Konter hat geschrieben:Natürlich mache ich das. Aber das hat doch nichts damit zu tun, was du in den 2 Absätzen zuvor schreibst. Ich scheisse auf seine Meinung weder auf Grund einer Gruppenzugehörigkeit noch wegen ihm als Person, sondern auf Grund seiner Aktionen als Aussenminister, der einen illegalen Angriffskrieg führte und bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen wurde. Es hat NUR mit seinen Taten und den Taten seiner Mitstreiter zu tun.
Den Zusammenhang zu den zwei Absätzen davor ist indirekt.
1. und 2. Abschnitt: Meine Sicht der Verknüpfung von Individuum und Staat. Im Prinzip nichts anderes als eine staatsphilosophische Betrachtung von Kants kategorischem Imperativ.
3. und 4. Abschnitt: Deine Aussagen und den von mir daraus abgeleiteten Standpunkt, aus meiner Perspektive.
5. und 6. Abschnitt: Meine Annahme, wohin eine konsequente Übertragung dieses Standpunktes auf die Gesellschaft führen würde.
7. Abschnitt: Die Feststellung, dass bereits diese Aussage eine Verhärtung dieses Standpunktes auszumachen sei.
Was ich dabei nicht berücksichtigt habe ist der Umstand, dass du wahrscheinlich diesen Standpunkt nie konsequent bis in das skizzierte Extrem beibehalten würdest. Ich gehe jedenfalls nicht davon aus, dass du einen Anlass sehen würdest, weiterhin diesen extreme Standpunkt zu halten, wenn es nichts gäbe, wo du den Bedarf zu Gegensteuer mehr siehst. Dich quasi mässigen würdest, sobald dir die Welt gerecht erscheint, statt weiterhin extrem zu bleiben und neues Unrecht zu erzeugen.
Es handelte sich lediglich um eine kritische Auseinandersetzung mit deinen Aussagen und einer theoretischen Fortführung des darin enthaltenen Standpunktes. Indem ich mir die Übertragung meiner Moral auf die Gesellschaft vorstelle, erspare ich mir, eine Position einzunehmen, die ich zu einem späteren Zeitpunkt wieder verlassen wollen würde. Ich laufe dadurch nicht in Gefahr, mich auf einen Standpunkt zu versteifen, den ich nicht halten wollte und den nicht mehr verlassen zu können, ohne inkonsequent zu wirken oder mir selbst untreu zu scheinen.
Konter hat geschrieben:Ich gebe aber zu, dass ich in der Wortwahl in dieser Thematik ziemlich martialisch bin und dass vielleicht deine Kritik auch daher kommt, denn ich denke nicht, dass wir total unterschiedliche Ansichten haben. Vor allem bei dem Teil über deine staatsphilosophischen Überlegungen, bin ich zwar auch nicht mit allem ganz einverstanden, finde aber deine Vorstellungen vom Verhältnis Staat und Individuum durchaus interessant. Obwohl ich hier klar sagen muss, dass für mich in einem streng rechtlichen Sinn der Staat und das Individuum zwei komplett unterschiedliche Subjekte darstellen und das ist schliesslich bei der freien Meinungsäusserung relevant.
Ich denke auch nicht, dass dein innerer Kompass allzu stark von meinem abweicht. Daher sah ich meine Antwort eher als Aufruf, deine Aussage zu überdenken. Weil in ihr ein Standpunkt enthalten ist, den ich aber bei dir nicht vermute.
Der Staat und das Individuum sind schon nicht die gleichen Subjekte. Aber der Staat konstituiert sich aus den Individuen. Somit sind diese anteilig in ihm enthalten. Das Gleiche gilt auch für die Moral. Eine demokratischer Staatsmoral folgt verzögert dem Konsens der Moralvorstellungen der Individuen.
Dieser Moralkonsens bildet und wandelt sich aber laufend. Dabei kommen unterschiedliche Mittel zur Anwendung, mit denen Einfluss auf die Bildung des Konsens genommen wird. Diskussionen, Debatten, legale und illegale Proteste, Kundgebungen, Religion, Philosophie, Wissenschaft, Medien, Gesetze, Terror, Macht, Gewalt, Kapital, etc. Die Konsensbildung wird dabei stets und von allen Seiten umkämpft.
