"Mit den Fäusten löst man keine Probleme" (Tages-Anzeiger vom 25.8.2001)
Als Kampfsportler stand er vor dem Durchbruch, doch mit Schlägereien stellte sich Bashkim Berisha selber ein Bein. Ein Kinofilm über ihn thematisiert Jugendgewalt und Migrationsprobleme.
Von Andreas Mösli
"Wenn man rausfindet, wer man selber ist und was man will, dann ist man auf dem richtigen Weg. Aber ich bin noch weit weg davon . . ."
Bashkim Berisha, Filmzitat
Ein junger Mann rennt und rennt, einsam und ausdauernd, quer durch die Schweizer Berglandschaft. Plötzlich klafft vor ihm ein Abgrund. Er bleibt stehen, rutscht aus und stürzt in die Tiefe. Schnitt. Bashkim Berisha schreckt aus dem Schlaf. Es war bloss ein Alptraum. Schnitt. Der junge Kosovo-Albaner aus Winterthur prügelt im Keller einer Kampfsportschule gegen Sandsäcke. Einsam und ausdauernd.
Eigentlich war die Anfangsszene des Dokumentarfilms "Bashkim" gar nicht im Drehbuch vorgesehen. "Damit Bashkim die Scheu vor der Kamera verliert, wollte ich ihm zeigen, wie das Filmen funktioniert", erzählt der Basler Regisseur Vadim Jendreyko. Deshalb seien sie ein paar Tage in die Berge gefahren, hätten die Laufszenen gedreht und anschliessend zusammen bearbeitet. Das war 1997, ganz am Anfang ihrer Bekanntschaft. Über zwei Jahre hat das Filmteam den jungen Mann begleitet. Bashkim: "Heute sind Vadim und ich gute Kollegen." Kennen gelernt haben sich die beiden durch Bashkims Sozialpädagogen, der ein Bekannter von Jendreyko ist.
Immer wieder am Abgrund
Dank eines Mitarbeiters, der beim Schnitt die Aufnahmen wieder entdeckte, ist die Alptraumszene jetzt überhaupt in den Film gekommen und somit zur Metapher geworden für das Leben des heute 20-jährigen Winterthurers - und für den Film, der sich mit den Problemen und Widersprüchen in Bashkims Leben befasst. Ob im Scheinwerferlicht der Sportarena oder im Alltag: Bashkim Berisha stand immer wieder am Rande des Abgrunds. Als Thaiboxer und Boxer, als Kosovo-Albaner zwischen den Kulturen, als Querulant, der aus der Schule flog, als Arbeitsloser und Kleinkrimineller, der Autos knackte. Als junger Mann, der seine Wut und Aggressionen nicht immer im Griff hatte und zuschlug, "wenn er bedrängt wird oder schlecht gelaunt ist", wie der Winterthurer Stadtpolizist Alfred Gut im Film sagt.
"Was mich an Bashkim von Anfang an fasziniert hat, ist diese Ambivalenz: einerseits seine Aggressivität und Gewalt, anderseits sein Charme, sein inneres Feuer und sein Witz."
Vadim Jendreyko, Regisseur
Schon zu Beginn der Dreharbeiten hatte Bashkim ein umfangreiches Jugendstrafregister, durch das sich Schlägereien und Körperverletzungen wie ein roter Faden ziehen. Das fing zwei Jahre nach dem Umzug in die Schweiz an: Schon mit 13 Jahren

hatte er eine Prügelei mit seinem Turnlehrer. Warum ist die Gewalt zu Bashkims Sprache geworden? Jendreykos Film beantwortet die Frage nicht, kann sie gar nicht beantworten. Aber er zeigt einen mutigen Hauptdarsteller, der mit sich ringt, sich verteidigt und sein Handeln vor der Kamera auch in Frage stellt. Der sich seines Problems bewusst ist, das sein Leben zu zerstören droht. Der zwar Anhaltspunkte für sein Verhalten, aber selber wenig Antworten hat.
"Mein Herz sagt: geh weg. Aber meine Beine, mein Körper bleiben stehen."
