Seite 2 von 2

Verfasst: 25.01.2007, 16:21
von fausto klaus
eher schwach von herr claude heute, vom letzen satz abgesehen.

das interview in diesem stelzbock, der verdächtige ähnlichkeit mit dem hiesigen "schreyhals" hat, zeigt einen relativ geradlinigen mann als sicherheitschef. ein polteri, der wohl keine lust mehr hat, sich vor nachtclubs rumzutreiben. aber er bringt eine fette gerade vor das behämmerte gesicht von thommy H.

Verfasst: 05.02.2007, 07:12
von IP-Lotto
Pascal Claude, WoZ vom 1. Februar 2007 hat geschrieben: Erlebe Emotionen in der UBS-Arena

Drei Prozent der Schweizer Bevölkerung ärgern sich laut einer Demoscope-Studie über die Euro 08. Das ist eine fiese Zahl, denn drei Prozent, das sind die ewigen Miesmacherinnen und Calvinisten, die meinen, alles müsse seine Ordnung haben.

Das sind die drei Prozent, die immer irgendwo dagegen sind, gegen Skirennen bei fünfzehn Grad plus, gegen Crevettenspiesschen, gegen die GegnerInnen der Südanflüge, gegen die Zeitungen, die gegen den Verzicht auf Formel 1 beim Schweizer Fernsehen sind. Die drei Prozent sind die, zu denen niemand gern gehört. Ausser man wird gezwungen.

Wie auch immer: Es war zu befürchten, dass sie sich irgendwann zu Wort meldet, die UBS, schliesslich ist sie nationaler Sponsor der Euro 08. Jahrzehntelang hat sie sich vom Fussball ferngehalten, diesem unterschichtigen und anlagefeindlichen Minenfeld, bis sie merkte, dass dem Tretsport nun auch Eintritt gewährt wird in den «Salon», dass Politikerinnen und Soziologen, Literatinnen und Philosophen sich dazu äussern und dass bei Länderspielen nun auch Offroader mit Zuger Kennzeichen vor dem Joggeli parkieren. Der Fussball, hat sich die UBS gesagt, entflieht dem Proletenmilieu. Zeit, einzusteigen. Als erstes stach sie die Credit Suisse aus und wurde offizielle Bank der Euro 08 und nationaler Sponsoringpartner der Uefa. Die CS, die die Nachwuchsarbeit des Fussballverbandes während der letzten zwölf Jahre finanziert hat und vielleicht dachte, vom Verband dafür etwas zurückzubekommen, schaute ziemlich dumm aus der Wäsche. Und nun schenkt uns die UBS in einem Akt seltener Selbstlosigkeit siebzehn UBS-Public-Viewing-Arenen für die Zeit der Euro 08. Der für die Umsetzung verantwortliche Patrick Magyar jubelte in «Sport aktuell», es werde wie in einem Stadion sein, bloss liege das Sitz-/Stehplatz-Verhältnis in den UBS-Arenen bei 1:5 bis 1:6. «Wie früher in den Fussballstadien also?», fragte demütig der SF-Sportreporter. Und Magyar strahlte: «Da, wo es noch richtig abgegangen ist mit der Stimmung, jawohl.»

Was soll man da sagen? Ist das nicht alles irgendwie pervers? Da wartet die Grossbank, bis sich der Fussball von all dem Pöbel und Gesocks befreit, bis er die wirklichen Massen erreicht hat, auch die mit viel Geld und wenig Skrupel, bis er clean ist und gezähmt, bis er strahlt und glänzt und Milliarden umsetzt, und dann steigt sie ein, top down, überzieht das Land mit Plastikstadien und lässt in diesem Fussball-Disneyland die gute alte Zeit hochleben. Das ist kaputt. Das ist einfach total kaputt.

Zur gleichen Zeit lässt die Uefa verlauten, sie werde an die Euro 08 Detektive entsenden im Kampf gegen Ambush-Marketing, und der «Tages-Anzeiger» berichtet, die Uefa wolle Gebühren erheben auf jeden verdammten öffentlichen Fernseher. Das stimme nicht, wehrt sich die Uefa, das gelte nur für Leinwände, und sie verklemmt sich dabei ein «leider». Soll mir keiner erzählen, der neue Präsident Michel Platini werde hier die Notbremse ziehen und gleichzeitig Moldawien einen Champions-League-Startplatz garantieren. Mehr Spektakel, weniger Markt? Weru2019s glaubt. Und seit Platinis Jubel nach seinem Penaltytor im Heysel und seiner Erklärung «wenn der Trapezkünstler stirbt, bringen sie den Clown» möchte ich mit diesem Herrn sowieso nie über seine Definition von Spektakel reden.

Am 7. Juni 2008 fahr ich vielleicht nach Grenchen in die UBS-Arena, weil sich bei mir in der Nähe niemand die Uefa-Euro 08-Leinwand-Gebühren leisten kann. Ich werde vielleicht das T-Shirt der Brauerei Einsiedeln tragen, das ich zu meinem letzten Geburtstag geschenkt bekommen habe. Uefa-Ambush-Marketing-Detektive werden mich erwischen und der Polizei übergeben, weil Feldschlösschen das offizielle Arena-Bier ist. Ich werde viele Emotionen erleben, mich wehren und schreien: «Maisgold ist besser als Gold! Dinkel ist besser als Urtrüb!» Wegen blöden Verhaltens anlässlich einer Sportveranstaltung werde ich in der Hooligendatenbank landen. Nun bin ich vom Fussball ausgeschlossen. Ich bleibe jedes Wochenende zu Hause und schaue Bahn-TV. Und wenn mich jemand fragt, wie ich mich fühle, sage ich: «Wie drei Prozent.»