Gegen einen martialischen Tonfall habe ich nicht grundsätzlich etwas einzuwenden, finde ihn von beizeiten sogar nötig, als eine Form des Ausgleichs. Aber es ist nicht unbedingt der Tonfall, den ich selbst verwenden würde. Aus der Motivation einen moralischen Standpunkt als Gegenreaktion zu beziehen, welche verhindern soll, dass der Konsens in eine dir unmoralisch scheinende Richtung abdriftet, ist ein martialischer Tonfall absolut nachvollziehbar.
Martialität in richtigen Kontext wäre zwar nicht mein Mittel, aber sie kann durchaus Veränderungen bewirken. Wenn A gerade schreit, dass gewisse Menschen minderwertig sind und ihm B als Antwort eine auf's Maul gibt, so kann die unmittelbare Reaktion auf diesen Ausspruch durchaus «läuternd» wirken. Noch effektiver ist es aber, wenn dieser A nachher etwas Positives über den FCB äussert und von B daraufhin auf ein Bier eingeladen würde. Diese scheinbar widersprüchlichen Reaktionen von B werfen bei A die Frage auf, ob er als Mensch oder ob seine menschenverachtende Äusserung die Faust provoziert hätte.
Wenn aber A vor einem Jahr gesagt hat, dass er gewisse Menschen minderwertig findet und heute von B eine auf's Maul bekommt, fehlt diese Unmittelbarkeit. A wird es als Angriff auf sich als Menschen und nicht mehr als Reaktion auf seinen Hirnfurz interpretieren können.
Ich selbst bin eher der Ansicht, dass zielgerichtetes, statt korrigierendes Gegensteuern sinnvoll ist und dies nur über differenzierten Eindruck, Verständnis und Ausdruck erreichbar wäre. Daher versuche ich vorauszusehen, wohin eine individuelle Moral, übertragen auf eine ganze Gesellschaft oder in ein Gesetz, hinführen würde und mich entsprechend differenziert auszudrücken. Welche Teilaspekte davon ich als Gegensteuer zu einem mir unmoralisch scheinenden Kurs begrüsse und bei welchen Teilaspekten ich künftige Bedenken ausmache. Diese können im Hinblick auf den aktuellen Kurs zwar noch unbedeutend scheinen, aber mit der Übertragung auf eine ganze Gesellschaft eine neue und eigene, mir weniger begrüssenswert scheinende Dynamik entwickeln.
Von meinem Standpunkt aus betrachtet komme ich zum Schluss, dass Taten und nicht Menschen verurteilt gehören. Weil eine Verurteilung von Menschen es erlauben würde, sie für ihr Sein, statt ihre Taten zu hassen. Womit ich aber keinesfalls ausschliessen wollte, dass diese Menschen sich für ihre Taten zu verantworten haben. Ich habe sogar Verständnis für eine zielführendes Faust im richtigen Moment, solange der Respekt gewahrt bleibt.
In einer Welt wie ich sie mir vorstelle, würde es wichtig sein, dass wenn immer ein menschenverachtende Meinung gebrüllt würde, diese noch lauter verurteilt würde.
Wer dies tut, ist mir egal.
Konter hat geschrieben:Dass ich aber in diesem Thema eher sensibel und daher auch sehr bestimmt bin, hat damit zu tun, dass in einem Anti-Trump-Reflex eine Art Rehabilitation der neokonservativen Elite der 90er und 00er Jahre stattgefunden hat, die sie so nicht verdient hat. Und das nur weil Trump halt die Bush-Familie und das damalige republikanische Establishment durch den Dreck zog (zurecht zwar aber natürlich eine Farce aus seinem Mund).
Deine Sensibilität bei diesem Thema kann ich sehr gut nachvollziehen. Es lief und läuft derart viel falsch und viele ziehen es vor, die Augen davor zu verschliessen, statt hinzusehen und die Dinge endlich beim Namen zu nennen. Denn man muss die Dinge erkennen können, um sie nachhaltig zu verändern. Genau darum finde ich es ja so wichtig, dass man die Dinge auch wirklich so differenziert wie möglich zum Ausdruck, statt nur eine grobe Einteilung vorzunehmen.