KRISE IN KAISERSLAUTERN - Eiszeit in der Hölle (Teil1)

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Nur So...
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KRISE IN KAISERSLAUTERN - Eiszeit in der Hölle (Teil1)

Beitrag von Nur So... »

KRISE IN KAISERSLAUTERN

Eiszeit in der Hölle
Von Dirk Gieselmann, Benjamin Apitius und Tim Jürgens

Bibbern auf dem Betzenberg: Der 1. FC Kaiserslautern taumelt Richtung dritte Liga. Seit zehn Jahren fällt der Traditionsclub fast nur noch durch sportliche Inkompetenz, Intrigen und Misswirtschaft auf. Der Niedergang der Roten Teufel u2013 ein Rückblick der "11 Freunde".

Fritz Walter ahnte, was ihm blühen würde. Warum sonst nötigte er sich und den anderen Pfälzern aus dem WM-Team von 1954 diesen heiligen Schwur ab? Walter, sein Bruder Ottmar, Werner Liebrich, Walter Kohlmeyer und Horst Eckel gaben sich noch in den 60ern beim Schoppen Wein das Ehrenwort: Keiner solle jemals nach der aktiven Laufbahn beim 1. FC Kaiserlautern in eine verantwortliche Position rücken. Zu groß würde die Gefahr für jeden einzelnen in der Gruppe, die Bedeutung als Idol der Nachkriegsgeneration aufs Spiel zu setzen. Ein Eid, der auch über den Tod von Fritz Walter, Liebrich und Kohlmeyer hinaus Bestand hat.

Die Alten haben gut daran getan, ihren Ruf beim FCK nicht zu riskieren. Seit nunmehr einem Jahrzehnt befindet sich der Pfälzer Renommier-Club auf einer sportlichen wie wirtschaftlichen Talfahrt. Horst Eckel, Teil der legendären FCK-Mannschaft, die 1951 und u201953 Meister wurde und als "Walter-Elf" Legendenstatus erreichte, fällt nicht viel ein, wenn er sein Team mit dem heutigen vergleichen soll. "Nur der Name ist noch derselbe", sagt der Veteran traurig.

Als die Pfälzer 1998 zum letzten Mal Meister wurden, zählte der Club mit seinem Etat noch zu den Top 5 der Bundesliga. Jetzt droht der Absturz in die Regionalliga. Am vergangenen Wochenende erzitterte man sich ein 0:0 beim SC Paderborn (mehr...) - und bleibt auf Platz 16 mit fünf Punkten Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz. Der großzügige Hauptsponsor, die Deutsche Vermögensberatung (DVAG), gab schon einen Vorschuss auf die Rate für kommende Saison, damit noch letzte Verstärkungen für den finalen Kampf um den Klassenerhalt geholt werden können. Ein anonymer Privat-Investor wurde um ein Darlehen von einer Million Euro angepumpt, damit beim FCK nicht die Lichter ausgehen.

Vorstandssprecher Hans-Artur Bauckhage übt sich in Zweckoptimismus: "Ich beschäftige mich erst mit dem Abstieg, wenn er besiegelt ist. Dann holen wir ein weißes Blatt Papier hervor und schreiben alle Zahlen drauf, die uns die neue Geschäftsgrundlage bietet." Nicht nur der Verein hat also ein Problem bei einem sportlichen Niedergang, sondern ganz Kaiserslautern. Stefan Kuntz, der Kapitän des Meisterteams von 1991, fasst zusammen: "Wenn der Verein absteigt, verlieren die Leute ihre Identifikationsfläche."

Mit Ach und Krach schleppte sich der Verein mehr als 30 Jahre durch die Bundesliga. Noch 1991 war der Mannschaft eine Reminiszenz an die Goldene Ära der 50er Jahre gelungen: In der Vorsaison akut abstiegsbedroht, wurde der FCK sensationell Meister. Kuntz brachte Fritz Walter die Schale, es war die Vermählung der Gegenwart mit der Vergangenheit. Kuntz: "Den alten Helden das Geschenk machen zu können, dass ihr Verein wieder ganz oben ist u2013 das ist mit Worten nicht zu beschreiben."