Verfasst: 15.02.2007, 06:37
von quasimodo
Tod im Calcio

Das Spiel geht weiter

Von Pascal Claude

Anders als hierzulande fehlt es in Italien an Strategien gegen Fangewalt und an flächendeckender Fanarbeit. In der Schweiz ist beim Thema Fussballfans vor allem die Verdrehung der Fakten in den Medien katastrophal. Auch nach Catania.

«Spart euch das Geld, Ragazzi, geht eine Pizza essen», empfahlen die Polizisten, «was ihr da drin zu sehen bekommt, das möchtet ihr lieber nicht sehen.» Die Beamten liessen nicht mit sich reden. Das Spiel hatte schon begonnen, doch die fürsorglichen Herren hinter Plexiglasvisieren dachten nicht dar*an, nachträglich noch zwei naive Touristen durchzulassen. Über einen Umweg gelangten wir dennoch bis zum Stadionzaun, wo uns ein einsamer Angestellter kommentarlos und umsonst das Tor öffnete. Das Spiel vor vielleicht 5000 Zuschauern endete unentschieden. Mit dem Schlusspfiff stürmten Polizisten in den Sektor der Heimfans, es entbrannte eine wüste Keilerei, die sich nach draussen verlagerte. Hunderte Fans gegen Dutzende, zum Teil berittene Polizisten. Steine und Flaschen flogen, die Antwort war Tränengas. Am folgenden Tag schrieb die Regionalzeitung von verletzten Polizisten, einem komplett zerstörten Restaurant, mehreren eingeschlagenen Schaufenstern und einem Tifoso, der von einem Polizisten angeschossen worden war. Der Bürgermeister drohte: «Noch einmal, und ich schliesse das Stadion.» Was sich da angekündigt und schliesslich - offenbar zu niemandes Erstaunen - entladen hatte, war eine Strassenschlacht nach einem Fussballspiel in Siziliens Hauptstadt. Palermo und Catania, damals beide drittklassig, hatten sich an einem Dienstag zur Serie-C-Cuppartie getroffen. Das war im Oktober 1999. Vergangenen Freitag trafen die beiden Klubs, die mittlerweile in der Serie A spielen, zum wiederholten Male aufein*ander, diesmal in Catania. Der Rest ist bekannt: Bei schweren Ausschreitungen von Catania-Ultras während und nach dem Spiel kam der Polizeiinspektor Filippo Raciti ums Leben, nach jüngsten Erkenntnissen der Ermittler getötet durch den Wurf mit einem aus der Wand des Stadions gerissenen Waschbecken. Zuvor war vermutet worden, ein selbst gebastelter Sprengkörper, der vor Racitis Gesicht explodierte, habe den 38-Jährigen getötet.

Hände verwerfen

Was in den Samstagsausgaben der nichtitalienischen Zeitungen noch als Kurzmeldung zu übersehen gewesen war, schaffte es innert 24 Stunden auf die Titelseiten und in die Hauptausgaben der TV-Nachrichten; Catania auf Augenhöhe mit Klimawandel und toten IrakerInnen. «Bigotterie am Ball» («Tages-Anzeiger»), «Tod und Spiele» (FAZ) oder «Verrottetes Spiel» (NZZ) hiessen die Überschriften, und die KommentatorInnen sprachen mit einer Stimme: Tragisch, aber nicht überraschend, was passiert sei, und wenn Italien jetzt nicht endlich reagiere, sei es wohl zu spät. Die «Süddeutsche Zeitung» titelte «Das Spiel ist aus» und schenkte damit all jenen italienischen Funktionären und PolitikerInnen Glauben, die in den ersten Tagen nach den Vorfällen versicherten, nun werde nichts mehr sein wie zuvor. Die Palette der drastischen Massnahmen zur Eindämmung der Fussballgewalt reichte vom sofortigen Abbruch der laufenden Meisterschaft über Spiele vor leeren Rängen bis zur Mindestmassnahme von zwei abgesagten Spieltagen. Dies erinnerte in grotesker Weise an die Hysterie beim letztjährigen Calciopoli-Skandal, dem Bestechungsskandal im italienischen Fussball. Im ersten Moment waren die Hände verworfen, drakonische Strafen gefordert worden. Die Urteile waren schliesslich extrem verwässert. Und so währte auch hier die Forderung nach drakonischen Strafen nicht lange.

Nach vier Tagen medial inszenierter Staatstrauer war klar: Bereits am kommenden Wochenende wird wieder gespielt, und leere Ränge wird es nur dort geben, wo der Beton zu augenscheinlich bröckelt oder den Vereinsbossen die Lobby in Verband und Liga fehlt.

Verdrehte Fakten

Auffällig an der aktuellen Berichterstattung und den Kommentaren ist einmal mehr, wie ungestraft beim Thema Fangewalt Fakten verdreht und Äpfel und Birnen vermischt werden dürfen. Wer mehr Härte gegenüber Randalie*rern fordert, punktet, Argumentationsketten bleiben unüberprüft. Dass Peter Hartmann, als «Sportjournalist des Jahres» gekrönt, die italienischen Ult*ras in der NZZ «Fussballpunks» nennt, gehört dabei noch zu den harmloseren Missgriffen. So wurden ebenfalls in der NZZ (bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr) die Katastrophen von Bradford (1985, 56 Tote) und Sheffield (1989, 96 Tote) im direkten Zusammenhang mit Hooliganismus erwähnt, obwohl in keinem der Fälle Randale auch nur eine Nebenrolle spielte. In Bradford brannte wegen einer weggeworfenen Zigarette die alte Holztribüne ab, und die flüchtenden ZuschauerInnen rannten gegen verschlossene Notausgänge. In Sheffield liessen überforderte Polizisten viel zu viele Liverpool-Fans in denselben Tribünentrakt. Im entstehenden Gedränge wurden die Menschen gegen den Zaun am unteren Tribünenende gedrückt. Im Gegensatz zu den Fans, die das Unheil sofort erkannten und Leute aus dem überfüllten unteren Trakt in den sicheren zweiten Rang hochzogen, weigerte sich die Polizei viel zu lange, die Tore im Zaun zu öffnen und die Fans aufs Spielfeld zu lassen. Das Nachrichtenmagazin «Facts» hatte schon im letzten Mai, nach den Ausschreitungen beim Meisterschaftsfinale FCB - FCZ, von «Rowdys» geschrieben, die im Sheffielder Hillsborough-Stadion 96 Menschen «erdrückten und zertrampelten».