Bashkim Berisha
Mitten in den Dreharbeiten eskalierte die Situation. Im März 1999 kam es beim Tanzlokal "Schützenhaus" in Winterthur zu einer wüsten Schlägerei zwischen ausländischen Jugendlichen und zwei Stadtpolizisten, welche die Gruppe wegen Falschgeldverbreitung kontrollieren wollten. Die Beamten wurden spitalreif geschlagen. Bashkim, der an vorderster Front dabei war, stellte sich kurz darauf freiwillig, wanderte für acht Monate in Untersuchungshaft und kassierte "als allerletzte Chance" (Gerichtspräsident Richard Eichenberger) 18 Monate bedingt und einen ebenfalls auf vier Jahre bedingten zehnjährigen Landesverweis.
Zwei Cousins im Krieg getötet
Die lange U-Haft hatte Bashkim zu schaffen gemacht: Er nahm 25 Kilo zu. Gleichwohl ist er dem Richter dankbar: "Er hat mir nochmals eine Chance gegeben und mich zum Nachdenken gebracht." Und die "Standpauke", die ihm ein zweiter Richter "wie ein Vater" gehalten habe, habe ihn ebenfalls berührt. Auch heute würde er sich zwar nicht alles von der Polizei gefallen lassen - aber nicht mehr mit Gewalt reagieren, wie er versichert: "Mit den Fäusten kann man keine Probleme lösen." Er hofft, dass andere Jugendliche seine Worte hören. Den Polizisten habe er Schmerzensgeld bezahlt, und einer von ihnen habe ihm darauf geschrieben. Das fand Bashkim gut.
Und wieder die Frage: Warum diese brutale Gewalt? Er sei damals in einem tiefen Loch und voller Wut gewesen wegen des Kriegs in Kosovo, erzählt Bashkim. Das Dorf seiner Familie war von den Serben zerstört, zwei ihm sehr nahe stehende Cousins waren umgebracht worden. Zudem hätten die Winterthurer Polizisten ihn und seine Freunde vor allen Gästen blamiert und schikaniert. "Für Schweizer wäre das vielleicht weniger ein Problem gewesen, aber bei uns Albanern sind Respekt und Ehre extrem wichtig." Respekt, Ehre, Stolz - Werte, die sich durch den ganzen Film ziehen.
Jendreyko lässt nicht nur Bashkims Umfeld reden, sondern auch diejenigen, die ihn von seiner dunklen Seite kennen gelernt haben - bewusst unkommentiert, wie der Regisseur sagt. Etwa Bezirksanwalt Silvio Stierli, der das Urteil für zu mild hält und für eine Ausschaffung plädiert, weil er Bashkim keine gute Prognose stellt. Oder die verprügelten Stadtpolizisten, die den Vorfall aus ihrer Sicht beschreiben: "Es brauchte in dieser Situation sehr viel Disziplin, um nicht abzudrücken." Oder den erfahrenen Polizeifahnder Alfred Gut, der Bashkim als Erster verhaftet hatte und von dem Bashkim sagt, mit ihm wäre die Eskalation beim "Schützenhaus" nicht passiert.
"Er wird total unterschätzt, weil jeder meint, das ist so ein Buebeli . . . Er hat einen grausamen Hammer und ist unberechenbar. Deshalb mussten wir gegen ihn manchmal massiv einfahren."
Alfred Gut, Stadtpolizist
"Es war nicht immer einfach, vor der Kamera über mich und meine Probleme zu sprechen", sagt Bashkim rückblickend. Bei gewissen Fragen sei er erst beleidigt gewesen, dann habe er aber nachgedacht und meistens eine Antwort gegeben. "Mit dem Film bin ich sehr zufrieden."
Training für die Thaibox-WM
Ob es Bashkim auf Dauer schaffen wird, seine Probleme gewaltfrei zu lösen, wird sich zeigen. Die Bewährungsfrist läuft noch zwei Jahre. Momentan lebt er bei seinen Eltern in Winterthur und arbeitet halbtags als Chauffeur bei einer Textilreinigungsfirma. Die restliche Zeit trainiert er wieder in der Thaiboxschule von Weltmeister Azem Maksutaj, der aus dem gleichen Dorf stammt wie Bashkim. Am 20. Oktober will er in Winterthur den WM-Titel holen und dann endlich eine Profikarriere machen.