Bis heute herrscht in der Pfalz der Glaube vor, der Abstieg des FCK sei ein Ding der Unmöglichkeit. Wie der Mensch im Mittelalter sich nicht vorstellen konnte, dass die Erde eine Kugel sei über die er freihändig stolzierte, glauben die Pfälzer so lange nicht, dass ihr Club absteigt u2013 bis er wirklich abgestiegen ist. Dabei sind sie doch längst gebrannte Kinder. Norbert Thines, Präsident des FCK beim ersten Bundesliga-Abstieg 1996, erklärt: "Bei uns stirbt die Hoffnung ganz zum Schluss. Was nicht sein darf, kann auch nicht sein."

Erste Risse bekam das Denkmal FCK nach dem Abgang von Stefan Kuntz 1995. Es gelang den Verantwortlichen nicht mehr wie vorher, Spieler aufzubauen, die das Erbe hätten weiter tragen können. In der Saison 1995/96 war die Mannschaft in Grüppchen zerfallen. Der FCK stieg ab, weil er in der Saison 18 Mal unentschieden spielte, angeblich weil auf dem "Betze" der Rasen zu schlecht war u2013 und er sich einen Abstieg offenkundig bis zum Schluss nicht vorstellen konnte.

Axel Roos war dabei. Kein Spieler hat länger als er für den FCK gespielt u2013 22 Jahre am Stück. Er sitzt im "Café Extrablatt" und nippt melancholisch an einem Cappuccino. Roos ist keiner dieser sprichwörtlichen "Pfälzer Krischer", einem Menschenschlag, den man hier häufig antrifft, den ein übersteigertes Selbstbewusstsein und sein lautstarkes Auftreten charakterisiert. Er ist so, wie er als Spieler war: unauffällig, zuverlässig, ehrlich. Nach 328 Spielen für seinen Club u2013 zwei Meistertiteln und zwei Pokalsiegen u2013 wurde er 2001 ausgebootet. Er verabschiedete sich mit den Worten von den Fans: "Ich muss gehen, um wiederzukommen."

Die Rückkehr wird ihm nicht leicht gemacht. Gemeinsam mit Demir Hotic und Jürgen Groh hat er dem gegenwärtigen Vorstand um Erwin Göbel vor einem Jahr angeboten, als Scouting-Kommando auszuhelfen. In den vergangenen fünf Jahren hat der Verein rund 90 Spieler verpflichtet, von denen nur ein Bruchteil die Erwartungen erfüllen konnte. Doch der Vorstand lehnte ab. Begründung: Die Trias um Roos habe allein über die Transfers bestimmen wollen und somit vorgehabt, einen Staat im Staate zu gründen. Roos fühlt sich von seinem Club allein gelassen: "Warum werden bei Bayern die Ex-Spieler integriert und ausgerechnet bei uns ausgegrenzt?"

Es ist auffällig, wie viele alte FCK-Veteranen in den Planspielen des Vorstandes keinen Platz finden, unabhängig davon, wer in der Führungsetage herrscht: Stefan Kuntz wurde sich 2003 mit René Jäggi nicht einig, weil der Vorstand seine Kompetenzen in der Arbeitsplatzbeschreibung zu sehr beschnitt. Heute wirkt er recht erfolgreich als Manager beim VfL Bochum. Hans-Peter Briegel scheiterte 1998 an der Hegemonie von Otto Rehhagel und später als Aufsichtsrat am mächtigen Jäggi, dem die sportliche Kompetenz der einstigen "Walz aus der Pfalz" offensichtlich suspekt war.
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Beitrag von Nur So... »