Ebenfalls gern zitiert als Beispiel der Ultragewalt wird dieser Tage der Münzenwurf gegen Schiedsrichter Anders Frisk im Römer Olympiastadion. Dass die Münze damals von der Haupttribüne geflogen kam, wo angeblich die letzten Zivilisierten unter Italiens Tifosi sitzen, bleibt unerwähnt. Fragen zur Gründlichkeit der Recherche (Autor Dirk Schümer berichtete aus Venedig) wirft auch die Behauptung der FAZ auf, das Stadion in Palermo würde «mit wackelndem Rohrgestänge und bebendem Beton den Sicherheitsstandards nicht genügen», schreibt doch «La Repubblica» am selben Tag, Palermo sei neben Rom, Turin und Siena eines jener lediglich vier Stadien in Italien, die «komplett der geforderten Norm entsprechen».

Verfasst: 15.02.2007, 06:38
von quasimodo
Fortsetzung:

Fans finanzieren Nachwuchs

In der Schweiz folgte umgehend der Verweis auf die hiesigen Verhältnisse. In den Morgennachrichten auf DRS 1 ärgerte sich CVP-Nationalrat Norbert Hochreutener vergangenen Montag über Fussballverband und Vereine, die bei der Umsetzung des Hooligangesetzes zu wenig schnell arbeiteten. Hochreutener verkannte dabei dreierlei: Erstens sind die Gesetzesänderungen erst seit dem 1. Januar 2007, also seit vierzig Tagen in Kraft, zweitens wird am kommenden Samstag zum ers*ten Mal seit dem 9. Dezember wieder Fussball gespielt, drittens liegt der Ball des Hooligangesetzes und der -datenbank einzig beim Bundesamt für Polizei. Und dieses geht mit dem Hooligangesetz und der Hoogan-Datenbank erst einmal in eine mehrmonatige Pilotphase, die sich auf die EM-Austragungsstädte Basel, Bern, Genf und Zürich konzentriert.

In der ohnehin lauten und einseitigen Debatte über die Gewalt bei Sportanlässen werden nun Parallelen zur Fanszene in der Schweiz gezogen. Der Tenor: Aufgepasst, sonst erleben wir bei uns in Kürze ähnliche Tragödien. Es lohnt sich deshalb ein genauer Blick auf die Eigenheiten jener Fankreise, die hierzulande als «Ultras» gelten, als bedingungsloses Gefolge eines Vereins. Die meisten Schweizer Fankurven werden von inoffiziellen Fangruppierungen dominiert, die Wert darauf legen, dem Verein zwar jede erdenkliche Huldigung entgegenzubringen, jedoch nie in dessen Abhängigkeit zu geraten. Sich vom Verein Choreografien oder Eintrittskarten sponsern zu lassen oder sich diese gar zu erpressen, wie in Italien mancherorts üblich, kommt nicht infrage. Als FCZ-Sportchef Fredy Bickel «seiner» Südkurve vor zwei Jahren ungefragt und öffentlich einen Unterstützungsbetrag in Aussicht stellte, reagierten gegnerische Fans mit einer deftigen Schmähung. Die Südkurve, neben der Basler Muttenzerkurve die grösste in der Schweiz, finanziert sich wie alle andern inoffiziellen Gruppen und Dachverbände nebst an Spielen gesammelten Spenden durch den Verkauf eigener Fanartikel. Weil die*se nicht nur günstiger sind als die offiziell vom Klub hergestellten, sondern in der Regel auch besser aussehen, kommen dabei beträchtliche Summen zusammen. Davon wiederum wurde auch schon der FCZ-Nachwuchs unterstützt - mit einem vierstelligen Betrag, aber ohne Pressekonferenz.

Annäherung nach dem 13. Mai

Beim FC Basel kam es nach den Ausschreitungen nach dem verlorenen Meis*terschaftsfinale gegen den FC Zürich vom 13. Mai 2006 nicht zur Abschottung, stattdessen herrscht seither ein intensiver Austausch zwischen «aktiven Fans», wie Ultras auch genannt werden, und dem FCB-Vereinsvorstand, namentlich Vizepräsidenten Bernhard Heusler. Im September vergangenen Jahres stellten sich ExponentInnen der Muttenzer Kurve in einer Podiumsdiskussion den Fragen und Anschuldigungen rund um den 13. Mai. 700 ZuhörerInnen brachten den Saal der Uni Basel damals an seine Kapazitätsgrenze. Das letzte Treffen mit Heusler fand am vergangenen Montag statt, in den Räumen des Basler Fanprojekts. Bei den Grasshoppers verhandelten FanvertreterInnen monatelang und abseits jeden medialen Interesses mit dem Verein, um die Aufhebung von als ungerecht empfundenen Stadionverboten zu erwirken - mit einigem Erfolg. Und der Dachverband 1879 der Fans des FC St. Gallen organisierte diese Woche einen Informationsabend mit einem Stadtpolizisten zu den Fragen rund um das Hooligangesetz. Basisdemokratie oder kriminelle Strukturen? Von Letzteren ist in Italien durchaus zu Recht die Rede. Dort sind zahlreiche Kurven, so auch jene Catanias, von Rechtsextremen und Kriminellen infiltriert, was sich an entsprechenden Bannern und Spruchbändern ablesen lässt. Lazio Roms Ultragruppierung «Irriducibili» kontrollierte über Jahre weite Teile des Ticketings und des Fanartikelverkaufs, obwohl der Boss der «Irriducibili», wie etwa in einer BBC-Dokumenta*tion zu Hooliganismus, aus seinen menschenverachtenden Ansichten nie einen Hehl gemacht hat. Als die «Irriducibili» vor drei Jahren durch Gewalt den Abbruch des Römer Derbys erzwangen, spannten sie mit ihren einstigen Erzfeinden und heute ebenfalls rechten Ult*ras der AS Rom zusammen. In Catania ist der Platzwart selbst Mitglied der Ult*ragruppierung, die für die Ausschreitungen verantwortlich war. Seine Wohnung im Stadion diente als Schleuse für Fans, die Kontrollen zu umgehen. Und als Lager für Eisenkugeln, Stahlstangen, Sprengkörper.

