«Der polnische Fussball ist krank»
IN EINEM HEIKLEN UMFELD WAR WISLA KRAKAU DAS AUSHÄNGESCHILD DER VERGANGENEN JAHRE

Vereint trauern, getrennt schlagen. Die rivalisierenden Krakauer Fans von «Cracovia» und «Wisla» beim Gedenkgottesdienst für Papst Johannes Paul II. Foto Imago
Christian Henkel
Am Donnerstag (20.45 Uhr, SF2) kämpft Polens Abonnementmeister Wisla Krakau gegen den FCBasel um die letzte Chance im Uefa-Cup. Die Liga versinkt derweil in einem Sumpf von Korruption und Gewalt.
Der Vereinsfussball in Osteuropa boomt. Rumänien und Bulgarien haben es mit ihren nationalen Meistern Steaua Bukarest und Levski Sofia erstmals bis in die Gruppenphase der Champions League geschafft. Russland und die Ukraine sind dort sogar mit zwei Teams vertreten. Unter den Flächenstaaten glänzt nur ein Land durch permanente Abwesenheit: Polen. Für viele Experten ist das kein Zufall, sondern letzter Ausdruck eines langen Niedergangs.
«Unser Fussball ist schwer krank.» Das klingt illusionslos, doch genauso meint es Jan Tomaszewski auch. Der Torwart der legendären WM-Elf von 1974 wurde vergangenes Jahr zum ehrenamtlichen Vorsitzenden einer sechsköpfigen Ethikkommission berufen, die sich zum Ziel setze, den polnischen Fussball zu «heilen», wie es Tomaszewski nennt. Kurz zuvor hatte die Breslauer Staatsanwaltschaft Beweise für die Korruption von Schiedsrichtern und Manipulation von Ligaspielen vorgelegt.
Betrug.
Hauptzeuge Piotr Dziurowicz, 30-jähriger Präsident von Absteiger GKS Katowice, hatte Namen, Vereine, Methoden und Summen genannt. Nur zehn Prozent aller Verantwortlichen im polnischen Fussball seien sauber. «Du musst kaufen, betrügen und ein Schwein sein», sagte der Dziurowicz.
Doch trotz der offensichtlichen Korruption wurde die Kommission nach nur einem halben Jahr wieder aufgelöst. Für Tomaszewski dennoch genug Zeit, um der Liga ein verheerendes Zeugnis auszustellen. Im Mittelpunkt seiner Kritik steht die oberste Verbandsleitung, deren Machenschaften er ohne Umschweife kriminell nennt. So seien die Statuten gefälscht worden, um auf undemokratische Weise Mandate auf Lebenszeit vergeben zu können. Auch der populäre Zbigniew Boniek übt scharfe Kritik: Verbandschef Micha Listkiewicz sei eine Marionette der Funktionäre. «Wer etwas ändern will, wird rausgeschmissen. Der Fussballverband ist das letzte Bollwerk des Kommunismus», so der ehemalige Profi von Juventus Turin.
Millionenschulden.
Doch auch Boniek hat vom korrupten System profitiert. So wurden an die polnischen Traditionsvereine Widzew Lodz, dessen Miteigentümer Boniek ist, Lech Posen sowie an Polonia Warschau Lizenzen vergeben, obwohl die Clubs mit vielen Millionen Euro verschuldet sind und und trotz mehrmaliger Aufforderung keine Sanierungspläne vorlegten.
Auch beim Rest kann man kaum von ordentlichen finanziellen Verhältnissen sprechen. Die Branchenführer Legia Warschau, Wisla Krakau und Groclin Grodzisk sind zu hundert Prozent in der Hand von Privatleuten, die mit Kühlschränken oder Autosesseln zu Reichtum gekommen sind und ihre «Fussballprojekte» unter geschäftlichen Aspekten betrachten.