Im Herbst 2007 warf auch FCK-Rekordtorschütze Klaus Toppmöller nach wenigen Wochen im Amt des ehrenamtlichen Sportdirektors wieder hin. Angeblich, weil der Vorstand ihm nicht die Spieler zubilligte, die er gerne verpflichtet hätte. Derzeit versucht der 66-jährige Ex-FCK-Profi Fritz Fuchs die sportlichen Belange des Vereins zu managen. Präsident Erwin Göbel, langjähriger Controller des Vereins und dem Vernehmen nach Fan von Eintracht Frankfurt, setzte die fragwürdige Tradition seines Vorgängers Jäggi fort und führt ohne Fortune und sportliches Geschick. Axel Roos sagt: "Wenn ich als Spieler fünf Spiele in Folge schlecht war, saß ich auf der Bank, wenn ein Vorstand fünf Jahre schlecht arbeitet, passiert nichts."

Den letzten unzweifelhaft sportlich kompetenten Vorstand leitete nach dem Abstieg 1996 der ehemalige FCK-Kapitän Jürgen "Atze" Friedrich. Um ihn und den Konkursverwalter Dr. Robert Wieschemann gruppierte sich das "Team Professionelle Zukunft". Die Truppe bugsierte auf der Mitgliederversammlung am 9. Juli 1996 Norbert Thines aus dem Amt und teilte in einer neu geschaffenen Struktur u2013 der Vorstand sollte fortan nur noch repräsentieren, der Aufsichtsrat entscheiden u2013 die Posten unter sich auf.

Mit seinem Verhandlungsgeschick gelang es Friedrich, den in München geschassten Otto Rehhagel nach Kaiserslautern zu lotsen: "Ich weiß, Otto, bei Bayern haben sie dich gerade rasiert, und wir spielen nur 2. Liga. Aber ich sagu2019 dir, das wird gut." Otto fand das auch u2013 und es wurde sogar noch besser. Mit einem gefestigten Kader war das Jahr 2. Liga lediglich Formsache. Die Mitgliederzahl des FCK stieg auf über 7500 und in der Saison 1997/98 wurde der Club nach einem Parforceritt als erster Verein der Bundesligageschichte nach dem Aufstieg Deutscher Meister.

Kaiserslautern lag Friedrich zu Füßen. Doch wie so oft bei Erfolgsgeschichten mit epochalen Ausmaßen dräute auch hier am Horizont schon der Niedergang u2013 der des FCK und sein persönlicher. Im Februar 2008, keine zehn Jahre später, sitzt Friedrich mit seinem ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Wieschemann in dessen schmucklosem Büro unterhalb der Autobahn in einem Industrieviertel von Kaiserslautern. Regale voll mit Aktenordnern. Eine Sekretärin mit toupierten Haaren steht am Kopierer. Wieschemann raucht Marlboro. Zwei Ordner liegen auf dem Tisch: Die minutiöse Dokumentation eines der spektakulärsten Prozesse in der Bundesliga-Geschichte.

Friedrich und Wieschemann sehen sich als Opfer eines Justizirrtums. Für viele in Kaiserslautern gelten sie jedoch als die Totengräber des Vereins. Großmannssucht und Größenwahn hat man ihnen vorgeworfen. 2005 verurteilte das Landgericht Kaiserslautern Friedrich zu einer Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung auf Bewährung, Wieschemann wegen Beihilfe zu einer Geldstrafe. Der Grund: Bei Transfers von Spielern wie Taribo West, Lincoln oder Jeff Strasser wurden Zahlungen für Persönlichkeitsrechte ins Ausland fällig, die nach Auffassung des Gerichts zum Teil unversteuert wieder in die Taschen der Spieler gewandert seien.

Die Gerichte gingen davon aus, dass die Angeklagten dieses Verfahren aktiv genutzt hätten, um hochkarätige Spieler zu einem deutlich verringerten Gehalt in die strukturschwache Pfalz zu locken. Durch diesen Bauerntrick hofften sie, mit den großen Clubs mitzuhalten. Ein Steuerdelikt: verdeckte Gehaltszahlungen. Das Gericht stützte sich dabei vor allem auf Zeugenaussagen unter anderem von Taribo West. Friedrich führte die Verhandlungen mit Spielern fast immer allein.