Nicht erst seit vergangenem Wochenende, schon seit Jahrzehnten fehlt es in Italien an Strategien gegen Fangewalt und an flächendeckender Fanarbeit. Der Polizeikastenwagen, der in Catania alleine und in wilden Kurven auf den wütenden Mob zuraste, steht bildhaft für die Planlosigkeit eines Staates. Ein Feindbild Polizei, wie es viele italienische Ultras kultivieren, existiert in der Schweiz so nicht. Nach der kollektiven Festnahme Basler AnhängerInnen in Zürich Altstetten im Dezember 2004 widmete die Muttenzer Kurve der Zürcher Polizei eine farbenfrohe Choreografie im St.-Jakob-Park. Das wars mit der Rache. Der Rest der Aufarbeitung folgte auf dem Rechtsweg: eine Anzeige gegen die für den Einsatz verantwortlichen Polizisten.


Kommentare und Reaktionen zu dieser Kolumne bitte an: sport@woz.ch
http://www.woz.ch/artikel/archiv/14537.html

Der Juni des Grauens

Verfasst: 09.01.2008, 23:59
von macau
http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2008/n ... 15809.html

Euro 08

Der Juni des Grauens

Von Pascal Claude


Die Fussball-Europameisterschaft versetzt Berge - und BürgerInnen. Selten fiel es schwerer, sich auf ein Fest zu freuen.

Eine Demonstration für kulturelle Freiräume erhält keine Bewilligung, weil am Folgetag in derselben Stadt die Gruppenauslosung der Euro 08 stattfindet. So geschehen in Luzern am 1. Dezember 2007. Die Unverhohlenheit, mit der die Sicherheitsbehörden diese Kausalität kommunizierten, und die Masslosigkeit, mit der die Polizei bei der Auflösung der harmlosen Kundgebung vorging, beweisen eines: Die Uefa Euro 2008u2122, die vom 7. bis 29. Juni in der Schweiz und in Österreich stattfinden wird, ist ein Produkt mit schweren Nebenwirkungen.

Der Staat zahlt, die Uefa profitiert

Nach dem Zuschlag zur Organisation des Turniers wurde das verschärfte Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) durchgeboxt, das seit dem 1. Januar 2007 in Kraft ist und uns unter dem irreführenden Titel «Hooligangesetz» eine gewaltfreie EM garantieren soll. «Hooligans» - darunter fallen laut BWIS auch Zwölfjährige, die einmal im Stadion eine Leuchtfackel gezündet haben - können allein aufgrund polizeilicher Anzeigen mit Rayonverbot belegt und in der Hooligan-Datenbank registriert werden, egal wie das Verfahren endet. Die Unschuldsvermutung ist ausser Kraft gesetzt. «Der Widerspruch zwischen dem Ruf nach Sicherheit und der gleichzeitigen Gleichgültigkeit gegenüber stark wachsenden Beschränkungen der Bürgerfreiheit ist eine schädliche Entwicklung», sagte dazu Rainer J. Schweizer, Professor für öffentliches Recht, in der NZZ.

So sehr das Hooligangesetz durch die Euro legitimiert wird, so wenig taugt es für diesen Anlass. Bekämpft werden in erster Linie auffällige Fussballfans aus Schweizer Fankurven - haargenau jene Klientel, die ihr Desinteresse an Euro und Nationalmannschaft schon seit Jahr und Tag kundtut. Hinzu kommt, dass in den Stadien selber an EM-Spielen seit der EM 1980 keine nennenswerten Vorkommnisse mehr zu verzeichnen waren. EM-Fans sind keine Klubfans. Sie verstehen ein Fussballspiel als Event und nehmen Preise ab siebzig Franken gerne in Kauf. Die grösste Gefahr, die von ihnen ausgeht, sind Unmutsbekundungen über zu langes Anstehen.

Richtig prekär kann es dagegen in den Public-Viewing-Arenen werden. Während die Uefa für EM-Spiele seit Jahren reine Sitzplatzstadien mit Sektorentrennung vorschreibt, setzt man beim Public Viewing auf das Gegenteil: riesige Stehplatzbereiche für Tausende von Fans ohne Trennung der beiden Lager. Wie die Polizei mit ihrer Vorliebe für Tränengas und Gummischrot vorzugehen gedenkt, wenn es mitten im Public Viewing kracht, war bis heute nirgends zu lesen.

Der öffentlichen Hand entstehen durch die Euro geschätzte 300 Millionen Franken Kosten, davon 80 Millionen für die Sicherheit (veranschlagt waren dafür rund 4 Millionen, die das Parlament grosszügig verzwanzigfachte). Dem gegenüber steht ein von der Uefa kalkulierter Gewinn von rund einer Milliarde. «Diese Proportion missfällt», hält sogar die NZZ fest.