So werden talentierte Spieler schnellstmöglich nach Westeuropa verscherbelt. Investitionen in die Infrastruktur finden quasi gar nicht statt. Die heruntergekommenen Stadien sind Tummelplatz einer der brutalsten Hooliganszenen Europas (vgl. nebenstehenden Beitrag) und die Nachwuchsarbeit nennt Jan Tomaszewski im Vergleich zu früheren Zeiten (U19 Europameister 2001) erbärmlich.
«Jeder Verein macht, was er will, aber eher wenig. Es fehlen Ambitionen und eine einheitliche Systematik und so kann man den polnischen Verband PZPN nur einen Weltmeister im Vergeuden von Talenten nennen», donnert der 58-Jährige.
Während die polnische «Ekstraklasa» mit ihren hausgemachten Problemen kämpft, bleiben die Ambitionen im Europacup auf der Strecke. Das letzte Mal, dass ein polnischer Verein Anspruch auf die Champions League anmelden konnte, liegt Jahre zurück. Nach dem Einstieg von «TeleFonika», einem der reichsten Unternehmen Polens, bei Wisla Krakau im Jahr 1998 gewann der bis dahin vergleichsweise erfolglose Club fünf Meistertitel in sieben Jahren. Die Mannschaft, mit den besten Spielern der Liga gespickt, sorgte auch im Europacup für Aufsehen, unter anderem mit einem 4:1-Erfolg gegen Schalke 04 in Gelsenkirchen.
Doch trotz mehrmaliger Anläufe blieb dem Verein der Weg in die Königsklasse verwehrt. So mussten nacheinander der Erfolgstrainer Henryk Kasperszak, Präsident Bogdan Basalaj und die besten Spieler gehen, unter ihnen der jetzige Celtic-Glasgow-Stürmer Maciej Zurawski. Mittlerweile ist nun auch bei Wisla das übliche Chaos der polnischen Liga eingekehrt. «TeleFonika»-Eigentümer Boguslav Cupial heuert und feuert Trainer und Präsidenten im Halbjahrestakt. Die Mannschaft ist auf den fünften Platz der «Extraklasa» abgerutscht, und es käme einem Wunder gleich, qualifizierte sich das Team noch für die nächste Runde im Uefa-Cup.
Hoffnungslos.
Nicht nur bei Wisla hat man hinsichtlich dieser Zukunftsaussichten bereits alle Hoffnungen auf einen Selbstheilungsprozess fahren lassen. Janusz Woijek, Fussballtrainer und einflussreicher Parlamentarier, erklärte kürzlich gegenüber Fifa-Präsident Joseph Blatter:«Polens Fussball kann nur noch von aussen saniert werden.»
In Krakau wüten Polens berüchtigste Hooligans
Im Gebet vereint.
Sie gilt als die entschiedenste und brutalste Rivalität, die der polnische Fussball kennt: jene zwischen den Fans von «Wisla» und «Cracovia». Erst jüngst, beim Krakauer Derby, gab es wieder wüste Krawalle, und das Stadion wurde in Mitleidenschaft gezogen. Dabei gibt es Bilder der trauten Eintracht der «Wisla-Hunde» und der «Cracovia-Juden» - Bilder vom Todestag von Johannes Paul II. im Stadion von Cracovia, das den Namen des polnischen Papstes trägt. 25000 sogenannte Ultras beider Vereine hatten sich am 2. Mai versammelt, zündeten Kerzen an, schwenkten ihre Vereinsschals und beteten gemeinsam - um bei nächster Gelegenheit wieder aufeinander loszugehen. Verletzte und auch Tote gehören zur Bilanz dieser Auseinandersetzungen, bei denen die Polizei erst einschreitet, wenn Blut geflossen ist, bei denen ein schwacher Verband hilflos zusieht und etwa für Rassismen in den Stadien lächerliche Geldstrafen verhängt. Vorbeugende Fanarbeit kennt Polen nur vom Hörensagen.
cok/hen