Lusti hat geschrieben: 25.05.2022, 14:37
Nein ein Argument setzt keinen Meinungskonsens voraus, eher versucht es diesen herzustellen.
Ich halte an meiner Aussage fest und präzisiere diese ein wenig, damit sie hoffentlich verständlicher wird. Damit eine Aussage die Funktion eines Argumentes innerhalb einer Diskussion erfüllt, muss unter den Diskussionsteilnehmern Konsens bezüglich der Gültigkeit dieser Aussage vorhanden sein. Die allgemeine/universelle Gültigkeit der Aussage spielt dafür keine Rolle, es reicht die spezifische.
Damit dieses Argument aber universelle Gültigkeit erhält, muss diese Richtigkeit von allen angenommen werden können, dies gelingt durch die Beweisführung, was es zu einem unumstösslichen, faktenbasierten Argument machen kann,
sofern es korrekt in den Argumentationsstrang eingebunden wird.
Du beschreibst die Belegbarkeit und damit verbundene allgemeine Annehmbarkeit, also die allgemeine/universelle Validität eines Argumentes. Ich beschreibe die Voraussetzung damit eine Aussage die Eigenschaft und Funktion eines Argumentes innerhalb des Diskurses und ihrer Teilnehmer erfüllt, also die fallspezifische Validität. Das sind zwei komplett verschiedene Aspekte.
Man kann über die Handlungen und Motive der Figuren einer frei erfundenen Geschichte mit komplett faktenfreien, aber im semantischen Sinne echten Argumenten diskutieren. Zum Beispiel in einer Debatte zum Thema Gott, geführt von gläubigen Theologen. Man kann aber auch Scheinargumente (was im semantischen Sinne kein echten Argumente sind) ins Feld führen, die in sich stimmen und sogar auf belegbaren Fakten basieren. Wie beispielsweise berechtigte Kritik an der NATO. Diese faktenbasierten Aussagen sind in der Frage, ob das aktuelle Vorgehen nötig oder unnötig ist, aber irelavant und bleiben daher auch nur Scheinargumente. In der Frage, ob die Glaubwürdig der NATO durch vergangene Fehler beeinträchtigt wurde, könnte diese Kritik von Relevanz und somit ein echtes Argument sein. Argumentierte man noch, dass höhere Glaubwürdigkeit auch das Vertrauen steigert und dass Vertrauen deeskalierend wirkt, wäre die berechtigte Kritik auch richtig in einen stringenten Argumentationsstrang eingebunden. Aber ein aktuelles Vorgehen wird dadurch weder nötiger noch unnötiger, nur weil Fehler in der Vergangenheit als unnötig taxiert wurden. Diese Einschätzung überträgt sich nicht automatisch. Man stützt lediglich die Aussage, dass eine Erweiterung auch eskalierenden Charakter hat, man stützt nicht die Taxierung «unnötig» dieser Eskalation.
Ein invalides Scheinargument kann durch Logik überführt werden. Ein im semantischen Sinne echtes, aber auf falschen Tatsachen basierendes Argument, kann durch Beweise entkräftet werden. Daher wohl dein Eindruck, dass die Kritik zwar berechtigt (im Sinne von faktisch belegbar) war, aber am falschen Seil aufgeknüpft wurde (weil es scheinbar keiner Logik folgend eingebunden wurde).
Lusti hat geschrieben: 25.05.2022, 14:37 Mit deinen Argumenten versucht du mir, deinen Standpunkt, begründet auf Fakten und deren Interpretation in einem definierten Kontext, darzulegen. Ist dein Argument stichhaltig, faktisch begründet und in sich Kohärent, bleibt mir keine andere Möglichkeit als dein Argument anzunehmen und meine Meinung dahingehend anzupassen. Danach haben wir Meinungskonsens.
Im argumentativen Diskurs erörtert man die Meinungsverschiedenheit in einer Frage mit Argumenten (die quasi aus passenden Kombinationen kleinster gemeinsamer Nenner bestehen). Die argumentative Überzeugen beruht auf der kohärenten Verknüpfung verschiedener Argumente zu einem Argumentationsstrang, welchem das Gegenüber folgen kann und es auch tut. Überzeugung vergrössert die gemeinsame Basis, erlaubt es fortan komplexere Argumente einzubringen. Tut man dies nicht, ist es kein argumentativer Diskurs und mündet in der Regel auch nicht in einer Vergrösserung des Meinungskonsenses. Dir bliebe übrigens trotzdem die Möglichkeit stichhaltige, faktisch begründete Argumente abzulehnen, sofern du ein gewisses Mass an Realitätsverweigerung in Kauf nehmen würdest. Zum Glück tust du das nicht. Dein Selektionskriterium beschreibt also eher den Weg zur Vernunft und zu einer Verankerung in der Realität, respektive die Wirkungsmacht des fundierten Arguments, als es definierende Funktionsprinzipien und Wirkungsmechanik des Arguments beschreiben würde.