Die Uefa denkt indes schon weiter, wie ein Gespräch mit Martin Kallen, leitender Geschäftsführer der Euro 2008, in der Grasshopper-Club-Zeitschrift «GC Life» zeigt: «Wie weit können Zeitungsverleger gehen, ohne Rechte kaufen zu müssen? Nimmt man die Berichterstattung über Fussball in den Medien genauer unter die Lupe, stellt man fest, dass Fernsehanstalten, Internetplattformen und auch Handyanbieter allesamt Rechte an Übertragungen bezahlen. Die Zeitungen aber zahlen nichts. Das müsste in Zukunft anders geregelt werden.»

Schikanen und Fehlplanungen

Um die Austragung einer EM streiten sich alle vier Jahre zahlreiche Länder. Dies stärkt die Position der Uefa. Ihre Bedingungen werden immer dreister, ohne dass sie Gegenwehr zu befürchten hätte. In Basel wurden die WirtInnen in der offiziellen Fanzone am Rheinufer von der Uefa vor die Wahl gestellt: den Betrieb an die Uefa verpachten, den Betrieb mit Uefa-lizenzierten Produkten bestücken (bei einer täglichen Lizenzgebühr im vierstelligen Bereich) oder den Betrieb mit Zaun von der Fanzone abtrennen. Bei aller Sprachlosigkeit ob so viel Arroganz: Die Uefa stützt sich dabei auf gültige Verträge, unterschrieben von Schweizer Behörden.

In Zürich führte der bevorstehende Grossanlass zu einem städtebaulichen Hickhack, dessen Ende nicht absehbar ist. Weil die Uefa für Europameisterschaften Stadien mit einer Mindestkapazität von 30 000 Sitzplätzen vorschreibt, wurde an Stelle des alten Hardturms ein überdimensioniertes Fünfeck projektiert, dessen Bau durch Einsprachen aus dem Quartier bis heute blockiert ist. In der Eile wurde darauf das Leichtathletikstadion Letzigrund zum EM-Stadion erklärt und neu gebaut, ebenfalls mit 30 000 Plätzen. Ausverkauft war der Letzigrund seit der Neueröffnung im Spätsommer 2007 erst einmal: beim Leichtathletik-Meeting. Der Fussball zog weder bei Meisterschafts- noch bei Uefa-Cup- noch bei Länderspielen genug Leute an. Was Zürich nötig hat, ist ein einfaches Fussballstadion für 20 000 Leute. Es braucht wenig Wagemut, um zu behaupten: Ohne Euro 08 stünde es.

Es kommen ausländische Gäste zu uns, Zehntausende. Sie werden durs*tig sein und gut gelaunt. Das sind die Vorzüge einer EM: dass wir plötzlich mit haufenweise Rumänen oder *Tschechinnen am Tisch sitzen, Zug fahren, Bier trinken, sie sogar fragen, woher genau sie kommen und wie es dort ist. Doch der Preis für diesen Spass ist hoch. Zu hoch, wenn es nach einer «gelungenen» EM heisst: So machen wir das ab jetzt *immer.

Verfasst: 29.01.2008, 16:08
von dongga
Es kommt teuer zu stehen
Von Pascal Claude

«Ich bin beunruhigt, weil ich nicht will, dass Leute über den Preis aus dem Stadion verdrängt werden. Der Fussball muss sich überlegen, woher er kommt und welche Fanbasis er in Zukunft will.» So spricht Gerry Sutcliffe, Anhänger des englischen Drittligisten Bradford City. Sein Wehklagen über zu hohe Eintrittspreise im englischen Fussball bliebe wohl ungehört, wäre Sutcliffe nicht gleichzeitig britischer Sportminister.

Englands gebeutelte Klubfans freuen sich über die prominente Unterstützung. Mit dem Fussball als «the working manu2019s ballet», als Ballett des armen Mannes, ist es nicht mehr weit her, Ticketpreise kaum je unter fünfzig Pfund spotten jeden Bezugs zur Arbeiterklasse. Stimmen von Fans, die als Einzelempörte oder organisierte Supportervereinigungen auf die aus dem Ruder gelaufenen Preise aufmerksam machen, verhallen unter immer höher gelegten Stadiondächern; die erweiterten oder neu errichteten «Grounds» sind voll wie noch nie, die Nachfrage stimmt, so what? Keine Marketingverantwortliche, kein Finanzchef eines englischen Profiklubs hat bis heute eingesehen, weshalb armen Schluckern günstige Tickets angeboten werden sollen, solange weniger Arme die teuren kaufen. Drinnen spielt United, draussen der Markt, alles ist gut. Nur eben etwas zu leise.

«Wie auf einer Beerdigung» sei er sich vorgekommen, raunzte Alex Ferguson, Trainer von Manchester United, nach dem Heimspiel am Neujahrstag. Einige der jungen Männer, die sich nach Fergusons Anweisungen auf dem Feld abmühen, verdienen umgerechnet 250000 Franken. Pro Woche. Das will beglichen sein. In der «Süddeutschen Zeitung» erklärt Ronald Reng in einfachen Worten, wie Preise leise machen: «In Wirklichkeit schauen in England noch immer mehr fanatische Fussballliebhaber zu als anderswo. Aber sie sind alt. 43 im Durchschnitt laut einer Umfrage der Premier League. Jugendliche können sich die Tickets nicht mehr leisten. Und mit 43 singt man nicht mehr.»

