Verfasst: 08.08.2006, 19:54
von Keano
Nur So... hat geschrieben:Warum ist Bspw. das Eingreifen Russlands in Tschetschenien von der Weltöffentlichkeit mehr Verurteilt worden als das Eingreifen der USA in Afganistan oder von Israel im Libanon, alles sehr ähnliche Vorgänge.
Wobei zu sagen ist das Russland als einziges Land der drei Aggressoren innerhalb der eigenen Grenzen operierte. Also keinen unabhängigen Staat angriff.
Merke, gilt für den "Westen":
Amerika, Britannien und alle Verbündeten = die gute Mannschaft, die guten Jungs
Alles was arabisch spricht = Terroristen
Russland = schlecht, böse, Kommunisten
gibt aufschluss über die politischen interessen der israelischen regierung
Verfasst: 08.08.2006, 20:09
von K.Thnx.Np.Cu
Die massiven Angriffe der israelischen Armee in Gasa verfolgen klare politische Ziele. Und manche PalästinenserInnen machen sich dabei Illusionen.
In den ersten Stunden nach dem palästinensischen Angriff gegen eine israelische Militäreinheit hiess es in Israel nur: palästinensischer Terrorismus. Palästinensische Militante hatten am 25. Juni einen Tunnel unter dem Hochsicherheitszaun um den Gasastreifen gegraben und die Einheit überrascht. Zwei israelische Soldaten und drei palästinensische Militante starben dabei; ein israelischer Soldat wurde gefangen genommen und in den Gasastreifen gebracht.
Am Tag danach trauten sich einige israelische KommentatorInnen zu sagen, dass ein Angriff gegen die Armee eine Guerilla-Aktion sei. Terrorismus oder Guerilla? In Israel ist die Kontrolle über Worte und Definitionen von einiger Bedeutung - dahinter verbirgt sich Politik. Wer sind die "Terroristen", und was sind die Gründe, dass sie die israelische Armee auch nach deren einseitigem Rückzug aus Gasa im letzten Jahr angreifen ? Diese Fragen sind zentral, gerade auch, weil die öffentliche Meinung täglich mit Desinformationen israelischer Offizieller "bombardiert" wird. Im Westen überaus erfolgreich, muss man sagen, denn dort gilt für den palästinensisch-israelischen Konflikt weitgehend: Die Aufgeklärten kämpfen gegen die Barbaren.
Im Reich der Kassam-Raketen
Ich arbeite an einer Uni bei der südisraelischen Stadt Sderot, nicht weit vom Gasastreifen. Sderot wird regelmässig von in Gasa abgeschossenen, selbst gebauten und wenig zielgenauen Kassam-Raketen getroffen. Darum lehne ich die Raketen nicht nur aus politischen oder moralischen Gründen ab. Sondern auch aus purem Selbsterhaltungstrieb. Ich selbst bin ja nur einige Tage pro Woche dort. Aber für jene, die in Sderot leben, ist der beinahe tägliche Raketenbeschuss ein Albtraum. Manchmal entsteht in Sderot eine regelrechte Hysterie, die politisch leicht auszubeuten ist. Viele fordern von der Regierung eine militärische Strategie, die die Gefahr aus der Welt schafft. Es ist auch einfach, die Raketenangriffe als Beweis dafür zu nehmen, dass der Rückzug aus Gasa nicht funktioniert hat, dass die PalästinenserInnen "uns töten" wollen - also bringt sie um!