Friedrich und Wieschemann weisen jegliche Schuld von sich, schließlich hätten sie stets im Interesse des Clubs gehandelt, und die Zahlungen seien offiziell durch die Bücher des Vereins gelaufen. In seiner Urteilserklärung bescheinigte das Gericht den Angeklagten zumindest, sich nicht persönlich bereichert zu haben. Friedrich sagt: "Wir waren immer der Meinung, nach unserem rechtlichen und kaufmännischen Empfinden das Richtige zu tun u2013 aber das war ein Irrglauben. Taribo West war doch informiert und hat es auch unterschrieben: Nach Paragraf IV erhält der Spieler von diesen Zuwendungen nichts."

Die persönlichen Folgen des Urteils waren verheerend: Friedrich musste die Privatinsolvenz antreten, sein Sohn flüchtete aus Angst vor Anfeindungen nach Brasilien. Wieschemanns Ruf als integrer Anwalt war fortan ebenso angeknackst wie seine Gesundheit. Noch heute wird seine Enkeltochter von Mitschülern gehänselt, das Auto, das ihr Vater fahre, gehöre dem FCK. Kleinstädte können grausam sein.

Lesen Sie morgen im zweiten Teil: Wie Lautern trotz Stars wie Mario Basler und Michael Ballack in die Krise stürzte und wie der aktuelle Vorstand doch noch die Kurve kriegen will.

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John_Clark
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Beitrag von John_Clark »

Beinahe wie immer schon ein interessanter Bericht im "11 Freunde" - einem der stärksten Fussballmagazine. Irgendwie ist's Schade um Lautern, gehört dieser Verein für mich einfach zur Bundesliga dazu. Aber, selbst Schuld, rote Teufel.

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Nur So...
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Und weiter gehts....

Vom Starensemble zur Schießbude
Von Dirk Gieselmann, Benjamin Apitius und Tim Jürgens

Ende der Neunziger tummelten sich Stars wie Mario Basler, Lincoln und Ciriaco Sforza am Betzenberg. Doch die Prominenz konnte den Niedergang des Clubs nicht verhindern. Der aktuelle Vorstand setzt auf alte Tugenden und eine Millionenoption, um dem endgültigen Absturz zu entgehen.

Schon in der ersten Saison, nachdem die Finanzkrise beim 1. FC Kaiserslautern (mehr...) ans Licht gekommen war, zeigte die sportliche Entwicklungskurve steil bergab. Die Chronik der Saison 1998/99 liest sich wie eine Aneinanderreihung von Missgeschicken: Mit 0:4 kickte der FC Bayern die Lauterer aus dem Champions-League-Viertelfinale. Eine erneute Qualifikation verpassten sie. Das aus dem Kader herausstechende Talent Michael Ballack wurde von Rehhagel bei jeder Gelegenheit rasiert. Entnervt wechselte Ballack nach dieser Spielzeit zum Konkurrenten Bayer Leverkusen.

Fakt ist, nicht nur Friedrich hatte nach der Meisterschaft 1998 den unbedingten Wunsch, die Erfolge auszubauen. Axel Roos bilanziert: "Otto Rehhagel sagte: 'Wir brauchen bessere Spieler'." Und alle kamen: Sforza, Djorkaeff, Lincoln, Basler, Ramzy. Doch Rehhagels Stars waren auch sein schleichendes Ende. Ciriaco Sforza zettelte einen Kleinkrieg mit dem autoritären Übungsleiter an und wurde nach einer Suspendierung schließlich vom Vorstand zurück ins Team befohlen.