Es hat eine Verschiebung stattgefunden, oder, wie es der «Tagesspiegel» schreibt: «Die Zusammensetzung des Publikums wird zunehmend über den Preis geregelt.» Alex Fergusons Lärmforderung ist so verständlich wie jene Roy Keanes, der sich als Captain von Manchester United schon vor Jahren über die Shrimpsbrötchenfresser in den Logen ausliess. Zudem gleicht sie den Äusserungen jener Bayern-Fans, die an der Jahreshauptversammlung des Vereins die seichte Stimmung beklagt und die Haupttribüne dafür verantwortlich gemacht haben. Bloss: Während Ferguson und Keane für ihre akustischen Einbussen siebenstellig entschädigt werden, fürchten die besorgten Münchner um ihre Existenz. Der «Tagesspiegel»: «In der Wertigkeit der Klubs sind die Kurvenfans ans untere Ende gerückt. Der wahre, echte, gute Fan ist ökonomisch gesehen zu einer vernachlässigbaren Grösse geworden. Er führt noch ein paar Scheingefechte gegen absurde Anstosszeiten und abstruse Stadionnamen.» Derweil im «Guardian» ein Exponent der Manchester United Supporters Association dem stillegeplagten Trainer den Sitzplatzalltag schildert: «Wenn du aufstehen willst, um Lärm zu machen, wirst du von Stewards rausgepflückt. Sie nehmen dir deine Saisonkarte weg. Was genau für eine Stimmung stellt sich Ferguson unter diesen Umständen vor?»

«Ich glaub ich gseh nöd rächt», schrieb die Südkurve des FCZ auf ein Transparent, nachdem ihr Verein im Sommer 2007 die neuen Ticketpreise publik gemacht hatte. «Fuessball ghört allne», hiess dieselbe Losung in Baseldeutsch. Die Fans des FCB fanden 38 Franken zu viel für einen Eintritt in den Gästesektor des Letzigrund-Stadions. Sie blieben - wie zuvor im Derby schon die Fans der Grasshoppers - dem Spiel fern. Anders als in England besetzen in der Schweiz keine Fussballbegeisterten aus dem oberen Mittelstand die frei werdenden Plätze, weil die Spieler noch immer Friedli und Zanni heissen statt Ronney und Nani. Das stärkt die Position der Fans: Der fehlende Lärm schlägt in Franken zu Buche, der Markt ist auf ihrer Seite. Und Gerry Sutcliffe auch.

http://www.woz.ch/artikel/archiv/15861.html

Verfasst: 29.01.2008, 16:38
von Balisto
dongga hat geschrieben:(...) Ronney (...)
:eek: :o ;)

Verfasst: 30.01.2008, 09:39
von Falcão
Balisto hat geschrieben: :eek:
Detail ;)
Ansonsten hats Pascal Claude wieder mal auf den Punkt gebracht. :cool:

Verfasst: 30.01.2008, 10:39
von teutone
Danke uli Hoeness ;)

Verfasst: 30.01.2008, 11:07
von Asselerade
dongga hat geschrieben: Anders als in England besetzen in der Schweiz keine Fussballbegeisterten aus dem oberen Mittelstand die frei werdenden Plätze, weil die Spieler noch immer Friedli und Zanni heissen statt Ronney und Nani.

http://www.woz.ch/artikel/archiv/15861.html
der wichtigste absatz vom (sehr guten) artikel!

Verfasst: 30.01.2008, 12:04
von einspielen
Asselerade hat geschrieben:der wichtigste absatz vom (sehr guten) artikel!
das hani genau au dänkt! definitiv! guete teggscht!

Verfasst: 08.05.2008, 11:13
von Brandstifter
mache den Artikel auch noch hier rein..... habe ihn auch unter FCB-FCZ veröffentlicht


Fussball und Gewalt
Die Pyro-Gleichung
Interview: Daniel Ryser

Anhänger des FC Zürich warfen Fackeln auf Basler Fans. Der FCZ steht vor einem Scherbenhaufen. Ähnlich ging es Bernhard Heusler im Mai 2006. Der Vizepräsident des FC Basel erklärt, wie der Klub und die Fans gemeinsam aus der Krise fanden.

WOZ: Sie müssen sich am Freitag vorgekommen sein wie in der Zeitmaschine. Das Verhältnis zwischen Fans und dem FC Zürich scheint jetzt zum Zerreissen gespannt. Was nun?

Bernhard Heusler: Sehr schlecht fände ich, wenn die ganze Zürcher Südkurve verteufelt würde. Man muss aufpassen, dass man nicht eine ganze Bewegung, die dem Klubfussball guttut, kriminalisiert. Ich habe zudem mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, wie der grosse Teil der Muttenzerkurve auf die Fackelwürfe reagiert hat.

Die Basler Ultras hielten kurz nach den Fackelwürfen ein Transparent hoch. Man lasse sich den Kampf für Pyro-Toleranz nicht von den Zürchern zerstören. Was heisst das?

Diese Kurve kämpft seit Jahren dafür, dass ihrer Kultur, in der Pyro ein wichtiger Bestandteil ist, eine gewisse Toleranz entgegengebracht wird. Die aktuel*len Gesetze und Reglemente geben aber keinen Raum dafür. Was nicht *heisst, dass man als Klub die Gleichungen *«Pyro gleich gewalttätige Fankultur» und »Fan gleich Gewalttäter oder Hooligan» übernehmen muss. Mit dem Transparent kam richtig zum Ausdruck, dass die gewalttätige Aktion denjenigen Fans, die Pyro zu ihrer Kultur zählen, einen schweren Schlag versetzt hat.

Feuerwerk als Teil der viel gepriesenen kreativen Fankultur?

Zur Kultur der Muttenzerkurve, auch zu jener der Zürcher Südkurve und anderer Fanbewegungen, gehört neben Kreativität und Emotionalität auch Pyro. Diese Fankultur will von uns gar nicht gepriesen werden. Sie soll aber auch nicht verteufelt werden. Um auf ein Mindestmass an Akzeptanz zu stossen, muss sie sich klar von Gewalt abgrenzen. Am Freitag wurden Pyros als Waffen missbraucht, und damit wurde die Fankultur verraten. Denn dazu gehört sicher nicht, Pyros auf andere Menschen zu werfen. Richtigerweise wäre jetzt höchste Zeit zur Führung einer Gewaltdiskussion, die nicht immer bei der Debatte über Pyros stecken bleibt. Das Erschreckende am Freitag war das gezeigte Gewaltpotenzial.