Im August letzten Jahres, als die letzten SiedlerInnen aus Gasa abzogen, wurde der damalige Premier Ariel Sharon zum Helden vieler moderater Israelis. Denn der Rückzug galt als Schritt Richtung Frieden. Diese Menschen wollen die tatsächliche Politik Sharons nicht sehen: Einseitiger Rückzug heisst - damals wie heute - echten Friedensverhandlungen auszuweichen und den PalästinenserInnen eine territoriale "Lösung" aufzuzwingen, ohne auf ihre Bedürfnisse und Rechte einzugehen. Und einseitiger Rückzug, wie ihn der Plan des heutigen Ministerpräsidenten Ehud Olmert vorsieht, heisst, dass Teile der 1967 besetzten Gebiete in israelischen Händen bleiben und andere Teile zu voneinander abgeschnittenen und von israelischen Truppen umzingelten Kantonen werden. Und selbst dort verbleiben noch einige israelische Enklaven oder Siedlungen. Und das Wichtigste: Alles bleibt unter israelischer Kontrolle.
Gasa blieb auch nach dem Rückzug ein riesiges Gefängnis unter voller israelischer Kontrolle, nun einfach von aussen. In der Westbank, die theoretisch zumindest, teilweise von der palästinensischen Autonomiebehörde regiert wird, kann die israelische Armee tun und lassen, was sie will. Aus "Sicherheitsgründen" nimmt sie sich das Recht überall zu intervenieren.
Schon einige Tage nach dem Rückzug aus Gasa im letzten Sommer begann die Armee mehrere Operationen in der Westbank. Das sollte Israelis wie PalästinenserInnen zeigen, dass der Rückzug nicht auf militärische Schwäche zurückzuführen ist. Und das Israel die Lage im Griff hat. Dabei war klar, dass sich einige palästinensische Gruppen früher oder später nicht mehr an den einseitigen Waffenstillstand vom März 2005 gebunden fühlen würden. Und das war der Anfang eines neuen Kapitels in Sharons altem Stück: "Es gibt keinen palästinensischen Partner".
Präsident Mahmut Abbas wurde als schwacher Führer bezeichnet - Grund genug nicht mit ihm zu sprechen. Dann folgten die palästinensischen Wahlen: Nach jahrelangen Klagen über die korrupten Politiker, die darüber hinaus nicht einen einzigen diplomatischen Erfolg vorweisen konnten, wählten die PalästinenserInnen ein neues Parlament. Die islamisch-konservative Hamas errang fast fünfzig Prozent der Stimmen und rund siebzig Prozent der Sitze. Denn Hamas-PolitikerInnen gelten als sauber, und viele glauben, dass der Rückzug aus Gasa dem bewaffneten Arm von Hamas zu verdanken sei. Die israelische Regierung bezeichnete die neue Hamas-Regierung sofort als terroristisch und boykottiert sie. Auf die Stimmen aus der palästinensischen Gesellschaft wollte niemand hören.
Selbst als in israelischen Gefängnissen eingesperrte Persönlichkeiten von Hamas, Islamische Dschihad, Volksfront und der Fatah von Mahmud Abbas ein gemeinsames Papier veröffentlichten, in dem sie sich auf die Zweistaatenlösung verpflichten, änderte sich die israelische Politik nicht. Und sie erhält nach wie vor US-amerikanische und europäische Unterstützung. Die Hamas-Regierung soll zur Aufgabe gezwungen und das Parlament neu gewählt werden.
Hamas gegen Hamas
Der Boykott zerstört die Wirtschaft in den palästinensischen Gebieten. Die Menschen erhalten nicht einmal mehr ihre bescheidenen Löhne. Der Zugang zur Pflege in den besser ausgestatteten israelischen Spitälern wurde praktisch unmöglich. Und die Kassam-Raketen boten eine ausgezeichnete Begründung, Gasa wieder und wieder zu beschiessen. Die offizielle israelische Verurteilung der Kassam-Raketen und des palästinensischen Terrorismus funktioniert ganz einfach: "Wenn die Palästinenser auf Zivilisten zielen, wollen sie töten. Wenn wir hingegen schiessen, dann gehen wir gegen Terroristen vor. Und wenn dabei Zivilisten sterben, ist das ein bedauerliches Resultat einer gerechtfertigten Politik". Dutzende PalästinenserInnen, auch Kinder, wurden mit dieser heuchlerischen "Begründung" getötet. Die Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzung wird weitgehend durch die israelische Armee orchestriert. Einige radikale palästinensische Gruppen, die die Regierung von Ismail Hanije schwächen wollen, arbeiten daran mit. Der Tunnelangriff war ein Höhepunkt dieses Prozesses, der lange vorher begonnen hatte.