Basler fiel immer mehr durch Disziplinlosigkeiten auf. Er brach ein Tabu, als er anfing, im Kabinengang zu rauchen. Rehhagels Autorität litt. Als dann auch noch die Erfolge ausblieben, verwandelte sich die "Ottokratie" in Isolation. Selbst sein einstiges Wohnzimmer, der Betzenberg, war ein unwirtlicher Ort geworden, längst hingen überall Anti-Otto-Transparente. Am 2. Oktober 2000 bat Rehhagel den alten Kumpel Jürgen Friedrich, ihn seines Amtes zu entbinden.

Eine Notlösung wurde ersonnen: Andreas Brehme als Team-Manager installiert und Reinhard Stumpf, bisheriger Rehhagel-Assistent, ihm als Trainer zur Seite gestellt. Ein Duo, das der Herkulesaufgabe, die Mannschaft zu befrieden, nicht gewachsen war. Stumpf: "Bis Freitagnachmittag habe ich das Zepter geschwungen, dann wurde es mir abgenommen, und Samstag liefen Leute auf, denen ich Freitagvormittag die Ersatzbank prophezeit hatte. So kann ein Trainer nicht arbeiten."

Mitten im Chaos traf Wieschemann eine folgenschwere Entscheidung. Er brachte den Schweizer René Jäggi, vormals Präsident des FC Basel, Adidas-Chef und Sanierer des gestrauchelten Hausschuh-Giganten Romika, als Nachfolger von Friedrich ins Spiel. Ein Zynismus des Schicksals. Denn ausgerechnet der Eidgenosse begann nun, das Geschäftsgebaren seiner Vorgänger minutiös zu durchleuchten.

Zwei Welten prallten aufeinander: Der machtbewusste, misstrauische Jäggi gegen den fintenreichen Fußballer Friedrich, der nach Ansicht der Gerichte auch mal eine Vereinbarung traf, die über den Vertrag hinausging (Zitat: "Ich kann doch nicht jedem Hansel einen Detektiv ins Ausland hinterherschicken"). Jäggi wollte Planungssicherheit, weswegen er den Sachen auf den Grund ging.

Friedrich hingegen glaubt, der Schweizer habe erst nach Amtsantritt die Schwere der Aufgabe erkannt und deshalb versucht, die erfolgreichen Vorgänger in Misskredit zu bringen. Friedrich: "Es ist in der Wirtschaft Regel, möglichst den Erfolg anderer nach unten zu treten." Heute betrachtet er es als seinen größten Fehler, aus gekränkter Eitelkeit beim FCK hingeschmissen zu haben. Er hat allen Grund dazu.

Denn der Schweizer nahm sich drei Monate Zeit, um sich einzuarbeiten, und kam aufgrund des Gutachtens des Wirtschaftprüfers PwC zu dem Schluss, dass der FCK am Rande der Insolvenz stehe. Um die Liquidität zu sichern, wurden die Transferrechte an Miroslav Klose, dem Kronjuwel des Vereins, für fünf Millionen Euro an die Toto-Lotto-Gesellschaft Rheinland-Pfalz abgegeben.

Nachdem das Gutachten auch ermittelt hatte, dass möglicherweise in der Zahlung für Persönlichkeitsrechte verdeckte Gehaltszahlungen liegen könnten, erstattete Jäggi als Verantwortlicher des FCK Selbstanzeige beim Finanzamt Kaiserslautern. Im Februar 2003 schloss er mit dem Finanzamt eine "tatsächliche Verständigung" und zahlte freiwillig Steuern in Höhe von 8,9 Millionen Euro nach.

Damit wurden der Stadionverkauf und der des vereinseigenen Trainingsgeländes Fröhnerhof unumgänglich. Über Nacht war das Tafelsilber dahin. Die Krux an der Geschichte: Nach einem Urteil des Landgerichts aus dem Jahr 2005 zahlte der Club dem Fiskus damals 7,9 Millionen Euro zuviel. Damit müssten der Verkauf der Arena u2013 und die daraus resultierenden enormen Belastungen für den FCK heute u2013 nachträglich in Frage gestellt werden.