Die Kurven berufen sich im Rahmen der geforderten Pyro-Toleranz auf Selbstregulierung. Kann das überhaupt funktionieren?

Oberflächlich betrachtet liegt es bei derartigen Ereignissen nahe zu sagen, die Fans hätten in Sachen Selbstregulierung versagt. Doch diese Regulierung funktio*niert so oder so nur bis zu einem gewissen Punkt. Was, wenn einer von zwanzig austickt? Sind dann alle anderen auch schuldig? An einem Fussballspiel haben wir es mit Tausenden von Menschen in einem hochemotionalen Umfeld zu tun, oftmals noch verstärkt durch Alkohol und Drogen. Wer hier behauptet, Garantien für das Verhalten aller geben zu können, bewegt sich auf dünnem Eis.

Nach den Krawallen vom 13. Mai 2006 forderten Politik und Medien die sofortige Umsetzung des Hooligangesetzes, das seit über einem Jahr in Kraft ist. Offenbar hatten die Kritiker recht: Es trifft nicht die Richtigen. Jetzt fordern damalige Befürworter Schnellgerichte.

Die geplante Durchsetzung des Hoogansystems stösst wohl immer wieder an Grenzen des Rechtsstaats. So werden wir von Betroffenen und Szenenkennern mit diversen Fragen konfrontiert, etwa ob eine Datenbank, in der Leute als Gewalttäter landen, weil sie im Rahmen einer Choreografie eine Bengale zündeten, wirklich aussagekräftig ist und uns hilft, die «Gewalttäter Sport» von den Stadien fernzuhalten. Sind das wirklich Gewalttäter? Und schlüpfen Gewalttäter vielleicht dank der Fokussierung auf Pyro durchs Netz? Die jetzige Forderung nach Schnellrichtern wie in Deutschland habe ich zur Kenntnis genommen. Solche Schnellverfahren sind mit grösster Vorsicht zu beurteilen: Ein Fussballstadion ist kein rechtsfreier Raum. Aber es ist auch kein rechtsstaatsfreier Raum.

Der FC Basel hatte nach dem 13. Mai 2006 ein Problem. Inzwischen scheint das Verhältnis zwischen Klub und Kurve so gut wie noch nie. Wie gingen Sie vor?

Typisch ist, dass nach solchen Vorfällen - auch jetzt - schnell ganz viele Experten auftauchen, die über angebliche Patentrezepte verfügen. Eine in solchen Fällen nötige Analyse setzt aber voraus, dass man selbst in den Spiegel schaut. Es ist leicht, dem Gegenüber den schwarzen Peter zuzuschieben. Nur bringt das niemanden weiter. Die Fronten verhärten sich. Nach den Krawallen vom 13. Mai 2006 spürten wir, dass wir im gegenseitigen Umgang festgefahren waren. Wir suchten deshalb nach einem direkteren, informelleren Kontakt mit den Fans. Die Arbeit des Fanprojekts, das zu Beginn vermittelte und von beiden Seiten Offenheit verlangte, war dabei extrem wichtig. Es fand eine Annäherung statt. Wer sind wir? Was wollen wir? Wir mussten uns als Klub hinterfragen. Und die Fans mussten das auch tun. Wir wollen den Fans im Stadion einen Raum bieten. Und dabei muss es für beide Seiten stimmen. Aber kann ein Verein seinen Fans, oder etwa ein Staat seinen Bürgern, eine Garantie abgeben, dass nie und niemals etwas passiert? Nein. Das ist inner- und ausserhalb der Stadien nicht möglich.

Die Polizei, die Sicherheitskräfte und Klubs müssen zusammenarbeiten, um Vorfälle wie am Freitag zu verhindern und mit aller Härte zu bestrafen. Die Rolle des Klubs kann dabei nicht dar*in bestehen, selbst Gewalt auszuüben, dieses Monopol gehört dem Staat. Der Klub muss vielmehr präventiv tätig sein und damit seine Ressourcen primär der Integration seiner Fans widmen, nicht der pauschalen Vorverurteilung seiner eigenen Fanbewegung. Ansonsten verliert er seine Basis und arbeitet jenen entgegen, die dem Klub und dem Fussball schaden wollen.

WOZ vom 08.05.2008

Verfasst: 14.05.2008, 21:00
von Alge
In den Morgennachrichten vor dem grossen Finale sagt YB-Trainer Martin Andermatt: «Wir werden auch diesmal mit Kopf, Hand und Herz spielen.» Hand? Pädagoge Andermatt wird schon wissen, was er meint. Er hat es mit Schwererziehbaren bis fast an die Spitze geschafft. Pestalozzi zieht den Hut.

Vor der Haupttribüne zeigt Sicherheitsinspizient Dieter Schaub, was er von alkoholfreien Fussballspielen hält: Er hat, wie alle andern auch, sein eigenes Bier mitgebracht. Genüsslich nippt er an der Halbliterdose (Warteck, immerhin). Vor dem Anpfiff halten Fans in der Muttenzerkurve ein Transparent in die Höhe: «Scheiss Euro 08». Weil sie es später nicht als Waffe benutzen, wird niemand darüber schreiben. Die YB-Fans unter dem Stadiondach singen sich warm. «Jetzt heebed emol Pfrässi», schreit die junge Frau auf der Haupttribüne. Und raucht. Wie die Muttenzerkurve beim Einlauf der Mannschaften. Es qualmt und brennt und sieht gut aus. Niemand brüllt «use» und niemand «pfui».