«Mal angenommen dass …» ist nicht umsonst eine beliebte Form der Einleitung einer theoretischen Diskussion, welche man aber durchaus argumentativ führen kann. Man schafft die Basis der gemeinsamen Annahme, stellt aber gleichzeitig klar, dass darüber kein Meinungskonsens vorherrschen muss, die Diskussion sich von der Überprüfbarkeit dieser einen Annahme befreit. Dass Argumente nicht zwingend faktisch wahr sein müssen, habe ich mit den Theologen bereits angesprochen. Ihr Konsens in der Annahme zur Existenz Gottes ermöglicht Argumente, welche aber nur innerhalb der Glaubensgemeinschaft mit den selben Basisannahmen funktionieren. Man kann verschiedener Meinung sein, ob Gott gütig oder gerecht ist, aber Argumente ziehen nur, solange man die Meinung teilt, dass Gott (mindestens als Theorie) existiert. Die gleichen Aussagen, die im internen Diskurs Argumente waren, verlieren ihren argumentativen Charakter sofort, sobald sich beispielsweise ein atheistischer Wissenschaftler hinzugesellt, der selbst die Theorie einer Existenz ablehnt. Spezifische versus universelle Validität.
Man kann in einer faktenbasierten Aussage auch kein Argument sehen, wenn man die Fakten nicht kennt oder diese ignoriert. Ein Mensch kann argumentativ stringent und kohärent sein und eine auf Wissenschaft basierende Aussage anzweifeln. Dies kann im Idealfall ein Skeptiker sein (was bedingen würde, dass er die Offenheit und Fähigkeit hätte, einer Argumentationskette zu folgen, die seine Zweifel beseitigen will). Leider nennen sich viele Skeptiker, die eher Verschwörungstheoretiker, respektive Realitätsverweigerer sind (da sie Argumentationsketten nicht folgen können/wollen, die Zweifel beseitigen könnten), aber meist fehlt es denen auch an argumentativer Stringenz oder Kohärenz. Der Skeptiker hat nicht das Ziel, seine Zweifel zu erhalten oder zu vergrössern, der Skeptiker startet jeweils mit Zweifeln und versucht diese abzubauen.
Vielleicht wird es verständlicher, wenn man statt an einen verschlossenen Verschwörungstheoretiker an die geistige Offenheit eines Kindes denkt. Ich finde gerade im Diskurs einem Kind kann man gut beobachten was Argumente sind und wie sie funktionieren, da einem selbst stets bewusst ist, dass das Kind noch über eine viel kleinere Basis an faktischem Wissen verfügt, als man selbst. Gleichzeitig ist das Kind in der Regel sehr offen dafür, die eigene Basis durch Lernen zu erweitern. «Weil das so ist» ist eine Tatsache aber kein Argument, indem man dem Kind erklärt «Warum das so ist», erweiterte man seinen Wissensstand, der gemeinsame Nenner wird dadurch grösser und «Dass das so ist» kann fortan als Argument geführt werden.
Lusti hat geschrieben: 25.05.2022, 14:37Dein Argument z.B. das wir eine unterschiedliche Bereitschaft haben, uns auf Argumente einzulassen ist durchaus korrekt.
Die unterschiedliche Bereitschaft, uns auf fremde Standpunkte einzulassen, habe ich nur als Beobachtung geäussert, nicht als Argument. Wenn du das auch so siehst, kann dies als Argument geführt werden. Wenn nicht, bleibt es eine Meinung.
Lusti hat geschrieben: 25.05.2022, 14:37Das kann darin begründet sein dass du etwas weltoffener und meinungsoffener bist als ich, es kann aber auch sein dass ich eine Vielzahl von Argumenten bereits gehört, verarbeitet und als falsch interpretiert habe. Ich bin in Diskussionen ein Verfecht der "Einheit der Materie".
- Diskutieren wir über den Beitritt von FI und SW in die NATO, dann können wir gerne über die kurzfristigen und langfristigen geopolitischen Konsequenzen dieser Vorgänge diskutieren.
- Oder wir diskutieren über den implizierten Hegemonie der USA in der NATO und die daraus resultierenden Probleme. Wie und in wlecher Form instrumentalisiert die USA die NATO für ihre geopolitischen Ziele? Cooles Thema, diskutieren wir das.
- Oder wir diskutieren über den regionalen und geopolitischen Anspruch von RU, dessen Aussenpolitik und deren Reaktion auf die NATO. Auch interesannt, abenfüllend und facettenreich.