Das bestätigt auch der seit November 2007 als Berater des Vorstands fungierende Hans-Artur Bauckhage. Weder Jäggi noch Erwin Göbel, sein Nachfolger als Präsident, haben seit dem Urteil des Landgerichts daran gedacht, sich die zuviel gezahlten Steuern rückerstatten zu lassen. Es würde das gesamte Sanierungskonzept des vermeintlichen Retters nachträglich in Frage stellen.
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Nur So...
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Doch die aktuelle Finanznot beim FCK hat ein Umdenken bewirkt. Vorstand Bauckhage sagt: "Wir versuchen gerade herauszufinden, ob es möglich ist, die zuviel gezahlten Steuern von damals zurückzubekommen." Es wäre ein Geldregen, den der Club bitter nötig hat. Denn von dem Geld, etwa 57 Millionen Euro, die René Jäggi 2002 mit dem Stadionverkauf erlöste, um die Schulden zu tilgen und ein neues Team aufzubauen, ist nichts übrig. Bauckhage gesteht ein: "Die gegenwärtige Situation des Vereins ist eine Verkettung von vielen Ursachen. Nicht nur in der Ära Friedrich, auch in der Amtszeit von Jäggi wurden Fehler gemacht."

Aachen, Mainz und Mönchengladbach spielen 2007/2008 nach dem Abstieg wieder in der 2. Fußball- Bundesliga. Erstmals dieser Klasse gehören Hoffenheim und Wehen Wiesbaden an. Weitere Aufsteiger sind der FC St. Pauli und der VfL Osnabrück.

Bei nachträglicher Betrachtung der Urteile mögen die zentralen wirtschaftlichen Entscheidungen von Jäggi überhastet wirken. Die sportliche Bilanz des Mannes aus Basel aber ist ein Offenbarungseid. Von Beginn seiner Tätigkeit im September 2002 bis zu der Übergabe der Amtsgeschäfte an Erwin Göbel, Ende Juli 2006 trainierte die Mannschaft unter fünf Übungsleitern. Mit jedem veränderte sich die fußballerische Philosophie. Kohorten von Spielern wurden u2013 mitunter im Halbjahresrhythmus u2013 geholt und wieder abgegeben.

So schwer das Erbe von Friedrichs Amtszeit ist, fest steht auch: Alle Verdienste der alten Führung hatten mit Jäggis Großreinemachen endgültig ihre Bedeutung verloren. Hans-Peter Briegel klagt: "Es ist einmalig in der Bundesligageschichte, dass Verantwortliche, die auch viel Positives für den Verein geleistet haben, in der Öffentlichkeit so platt gemacht wurden und immer noch werden. Das gibt es nur in Kaiserlautern."

Jäggis sportliche Verdienste sprechen indes eine unmissverständliche Sprache: Seine erste Trainerverpflichtung, Erik Gerets, erreichte zwar das Pokalfinale, nach der Sommerpause aber stand ihm nur noch ein von radikalen Einsparungen geprägter, 18-köpfiger Kader zur Verfügung. Gerets wurde durch Kurt Jara ersetzt, der den Verein trotz des Dreipunkte-Abzugs vor dem Abstieg rettete. Doch dem Österreicher war es nur noch vergönnt, sich als Schadensbegrenzer zu betätigen, der Spieleretat wurde im Zuge weiterer Sanierungsmaßnahmen auf ein Drittel reduziert.

Das schmachvolle Resultat im Sommer 2005: ein elfter Rang. Sogar der Lokalrivale Mainz 05 war besser. Erstmals regte sich leise Kritik an Jäggis hartem Sanierungskurs. "Jäggi hat an den Verein mal überhaupt nicht gedacht. Null Komma Null!", schimpft Andreas Brehme heute. "Er war der Untergang des FCK."

