Für Lesefleissige aus der heutigen Sonntagszeitung. Ein paar interessante Aussagen im Interview !
«Ich habe oft Mitleid mit dem Gegenspieler»
Der Basler Valentin Stocker ist ein Fussballer mit ausserordentlichen Qualitäten und differenziertem Blick fürs Leben – trotzdem scheiden sich an ihm die Geister
<address style="line-height: 16px; font-size: 11px; color: rgb(144, 144, 144); padding-bottom: 15px; ">VON PETER M. BIRRER UND THOMAS SCHIFFERLE</address>[TABLE="class: image dixerit_ignore"]
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BASEL Der Einstieg in die Woche verläuft für Valentin Stocker in aller Ruhe und ohne Verpflichtung. Er ist der Luzerner beim FCB, an dem die Basler Fasnacht spurlos vorbeizieht. Der bald 24-Jährige sitzt in der Hattrick-Bar des St.Jakob-Parks und drückt eines aus: tiefe Zufriedenheit. Mit bemerkenswerter Leichtigkeit bewältigt Stocker derzeit den Alltag, er erzielt Tore oder bereitet sie vor, fast wie er will. Er hat messbaren Anteil daran, dass seine Mannschaft trotz vier Punkten Rückstand auf den heutigen Gegner GC als grösster Titelfavorit gilt.
In Basel feiern sie ihn als Publikumsliebling. Ausserhalb der Stadt aber ist sein Ruf zwiespältig. Kritiker halten ihm vor, die Schauspielerei zu beherrschen und überheblich aufzutreten. Stocker lässt sich im Lokal in einen bequemen Sessel fallen – und nimmt sich genügend Zeit, um diesem subjektiven Eindruck auf bemerkenswerte Art entgegenzuwirken.
Warum sind Sie eine Reizfigur?
(schweigt lange) Ich sehe, es geht gleich los … nur weiss ich nicht, ob Reizfigur der richtige Begriff ist.
Was wäre passender?
Reizfigur tönt zuerst eher negativ, wobei … (bricht ab) Reiz hat auch etwas Positives. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich ausserhalb von Basel nicht gemocht werde, überhaupt nicht. Dank der Nationalmannschaft habe ich viele Anhänger, die mir gegenüber sehr positiv gestimmt sind. Aber ich bin mir natürlich schon auch bewusst, dass es andere Haltungen gibt.
Weil Sie ein Vertreter des FC Basel sind?
Nein, das hat mit den extremen Basler Erfolgen in den letzten Jahren zu tun, und vielleicht nehmen es gewisse Leute als unfair wahr, dass ich viermal Meister und dreimal Cupsieger werden durfte und nicht zwischendurch ein anderer. Das ist halt so. Aber das ist kein FCB-spezifisches Phänomen, das wäre überall gleich.
Also existiert in der Schweiz generell von jedem Spieler das gleiche Bild? Oder sind Sie doch ein Sonderfall?
Das bin ich vermutlich, ja, aber das hängt damit zusammen, dass ich in den entscheidenden Spielen mehrmals gute Momente hatte. Ich wurde oft als Grund genommen für das Scheitern eines anderen Clubs.
Machen Sie sich darüber Gedanken?
Natürlich. Allerdings habe ich schnell eingesehen, dass ich das nicht ändern kann. Ich versuche, mich an jene Leute zu halten, die mir positiv gesinnt sind. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass ich unheimlich toll bin und mich alle gern haben müssen, überhaupt nicht. Wir leben in einem freien Land, in dem man andere Meinungen respektieren soll. Darum ist es mir auch egal, wenn mich jemand nicht mag.
Lässt sich gewisse Abneigung Ihnen gegenüber auch mit Ihrer Art, Fussball zu spielen, erklären? Sie sind ein Kämpfer, einer, der ziemlich unangenehm sein kann … … ja, durchaus … mir sind nicht alle Menschen sympathisch, also muss ich auch nicht allen Menschen sympathisch sein. Es ist doch wie in der Schule. Da kommt der eine mit dem andern aus, mit dem dritten aber nicht, aber er weiss eigentlich gar nicht recht, warum das so ist. Ich bin seit sechs Jahren Profi und nie mit einer direkten Roten Karte vom Platz geflogen. Vielleicht gab es Situationen, in denen ich übertrieben reagiert habe, das kann sein.
Als Protegé von Streller, Huggel und Frei hatten Sie wohl mehr Freiheiten als andere.
Es mag den Eindruck erweckt haben, dass ich mir mehr leisten und mehr wüten konnte, wie ich wollte. Das störte mich vor allem in den letzten zwei Jahren enorm. Ich habe früh angefangen, selbstständig zu denken und zu handeln.
Dass Sie polarisieren, ist aber kein falscher Eindruck.
Ja, kann sein. Ich bin nicht perfekt. Aber ich kann hunderttausend Episoden erzählen und erklären, wie sich etwas entwickelt hat. Jede Geschichte hat eine Vorgeschichte. Ich reagiere nicht zufällig so, ich fühle mich nicht grundlos ungerecht behandelt. Nur will ich jetzt Vorfälle aus der Vergangenheit nicht wieder aufwärmen.
