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DAS BUCH «OFFSIDE» ERZÄHLT VON DER CHAOTISCHEN REISE AN DIE OBDACHLOSEN-WM

Buch über Randfiguren. Simone Burgherr und Dominique Berrel mit dem zum Buch gehörenden Poster. Foto Tino Briner
TARAHILL
Am diesjährigen «Homeless World Cup», der Strassenfussball-WM in Südafrika, spielten auch vier Basler mit. Über die Erfahrungen der Schweizer «Homeless Kicker» hat die Publizistin Simone Burgherr nun ein Buch veröffentlicht.
Ein Samstagnachmittag im vorweihnachtlichen Basel. Simone Burgherr sitzt mit Buchgestalter Dominique Berrel in einem Café und nippt an ihrem Espresso. Eigentlich sollten jetzt die Basler WM-Teilnehmer von ihren Erlebnissen am «Homeless World Cup» in Kapstadt berichten - aber aufgetaucht ist keiner. «Ich kann nichts versprechen», hatte Burgherr bereits am Telefon angekündigt. Die Fussballer des Schweizer «Homeless Kicker»-Teams sind keine Hochglanz-Stars. Sie leben im Schatten der Gesellschaft, haben keine feste Bleibe, nehmen Drogen. «Einer ist im Knast, ein anderer abgetaucht», erklärt Burgherr. Weitere Spieler wären gerne zum Interviewtermin gekommen, konnten aber das Zugbillett nicht bezahlen. Der Titel «Offside» bringt es auf den Punkt: In Burgherrs Buch geht es um Fussball, aber gleichzeitig um viel mehr. Im Abseits stehen die Fussballer selbst. Sie sind Randfiguren der Gesellschaft, ihre Geschichten erzählen von Abstürzen und dem mühsamen Versuch, wieder auf die Beine zu kommen.
Pass vergessen.
Simone Burgherr, die das Team auch als Projektkoordinatorin betreut, hat dies Ende September bei der Reise nach Südafrika hautnah miterlebt: Im Zug nach Zürich-Kloten sagt Nelson, einer der Spieler, unvermittelt: «Ich habe den Pass vergessen.» Burgherr glaubt an einen Witz. Doch tatsächlich bleibt der Pass unauffindbar. «Dann gehe ich halt wieder», meint Nelson mit gespielter Lässigkeit. Ein anderer Spieler, Vakkas, hat kein Visum für den Zwischenhalt in London bekommen, und muss ein neues Ticket für den Flug über Johannesburg kaufen. Burgherr telefoniert mit dem südafrikanischen Aussenministerium, redet beharrlich auf Zollbeamte ein, bis Nelson schliesslich doch noch ein Notpass ausgestellt wird. Eine Mitarbeiterin von British Airways zahlt 700 Franken an das Ticket von Vakkas. «Als wir endlich in der Luft waren, war ich total am Ende», erinnert sich Burgherr.
Die zwei folgenden Wochen in Kapstadt sind nicht minder chaotisch: Im ersten Spiel tritt das Schweizer Team gegen den zukünftigen WM-Sieger Russland an. Bis zur letzten Minute führen die Schweizer 1:0. «Alle gingen hochmotiviert ins Spiel, bis sie anfingen, sich über den Schiedsrichter aufzuregen.» Nachdem zwei der vier Spieler wegen Fouls des Feldes verwiesen werden, verliert das Team 0:3 forfait. Der Traum vom Weltmeister platzt wie eine Seifenblase. Aus Ärger und Enttäuschung hätten die Spieler fast den Platz zerlegt. «Sie sind an ihren eigenen Erwartungen gescheitert und konnten danach die schöne Zeit in Kapstadt kaum mehr geniessen», resümiert Burgherr. Dies, obwohl die Schweizer Mannschaft von südafrikanischen Fans angefeuert wurde und sogar Autogramme verteilen durfte. Schliesslich landete das Team auf dem undankbaren 38. Platz.
Trister Alltag.
Jetzt ist Winterpause, und die Spieler bleiben wieder sich selbst überlassen. «Die Nachbetreuung müsste unbedingt verbessert werden», stellt Burgherr fest. Bis im April die Saison im Rankhof mit den Auswahltrainings für die Nationalmannschaft eröffnet wird, versucht Burgherr durch Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Drop In, dem Gassenzimmer und dem Schwarzer Peter den Kontakt zu den bisherigen Fussballern aufrechtzuerhalten und neue Spieler zu finden. «Anfangs kommen die Leute, um zu duschen und warm essen zu können - doch durch den Sport geht es mit ihnen schnell aufwärts. Der Fussball setzt eine wahnsinnige Energie frei.» Denn, so Burgherr, für viele Menschen, die alles verloren haben, bedeutet Fussball alles.
Obwohl es den Spielern schwer fällt, wieder in ihren tristen Alltag zurückzukehren, war die Buchvernissage für sie ein Highlight: «Alle haben sich richtig herausgeputzt und hatten eine Riesenfreude.» Einer der Spieler erschien, obwohl er am nächsten Tag für längere Zeit ins Gefängnis musste. «Jeder hat in Kapstadt angefangen, sich Gedanken über das eigene Leben zu machen», weiss Burgherr: «Von der WM-Erfahrung haben alle profitiert.»
Preis für Buchprojekt
«SAPPI»-AWARD. «Offside» konnte nur durch ausserordentliches Engagement und viel Herzblut der Beteiligten realisiert werden. Das Buch wurde von Dominique Berrel und Claudia Klat im Rahmen ihres Grafik- und Mediendesign-Studiums an der Zürcher Hochschule F+F entworfen. Finanziert wird das innovativ gestaltete Buch durch das Preisgeld, das der Gewinn des «Sappi»-Awards dem Projekt einbrachte. Als einziges Schweizer Projekt setzte sich «Offside» dabei gegen 180 europäische Konkurrenten durch. Das Buch ist für 25 Franken beim Kontrast-Verlag erhältlich.
tah
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