In der 29. Minute zeigt Valentin Stocker, dass er schon zu den ganz Grossen gehört. Er erhält einen Schlag, hält sich im Seitenaus liegend den Knöchel, das Spiel läuft weiter, Stocker schaut kurz auf, wälzt sich dann aufs Spielfeld, auf der Haupttribüne schreien sie «Busacca, du Sauhund!», Empörung überall, Schiedsrichter Massimo Busacca unterbricht das Spiel, Stocker lässt sich kaltsprayen, spielt weiter, Knöchel gut. Die Muttenzer Kurve adaptiert «Hey Amigo Charlie Brown». Ein Fischreiher fliegt übers Stadion, es steht zwei zu null, er zieht weiter.

Die Ostkurve Bern brennt Fackeln ab, ohne sie zu werfen. Empörung auf der Haupttribüne. Dann wird ein Transparent entrollt: «Bernerbär: Berns grösste Idioten-Zeitung». Die Video*wände zeigen Herbert Grönemeyer. Zu Gast bei Freunden. Machst mit 'nem Doppelpass jeden Gegner nass. Aus der Muttenzerkurve ertönt Sting, «An Englishman in New York». Es tönt besser als Sting. «Du Arschloch», kommt es von der Haupttribüne, «du Sauhund», «pfui». Carlos Varela ist im Spiel. Die YB-Fans besingen die YB-Viertelstunde, unbeirrt, Wunder gibt es immer wieder, der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung ändern kann.

Schlusspfiff, Busaccas letzte Entscheidung, auch sie korrekt. Der Meis*ter will feiern. Die Muttenzerkurve singt weiter, immer weiter, doch man hört sie nicht mehr. Sieht sie nur noch, sieht noch die Arme, die in die Höhe schnellen, die Hände, die klatschen. Sie waren nicht meisterlich genug, nicht feierlich genug, einfach nicht gut genug für den grossen Moment, die Lieder der Kurve. «The name of the game, football», kracht es aus den Boxen, «the name of the game, football», und dann: «Ooolééé, olé olé olé, we are the champs, we are the champs.» Mein Spielzeugaffe singt das auch, er reagiert auf akustische Signale, ich schreie ihn an, dann tanzt er und singt «Ooolééé, olé olé olé», mein Affe von der WM 98.

Der Kurve den Ton abstellen, wenn es am schönsten ist. Ihren Klang zudecken mit Müll, I will survive, bring en hei, whatever you want. Und dann sich wundern, wenn sie sich die Grenzen selber stecken. Die Mannschaft wird auf die Haupttribüne gebeten, Pokalübergabe, Musik aus. Aus der Ferne die Kurve, auf der Tribüne Totenstille. Alle schauen rüber und hoch zu den Spielern. Was tun, was singen, was rufen? Sauhund geht nicht mehr, Arschloch nicht, pfui auch nicht. Mehr ist nicht im Repertoire. Also Stille. Bei der Pokal*übergabe. Dann endlich: «We are the champions», der absolute Höhepunkt, einzigartig. Wenn alle so wären wie die Fans auf den Haupttribünen, bräuchten wir keine Polizei, kein Alkoholverbot, kein Hooligangesetz.

Die Spieler tragen Meistertrikots, wie alle andern in allen andern Ländern. Sie wissen aus dem Fernsehen, wie man feiert, Mac Champ, die Feier für dich und mich, und wissen nicht mehr, was sie selber wollen. Irren her*um wie Hühner. Benjamin Huggel bricht aus, vergisst sich kurz, rennt mit dem Pokal dem Anspielkreis entlang, selbstvergessen, schön. Es dauert zehn Sekunden.

WOZ vom 14.5.08 (Pascal Claude)

Saggstark!

Verfasst: 14.05.2008, 21:27
von tommasino
yep, ganz grosses kino dieser bericht.

Verfasst: 14.05.2008, 21:32
von Tee
hesch dr tegscht dopplet drin. aber so ischr halt dopplet guet :)

Verfasst: 14.05.2008, 23:19
von Admin
Wunderbarer Bericht von Pascal. Besser hätte man die ganze Szenerie nicht beschreiben können.

Verfasst: 07.11.2011, 11:27
von ZS1893
Gschmagglos stilvoll - 12. Novämber im Saal 12 (07.11.2011; 19:00 Uhr)

Pascal Claude spielt und kommentiert Lieder aus seiner umfangreichen Sammlung an Fussball-Vinyl-Schallplatten: Vom AS-Roma-Cha-Cha-Cha über den Anfield-Rap bis zur Ode an Darmstadt 98 «Ich glaube an den SVD, denn dieser Glaube ist ok» ist alles dabei, was Sie hören und vor allem: nicht hören wollen. Der pseudo-wissenschaftliche Vortrag zur Welt der Fussballschallplatten wird aufgelockert durch Texte, die Claude seit 1997 unter dem Titel «Knapp daneben» veröffentlicht, in Fanzines, Zeitungskolumnen oder Blogs. Ein bizarrer Blick auf den Fussball. Oder wie Gerd Müller singt: «Dann macht es bumm!»

Verfasst: 08.11.2011, 14:44
von sergipe
Wieder ein sehr guter Bericht von Pascal Claude

Distanzlos gegen Fangewalt

http://medienwoche.ch/2011/11/04/distan ... fangewalt/

Verfasst: 08.11.2011, 15:38
von ffa
sergipe hat geschrieben:Wieder ein sehr guter Bericht von Pascal Claude

Distanzlos gegen Fangewalt

http://medienwoche.ch/2011/11/04/distan ... fangewalt/
erneut ein guter artikel.

in der vorletzten (glaube ich) ausgabe von 11freunde hatte er auch einen lesenswerten artikel zum thema "spiel meines lebens".