Aber Sie geben zu verstehen: Sie lassen nicht alles mit sich machen.
Genau. Bis zu einem Punkt nehme ich das hin. Aber irgendwann fange ich an, mich zu wehren.
Ihr Vater ist Walliser. Drückt in solchen Momenten deshalb der Walliser in Ihnen durch?
Natürlich (schmunzelt).
Man kann Sie leicht provozieren.
(lacht wieder) Lassen wir das. Ich habe einfach Mühe, wenn ich ungerecht behandelt werde.
Wie viel Walliser Mentalität steckt in Ihnen?
Ich habe schon oft gesagt: Wenn ich auf dem Platz stehe, ist das nicht der Mensch Valentin Stocker. Ich kann Dinge ausblenden - und Sachen annehmen, um ein Spiel zu gewinnen. Dieses Denken habe ich mir mithilfe meines Mentaltrainers über die letzten Jahre angeeignet. Es gibt den Fussballer Valentin Stocker. Und es gibt den Menschen Valentin Stocker. Das ist nicht der Gleiche.
Sie schlüpfen in eine Rolle.
Das Ganze ist ein Zirkus, in dem ich mitspiele.
Sie sind also auch Schauspieler.
Nein. Ich muss nicht etwas spielen, das ich nicht bin. Wenn ich auf dem Platz bin und spiele, kann ich Züge, die es für den Erfolg braucht, aus mir hervorholen und intensivieren, zum Beispiel meinen grossen Siegeswillen oder meine mentale Stärke. Diese Eigenschaften brauche ich nur als Fussballer, nicht aber im Alltag. Da bin ich extrem harmoniebedürftig.
Können Sie privat gut verlieren?
Ja, sehr gut sogar. Da bin ich überhaupt nicht der Wettkampftyp. Und ich kann es jetzt noch. Fragen Sie meine Mitspieler in Basel: Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich sie zweimal hintereinander im Pingpong bezwinge.
Wenn Sie mit dem FCB zweimal GC besiegen, dürften Sie dieses Gefühl kaum haben.
Doch.
Das glauben wir jetzt nicht.
Ist aber so, wenn auch etwas extrem formuliert. Es kommt auf dem Platz oft vor, dass ich Mitleid mit dem Gegenspieler habe.
Wieso das denn?
Wenn ich überlegen bin und mein Gegenüber einen Fehler macht, tut er mir leid, weil er vielleicht ausgewechselt wird oder befürchten muss, dass er im nächsten Match nicht mehr aufgestellt wird.
Das hätten wir Ihnen nun wirklich nicht zugetraut.
Ich merkte ja, als Sie das Gespräch begannen, dass Sie keine Ahnung von mir haben (lacht). Ich könnte Ihnen ja einen Mist erzählen, aber es ist, wie ich es sage. Ich mache mir viele Gedanken über Gott und die Welt, über alles abseits des Rasens, zum Beispiel über das Fleisch, woher es kommt und wie viel ich davon esse. Der Fussball bestimmt nicht das Glück meines Lebens.
Sondern?
Es gibt viele andere Dinge. Ich habe einen Hund aus dem Tierheim, und es macht mich zufrieden, wenn ich sehe, wie gut es ihm jetzt geht. Nach einem Spiel will ich nicht nach Hause gehen und wütend sein, wenn wir verloren haben. Und ich will nicht überschwänglich sein, wenn ich dreimal in Folge gut gespielt habe.
Dann muss ich auch keine Zeitung lesen, weil mich so etwas wie ein Schamgefühl befällt.
Schamgefühl, weil Sie gute Kritiken bekommen?
Ich kann es nicht anders ausdrücken.
Haben Sie diese Mentalität erst als Profi entwickelt?
Das ist einfach mein Charakter. In der breiten Öffentlichkeit werde ich nicht so wahrgenommen, wie ich wirklich bin, das weiss ich. Wobei ich nicht das Bedürfnis habe, dieses Bild zu korrigieren. Das ist ohnehin kaum möglich. Aber ich kann mir vorstellen, dass mich Leute, die mich als 17-Jährigen nicht ausstehen konnten, heute gut finden. Ich habe mich in den sechs Jahren stark verändert.
Gibt es beim FCB Spieler, die ähnlich funktionieren wie Sie?
Wir haben zwischen 25 und 30 Kaderspieler, da funktioniert doch jeder anders, so, wie alle Menschen verschieden sind.
Alex Frei wird kaum Mitleid mit dem Gegner haben, wenn er drei Tore erzielt hat.
Nein, aber das wiederum fasziniert mich. Ich frage mich dann: Wie ist das möglich? Oder die Mentalität der Deutschen …
… das Kaltschnäuzige … … ja, und auch die Gabe, Selbstzweifel ausblenden zu können und von sich total überzeugt zu sein, wie ich sie auch bei Thorsten Fink gesehen habe … Ich bringe das nicht fertig, ich kann das nicht.