Alles zusammen in einem Topf und die Diskussion bricht in sich zusammen.
Ja. Mit zunehmender Komplexität eines Themas, steigt auch der Bedarf an sprachlicher Abgleichung, um gegenseitige Argumente erkennen zu können. Daher wäre es auch viel einfacher, wenn man die eigenen Standpunkte zu einem Thema erörterte, statt über den Standpunkt anderer (in diesem Falle Wagenknecht) zum selben Thema zu diskutieren. Eine Erhöhung der Komplexität, auf die man meiner Ansicht nach verzichten könnte.
Lusti hat geschrieben: 25.05.2022, 14:37
Das mag sogar so stimmen. Aber nehmen wir mal Demokratie-Kompatibilität als Messlatte und geben einen Score von 0 (demokratiefeindlich) bis 10 (demokratiefreundlich).
NPD: 0
AfD: 2
Die Linke: eine aufgerundete 5.
Ich stelle mir folgende Frage: Was ist, wenn die NPD stärkste Kraft im Land ist, bis zu dem Punkt an den sie eine absolute Mehrheit hätte. Wie würde DE 10 nach 10 Jahren mit dieser Politik aussehen. Und wie bei der AfD, wie bei "der Linken". Deine Unterscheidung und Präzisierung in ehren, auch wenn sie völlig richtig ist, im Endeffekt wäre Deutschland entweder eine rechte oder linke Diktatur.
Korrekt. Wenn sich eine Position durchsetzt und neben sich alle anderen Positionen verdrängt oder verbietet, entspräche dies der Alleinherrschaft einer einzelnen Position. Aber gilt dies nicht für jede Position? Selbst wenn sich statt Links oder Rechts die Mitte durchsetzen würde?
Ich bin mir sehr bewusst, dass die Geschichte schreckliche Beispiele dafür liefert, welch gefährliche Eigendynamik ungebremste Bewegungen in eine Richtung entwickeln können. Aber dennoch würde ich das Streben in eine Richtung nicht bis zum bitteren Ende extrapolieren, um daraus auf die Absichten hinter diesen Bestrebungen zu schliessen. Die Linke auf den Kommunismus oder die Rechte auf den Nationalsozialismus zu reduzieren, wäre in meinen Augen aber genau so eine falsche Verkürzung, wie Liberalen bis zum entfesselten Kapitalismus oder damals die CVP bis zum Christlichen Gottesstaat zu extrapolieren. Dies entspricht dem Naturell eines
Dammbruchargumentes und könnte auch als Scheinargument ausgelegt werden.
Daher halte ich die Demokratie-Kompatibilität aka Konsensfähigkeit für den wesentlich wichtigeren Faktor als die eigeschlagene Richtung. Ich halte viel von den drei grossen politischen Ideologien: Sozialismus, Liberalismus und Konservatismus. Aber es kommt auf die jeweilige Auslegung und den ausgewogenen Mix an, dass diese Bestrebungen nicht zur Dystopie ausufern.
Ich sehe Demokratie als Mittel um verschiedene Haltungen, Ansichten, Positionen und Perspektiven auszutauschen, um so einen ausgewogenen Weg einzuschlagen, voneinander lernen und sich weiter entwickeln zu können.
Verständniswille und Dialogbereitschaft halte ich für essentielle Voraussetzungen einer erfolgreichen Demokratie und erwarte diese auch von jedem Teilnehmer der Demokratie. Mich selbst eingeschlossen. Das grösste Unverständnis herrscht selbstverständlich zwischen den am weitesten voneinander entfernten Positionen. Und dieses Aneinander-Vorbeireden ist teils zum Haare raufen. Aber es ist auch nur logisch, dass hier viel mehr Wille und Bereitschaft für das gleiche Mass an Verständnis erforderlich wären, als wo die Positionen sich näher stehen und der Meinungskonsens grösser ist. Man kann der Ansicht sein, dass die Distanz zu gross, Verständnis unerreichbar wäre und somit guten Gewissens aufgeben oder man kann an Erreichbarkeit glauben und es weiterhin versuchen.
Ich weiss, dass ich oft eine semantische Kleinlichkeit an den Tag lege. Warum mir die Vergrösserung des gemeinsamen sprachlichen Fundaments wichtig ist, habe ich ja gerade beschrieben. Und dass ich trotz meinem Verständnis einer Aussage, den Wortlaut in Frage stelle, liegt wohl daran, dass ich meine Annahme über mein vermeintliches Verständnis durch Umformulierung überprüfen will. Vom Prinzip her gleicht es der Methode der Wissenschaft, auch wenn die Materie «Verständnis» nicht wirklich greifbar ist.
Sorry für den ausschweifenden Exkurs.