Die Tage seither waren geprägt vom fieberhaften Versuch, den entführten israelischen Soldaten freizubekommen. Die offizielle israelische Politik lehnt Verhandlungen ab, weil dies als "Nachgeben gegenüber Terroristen" verstanden werden könnte. Einen Tag wartet die israelische Regierung, um zu sehen, ob die Versuche von Hanije, Abbas und ägyptischen Diplomaten, den Soldaten zu befreien, erfolgreich sein würden. Dann begannen die militärischen Aktionen.
Doch nicht nur gegen Israel hatte sich der Tunnelangriff gerichtet, sondern auch gegen die moderaten PalästinenserInnen. Hanije und Abbas hatten sich auf der Grundlage des Gefangenenpapiers verständigt. Doch der radikale Hamas-Flügel um den exilierten Chaled Maschal lehnt das Papier ab. Maschal führt den militärischen Arm und die Hamas im Exil. Er wendet sich gegen die moderate Haltung von Hanije. Immerhin war er auch beteiligt, als im März 2005 in Kairo das Waffenstillstands abkommen der diversen palästinensischen Fraktionen ausgehandelt wurde. Jene Gruppen, die den Soldaten entführt hatten, gehorchen Hanijes Regierung nicht. So war von Anfang an klar, dass es mehr als die Bemühungen der moderaten PalästinenserInnen brauchen würde, um den Soldaten zu befreien. "Mehr" - das kann nur heissen: tatsächlichen Erfolge für Mashal und den radikalen Flügel.
Die politischen Ziele
Doch die israelische Regierung setzt auf Gewalt. Die Armee zerstörte als Ersts ein Kraftwerk; die Hälfte der BewohnerInnen Gasas lebt plötzlich ohne Strom. Tausende wurden aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen, damit sie nicht getroffen werden, wenn die Armee zu verhindern versucht, dass der entführte Soldat aus dem Gasastreifen geschmuggelt wird. Alleine in der Nacht von Freitag auf Samstag schoss die Armee 350 Artilleriegeschosse ab. Marine, Artillerie und Luftwaffe terrorisierten die Bevölkerung rund um die Uhr. Das soll die Menschen dazu bringen, Druck auf die Regierung auszuüben. Dabei dürften selbst IdiotInnen verstehen, dass das nur Hass auf Israel und den Wunsch nach Rache bringt. Die Unterstützung für Hamas kann so nur zunehmen.
Die politischen Ziele der israelischen Regierung von Premier Ehud Olmert sind dabei absolut klar. Die Operationen in diesen Tagen - die den entführten Soldaten das Leben kosten können - sollen die Hamas-Regierung stürzen. Und sie sollen beweisen, dass es keinen echten Partner für Frieden gibt - dass also Olmerts Plan für einen einseitigen Teilrückzug und eine einseitige Grenzzeihung von der "internationalen Gemeinschaft" unterstützt werden soll. Der Sturz der Hamas-Regierung geniesst auch die heimliche Unterstützung einiger Elemente der Fatah-Bewegung, die an die Macht zurückzukehren hoffen. Doch deren Illusion, bei einer Neuwahl zu gewinnen, schadet beiden Völkern. Und ein Ende der Hamas-Regierung ist noch viel gefährlicher: Dann bleibt der Gazastreifen das Reich vieler kleiner Gruppen mit unterschiedlicher und widersprüchlicher Politik, die sich mit terroristischen Methoden Beachtung und Annerkennung verschaffen wollen.