darlehen des Bundes an Verwerter getilgt werden konnten. Eines davon, vom Bund unter dem aufschlussreichen Titel «Liquiditätsverbesserung» ausgeschüttet, machte 30 Millionen Franken aus, Emmi behielt davon faktisch 60 Prozent. Den dritten Kredit über 25 Millionen Franken teilten sich Hochdorf und Emmi rund hälftig. Die Rechnung bezahlten laut Agrarplattform die Bauern. Seit 2002 haben sich die Beträge der einzelnen Empfänger verändert, die Mechanismen sind jedoch die gleichen.
Verlust trotz Putzfrauenlohn
Eine Erkenntnis der Agrarplattform überraschte selbst Bauernvertreter: Sauber kalkuliert, resultiert aus den Beiträgen des Bundes für besonders tierfreundliche Haltung und ökologische Produktion ein Verlust. Die Biobauern legen drauf, weil die Auflagen, die mit den Beiträgen verbunden sind, im Betrieb viel zu hohe Zusatzkosten verursachen. Die Vorschriften sind zu kompliziert, und die Beiträge zu klein - gemessen am tatsächlichen Aufwand. Und dabei legten von der Agrarplattform zugezogene Spezialisten der Kalkulation bloss einen Stundenlohn von 25 Franken zu Grunde - einen Putzfrauenlohn. Bei für Handwerker üblichen Ansätzen sähe die Bilanz noch schlechter aus.