Jäggi holte Michael Henke als Nachfolger des blassen Jara an den Betzenberg u2013 und dieser blieb als allergrößtes Trainermissverständnis in der FCK-Geschichte in Erinnerung. Nach dem 13. Spieltag entband man Henke von seinen Aufgaben und er wurde wieder das, was er immer war: der ewige Assistent von Ottmar Hitzfeld. Versuche, durch die Beschickung eines Sportdirektors für Kontinuität zu sorgen, schlugen fehl. Sowohl Marc Wilmots als auch Stefan Kuntz sagten ab.

Die Verpflichtung des alten Lauterer Kämpfers Wolfgang Wolf als Trainer sollte ein Fanal sein u2013 nach Jahren in der Diaspora waren pfälzische Tugenden zurück am Betze. Doch so pathetisch der Effekt gedacht war, so ziellos war seine Wirkung. Am Ende stand der zweite Abstieg des FCK aus der Bundesliga. Jäggi führt als Argument für den Mangel an sportlichem Erfolg ins Feld, dass die wirtschaftliche Situation nur eine Arbeit mit extrem billigem Kadern ermöglichte.

Gegen Ende seiner Amtszeit spielte der Verein mit einem Gesamtetat für Spielergehälter von 13 Millionen Euro. Der unglückliche Wolf sagte im Moment des Abstiegs, er befürchte, auch in der 2. Liga gegen den Abstieg zu spielen. Dieses Szenario ist nun u2013 mit einiger Verspätung u2013 Wirklichkeit geworden.
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Fanaufstand bei den toten Teufeln

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KAISERSLAUTERN AM ABGRUND
Fanaufstand bei den toten Teufeln

Von Frank Hellmann, Kaiserslautern

Dramatische Szenen in Kaiserslautern: Nach der Niederlage gegen Hoffenheim ist der Club kaum noch vor dem Abstieg zu retten. Spieler und Vorstand wurden von aufgebrachten Fans beschimpft, selbst eine Zukunft in der neuen dritten Liga ist in Gefahr.

Vielleicht ist das Leiden wirklich nur noch im stark angeheiterten Zustand zu ertragen. Das abermalige Trauerspiel, das die überforderten Zweitliga-Profis des 1. FC Kaiserslautern bei der 0:2-Pleite gegen den Aufstiegsaspiranten 1899 Hoffenheim abgeliefert hatten, war bereits anderthalb Stunden vorüber, da stolperte ein FCK-Fan die Betonstufen der Westkurve herunter. Apathisch schwenkte der Mann eine rote Fahne in der Hand. "Nie mehr zweite Liga", grölte der sichtbar alkoholisierte Anhänger.

Fanproteste in Kaiserslautern: "Irgendwo muss der Frust ja hin"
Dann blickte er herunter und sah Gleichgesinnte, die die fatalen Befindlichkeiten des einstigen Vorzeigevereins weniger sarkastisch ertrugen. Eine beträchtliche Meute hatte sich vor dem Eisentor der Haupttribüne versammelt und skandierte unentwegt "Vorstand raus!" Die Gesichter waren verzerrt, die Wut gewaltig. Die Polizei war angerückt, während sich tief im Bauch des Fritz-Walter-Stadions die angesprochenen Herren verschanzten. Nein, Hans-Artur Bauckhage, der Vorstandssprecher, und Erwin Göbel, der Vorstandsvorsitzende, denken (noch) nicht an Rücktritt. "Irgendwo muss der Frust der Fans ja hin u2013 der Vorstand spielt aber da nicht mit", sagte Bauckhage. "Ich denke es bringt nichts, wenn wir weglaufen", so Göbel.

Immerhin das haben sie beim FCK bewahrt: eine Stand- und Mannhaftigkeit, wenn sie auch nur dem Erdulden des vorläufigen Tiefpunkts geschuldet ist. Schon aus der Vorhalle waren die Unmutsäußerungen hoch bis in die Vorstands- und Presseräume geklungen u2013 mögen die Roten Teufel sportlich tote Teufel sein, der gemeine Pfälzer mag sich dem nunmehr fast sicheren Abstiegs nicht kommentarlos hingeben. Fast genau zehn Jahre ist es schließlich her, da wurde dieser Verein tatsächlich von den Menschen hier als Deutscher Meister gefeiert.

Wie es sich im Fokus der Fanproteste anfühlt, welch verbale Verunglimpfung man sich anhören muss, weiß seit einem historischen Freitagabend auch die kickende Belegschaft. Auf Geheiß von Trainer Milan Sasic spielte sich nämlich auch direkt auf dem Spielfeld noch Einmaliges ab: Damit ist nicht das stümperhafte Gekicke seiner vor Saisonbeginn monströs überschätzten Mannschaft gemeint, sondern der Befehl des Trainers an seine Spieler, sich geschlossen vor der aufgebrachten Anhängerschaft in der Westkurve aufzustellen.

In Reih und Glied harrte der FCK-Kader fast fünf Minuten aus, um sich wahlweise bepöbeln und beleidigen zu lassen. Der Zaun und die Kette einsatzbereiter Ordner verhinderte Schlimmeres. Sasic wollte diesen Pranger: "Wir mussten uns stellen. Ich möchte, dass die Spieler die Gesichter dieser enttäuschten Menschen nie vergessen. Wir können nicht erwarten, dass uns die Fans in dieser Situation, bei diesem Tabellenstand etwas Nettes sagen."

Der 49-Jährige weiß, dass bis auf Idol und Torhüter-Eigengewächs Tobias Sippel die Profis allesamt im Abstiegsfall vertragslos sind und den Club verlassen. Ihnen wird schon bald egal sein, ob der Kultclub überlebt oder nicht. Das Schicksal liegt ohnehin nicht mehr in den Händen der handelnden Personen. "Wir haben eine Lizenz für die dritte Liga beantragt und dabei eine Planung mit einigen Annahmen abgegeben. Die Lösungen für die Annahmen liegen nicht in unserer Hand", bestätigte Göbel. Will heißen: Nur wenn Sponsoren wie DVAG oder Lotto sich auch beim Abstieg generös zeigen, wenn vor allem die städtische Stadionbetreibergesellschaft auf viel Geld verzichtet, ist der FCK überlebensfähig.

Das überdimensionierte WM-Stadion frisst jährlich 3,2 Millionen Euro Miete und 1,8 Millionen Euro Unterhalt, Wartung und Betriebskosten. Eine Summe, die der 1. FC Kaiserslautern auch in der neuen dritten Profiliga nie und nimmer aufbringen kann, fließen doch dort statt wie bisher fünf Millionen Euro TV-Einnahmen nur läppische 625.000 Euro. Der Gesamtetat betrüge nicht mehr als zehn Millionen Euro. "Es muss gravierende Einschnitte geben", sagt Göbel u2013 auch unter den 40 bezahlten Angestellten des Clubs. Anfang Mai entscheidet der für die Lizenzierung der dritten Liga zuständige DFB erstmals über die Zulassung u2013 der FCK wird, wenn überhaupt, knallharte Auflagen bekommen.

Ob unter diesen Voraussetzungen überhaupt der als Heilsbringer auserkorene Stefan Kuntz als Lauterer Vorstandsboss anfängt, hängt weiterhin in der Schwebe. Der 45-Jährige hat sich noch Bedenkzeit erbeten, Göbel bezifferte die Chancen am Freitagabend auf "50:50", ein fix terminiertes Datum für die Entscheidung gebe es nicht. Kuntz will abwarten, ob der Club tatsächlich eine Zukunft hat u2013 in der dritten Liga. Insofern war es etwas voreilig, was der angetrunkene Anhänger nach seinem Ironie-Singsang "Nie mehr zweite Liga" noch anstimmte: "Dritte Liga u2013 Lautern ist dabei!"
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